zum Hauptinhalt

Albumkritik: Lena: Ein bisschen anders

Profilierung einer Marke: Lena Meyer-Landrut heißt jetzt nur noch Lena und veröffentlicht ihr erstes Album.

Sie ist Deutschlands berühmteste Abiturientin. Dass ihre Leistungskurse Biologie und Sport sind, gehört zum Allgemeinwissen, und ihre Note in der mündlichen Deutschprüfung (2-) ist ebenfalls landesweit bekannt. Ein Abi zum Mitfiebern – die perfekte Einstimmung auf den Eurovision Song Contest, bei dem Lena Meyer- Landrut Deutschland vertreten wird. Dabei hat sie den Wettbewerb in Oslo inzwischen gar nicht mehr nötig. Sie ist schon jetzt ein Star. Mit drei Songs, die zeitgleich in die Top 5 der deutschen Single-Charts eingestiegen sind, hat sie einen neuen Rekord aufgestellt. Der stark an Kate Nash erinnernde Oslo-Song „Satellite“ verkaufte sich bereits über 300000 Mal, Radio- und Fernsehsender spielen ihn ständig. Zudem tritt die Sängerin in Shows wie „Wetten, dass …?“ auf, die Illustrierten sind voll von Geschichten über die hübsche 18-Jährige. Dieses Aufmerksamkeitshoch muss natürlich ausgenutzt werden, um die Marke Lena Meyer-Landrut weiter zu profilieren. Dazu wurde erstmal ihr komplizierter Nachname abgeschafft: Die Sängerin heißt jetzt nur noch Lena. Und sie bringt am heutigen Freitag mit „My Cassette Player“ (Universal) ihr erstes Album auf den Markt – exakt zu dem Zeitpunkt, als die drei Singles sich schon ein wenig abgenutzt haben und Nachschub her muss. Ein vorgeblicher Enthüllungsskandal drei Tage vor Veröffentlichung – Lena hatte letztes Jahr in der RTL-Doku-Soap „Helfen Sie mir!“ einen kurzen Nacktbadeauftritt – brachte Gratis-Werbung für das neue Produkt. Der Wirbel gab der Sängerin die Chance, sich ganz gelassen zu verteidigen: „Ich hab’s gemacht, ich find’s o.k., ich hab keinen Porno gedreht. Seit meinem zwölften Lebensjahr wollte ich Schauspielerin werden. Da hab ich das als ziemlich leichte Möglichkeit gesehen, da reinzuschnuppern“, kommentierte sie ihr TV-Engagement. Wenn auch der Versuch der Boulevardmedien, sie in den Dreck zu ziehen, als misslungen bezeichnet werden muss, steht das Affärchen doch in deutlichem Widerspruch zu Lenas Image als authentischer, unbeschwerter Schülerin, die sich nur zum Spaß mal bei Stefan Raabs „Unser Star für Oslo“ beworben hat. Hier arbeitet jemand offenbar schon recht lange auf eine Karriere im Showgeschäft hin und erweist sich nicht zufällig in kürzester Zeit als souveräner Medienprofi. Dies alles unter der Überschrift „Naturtalent“ zusammenzufassen, hieße die Marktmechanismen und nicht zuletzt Lena selbst zu unterschätzen. Die Hannoveranerin gehört zu einer Generation, deren Mediensozialisation ganz wesentlich von Casting-Formaten wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Germany’s Next Topmodel“ geprägt ist. Man kann Lena deshalb durchaus zutrauen, sich einigermaßen gezielt eine Rolle gesucht zu haben, die einerseits die Format-Anforderungen etwa in Sachen Styling bedient und sie zugleich durch die Inszenierung von Unangepasstheit unterläuft. Damit war sie eine erfrischende Abwechslung im Meer der Casting-Klone. Und zwar genau deshalb, weil sie das Prinzip dieser Shows mit ihrem Mix aus „Gefallen“ und „Auffallen“ letztlich besser verstanden hat als die Konkurrenz. Mit Stefan Raab, der deutschen Show- Allzweckwaffe, steht Lena ein kongenialer Partner zur Seite. Er hat schon unzählige Male – unter anderem mit seinem fünften Platz beim Songcontest vor zehn Jahren – bewiesen, dass er weiß, was die Massen lieben. Von den 13 Stücken des Lena- Albums „My Cassette Player“ stammen acht von ihm. Bei den Texten arbeitete die Sängerin mit. Anschließend an die auch auf der CD versammelten Singles „Satellite“, „Bee“ und „Love me“ hat Raab ihr einen gepflegten Retro-Sound geschneidert, der sich sehr schlau an die derzeitigen Moden anschließt. So ist etwa das Titelstück eine fröhliche, Motown-inspirierte Nummer mit warmem Bass und rhythmisierender Pianobegleitung. Als kleine Extravaganz schrammelt im Hintergrund eine Ukulele. Zentrale Songs sind Coverversionen, die sich dicht an den Vorlagen orientieren wie etwa „My same“ der britischen Neo-Soul-Sängerin Adele. Den Titel hatte Lena bereits bei „Unser Star für Oslo“ gesungen – im direkten Vergleich geht sie allerdings als zweite Siegerin vom Platz. Denn mit ihrem voluminösen Organ erreicht Adele eine deutlich höhere Intensität. Lenas markant-kehlige, aber doch deutlich limitierte Stimme wird von Raab äußerst sachdienlich inszeniert. Er überfordert die Sängerin nie. So lässt er sie im Refrain gern mehrstimmig erklingen, denn im Chor mit sich selbst wirkt sie kraftvoller. Viel Charme hat auch Lenas britische Sprachfärbung, die sie angeblich allein ihrem Englischlehrer verdankt. Der Akzent trägt wesentlich zur intenationalen Anmutung von „My Cassette Player“ bei. Noch stärker wird sie jedoch durch das solide Songwriting und die gefälligen Arrangements evoziert. Wenn sich in „I like to hang my head“ ein spaciges Keyboard zum Slap-Bass gesellt oder die Akustikgitarren sich in „Wonderful Dreaming“ zur Blubberogel wie bei Jack Johnson ergänzen, ist das einfach netter, zeitgemäßer Konsenspop. Damit wird sich Lena auch nach Oslo noch eine Weile halten können. Und eine neue aufmerksamkeitswirksame „Verrücktheit“ fällt ihr sicher spätestens nach dem Abiball ein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false