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Albumkritik: Riss durch die Welt

Auf dem Sprung in die Großrockliga: "Evil Urges" von "My Morning Jacket" bietet seltsamen Sound und ist nicht nur fremd sondern auch knackig.

Ob Popstars immer genau wissen, wann sie einen richtig guten Song geschrieben und eingespielt haben? Haben sie dafür Kriterien, eine bestimmte Güte-Hierarchie? Oder wählen in der Regel Plattenfirmenmenschen die Singles aus, die erste Aufmerksamkeit schaffen und den Verkauf eines Albums antreiben sollen? Im Fall der aus dem ländlichen Kentucky stammenden amerikanischen Schlenkerrockband My Morning Jacket jedenfalls scheinen die Musiker sehr genau gewusst zu haben, welches ihr Knaller auf dem neuen, inzwischen schon fünften Album „Evil Urges“ (ATO/Rough Trade) ist.

Dieser Song findet sich hier nämlich gleich zweimal: in einer Kurzfassung als zweites Stück des Albums, gewissermaßen die Singleversion, und einer langen, achteinhalbminütigen, das Album abschließenden Version, wenn man so will die Disco-Variante. „Touch Me I’m Going To Scream“ heißt das gute Stück, ein Monster von einem Song, der ein wahrlich nicht schlechtes Album überstrahlt, einfasst und geradezu beschützt. Kompliziert-treibende Schlagzeugmuster, ein paar sanfte Gitarrenakkorde, schmachtender Gesang, und all das im zweiten Teil zwingend synthetisch unterfüttert – und fertig ist ein Stück, das Raum braucht und weniger in kleinen Clubs als in größeren Hallen eine gute Figur machen dürfte.

Tatsächlich machen sich My Morning Jacket mit diesem Album jetzt auch daran, die Großrockliga der USA aufzumischen. Nicht zuletzt, weil es konsequent an seine Vorgänger anschließt, an die Alben „Z“ aus dem Jahr 2005 und „Still Moves“ von 2003. Mit diesen beiden Alben erwarben sich My Morning Jacket den Ruf, einer der eigentümlichsten, hinterwäldlerischsten und nichtsdestotrotz smartest-brüchigen Rockbands in den Staaten zu sein, Vollbartträgertum inklusive.

Begannen sie Ende der neunziger Jahre zunächst mit Americana, mit klassischem Roots-Rock, tasteten sie sich zunehmend konsequenter an die siebziger Jahre heran: an Progrock, Finsterrock und Psychedelia, aber auch an Soul, an Lynyrd Skyrd und Pink Floyd genauso wie an Al Green oder Robert Palmer, und auch den Spacerock arbeiteten sie genauso in ihre Songs ein wie langsam vor sich hintackernde Schlingergrooves. Hauptsache nicht fassbar, Hauptsache seltsam und fremd, aber knackig.

Mit Barclay-James-Harvest-artigen Unsinnscovern illustrierten sie darüberhinaus ihre Musik stilecht, „Evil Urges“ macht da keine Ausnahme: Ein mit dem Rücken zum Betrachter stehender Mann schaut auf einen Bahnhof oder einen Theatersaal aus dem 19. Jahrhundert, links und rechts sieht man die Band auf Logenplätzen stehen, auf dem Booklet des Albums schmusen im Vordergrund zwei Vögel mit großen Schwingen miteinander. Man muss da nicht hinterkommen und zu viel reinlesen, auch nicht in die bedeutungsschwangeren Zeilen von Sänger und Songwriter Jim James, der Zeilen singt wie „I need a human right by my side, untied, untied“ oder „Like the rhythm of the earth I get disrupted“.

Vermutlich reicht es, wenn man sich James als einen Menschen vorstellt, der den Riss, der durch die Welt geht, in Anlehnung an Georg Büchner (falls er ihn kennt) als Quelle seiner Kreativität betrachtet, ohne diesen Riss benennen zu wollen. Musik war schon immer seine erste Liebe, um es mit John Miles zu sagen, sie wird auch seine letzte sein, Musik von früher und die der Zukunft.

„Evil Urges“ beginnt mit dem Titelsong, in dem James den Soul betont, den er dann mit seiner Falsettstimme im dritten Stück des Albums, „Highly Suspicious“ noch in ungeahnte Höhen schraubt. Danach aber geht es wieder quer durch den Rockgarten mit Riffs, die mal von AC/DC, mal von Pavement stammen könnten, folkigen Songs wie „Sec Walkin“ und „Look At You“ oder einem sehnsüchtig-schmachtenden Rocker wie „Remnants“. Im Vergleich zum zauberhaften Vorgänger „Z“ haben My Morning Jacket auf „Evil Urges“ die Wundertüte geschlossen gehalten, haben auf zu viel Orgeleinsätze, Flöten und Vögelstimmchen verzichtet – zugunsten einer etwas größeren Geschlossenheit.

Doch hat das Album weder etwas von „New Age romanticism“, wie in den USA kurz nach der Veröffentlichung letzte Woche geunkt wurde, noch eignet es sich zur Beschallung von Starbuck’s-Filialen. Im Gegenteil: My Morning Jacket spielen Dinosauriermusik für die Jugend von heute. Und für ältere Connaisseure, die sich zwar kaum von den Referenzhaufen beeindrucken lassen dürften, aber vom ewigen Grunge amerikanischer Prägung genauso gestrichen die Ohren voll haben wie von den unermüdlichen Gang-Of-Four-Adepten britischer Prägung. Und dessen sind sich My Morning Jacket in ihrem Bemühen um möglichst große Stilvielfalt nur zu bewusst.

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