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Alex Nowitz: Der Zeremonienmeister

Zum Start der Schaubühnen-Spielzeit: ein Porträt des Pianisten und Sängers Alex Nowitz.

Ein seltsames Zwitterwesen irrlichtert durch diesen Sommernachtstraum, ein sonnenbebrillter Satyr in schwarzem Leder, irgendwo zwischen Dandy und Diva, der mal mit Elvisschmelz Songs über Liebe und Lust singt, dann wieder, große Oper, mit einer Arie in kristallenen Knabenhöhen betört. Der androgyne Rockstar-Pan treibt als hintergründiger DJ den ekstatischen Abend an, führt die libidoverwirrten Figuren am unsichtbaren Gängelband. Eine rauschhafte ErosParty in der Kopfschmerz-Dämmerung, die Regisseur Thomas Ostermeier und Choreografin Constanza Macras da mit Tänzern, Schauspielern und Musikern aus der Shakespeare-Liebeskomödie gezaubert haben, ein Hit der vergangenen Schaubühnen-Saison. Und Alex Nowitz, Pianist, Komponist, Sänger, Countertenor, Improvisationskünstler, kurz: unverschämtes Multitalent, ist darin der Zeremonienmeister.

„Schubladen“, sagt der Mann, der als Zehnjähriger den King imitiert hat (inklusive Hüftschwung) und sich als erste Platte eine Single von Queen leistete, „haben mich noch nie interessiert.“ Klar, wer so vielseitig ist, hasst Etiketten. Wohl auch deshalb spürt man die sprühende Freude am Parforceritt durch die Genres, den er mit seiner „Sommernachtstraumband“ vollführt: zwischen Schalmeienklang und Elektro-Beat nur ein Blinzeln.

Die Karriere war Alex Nowitz keineswegs an der Wiege vorbestimmt. Seine Heimat nennt er – mit dem Lächeln des glücklich Davongekommenen – eine „kulturelle Wüste“. Geboren in Buch am Erlbach, aufgewachsen in Berghofen, umgezogen nach Viecht, Namen wie aus einem neuen Heimatfilm von Marcus H. Rosenmüller, allesamt Dörfchen bei Landshut, wo er aufs Gymnasium ging, auf dieselbe Schule wie Thomas Ostermeier. Der Vater Bauzeichner, die Mutter Büroangestellte, es gab eine Großtante, die mit dem Akkordeon in der Unterhaltungbranche tätig war, wie das geklungen habe, sagt Nowitz, könne man sich ja vorstellen. Und doch – es zog ihn zur Musik. Mit acht Jahren blätterte er in Quelle-Katalogen und nervte seine Eltern so lange, bis sie ihm die Heimorgel schenkten. Mit der stand der kleine Alexander zwei Musikunterrichtsjahre später als Alleinunterhalter auf dem Feuerwehrball, ein Albtraum der Gemütlichkeit, aber egal, „es fing früh mit einem starken eigenen Willen an.“

Mit Anfang zwanzig spielt Nowitz in einer Hardcore-Jazz-Band namens Vol-Vox, zusammengesetzt aus Volume und vox, lateinisch für Stimme, mit der er die erste Platte aufnimmt und auf Tournee geht bis nach Genf, ein verdammt gutes Gefühl. Damals studiert er Musikpädagogik und Musikwissenschaft in München, sein Musikgeschmack reicht von Thelonious Monk über No Means No bis zu Strawinsky, und er legt sich einen Künstlernamen zu – „No Witz, also: kein Joke“: Man muss sich das bayerisch gesprochen vorstellen, es klingt nach „Out of Rosenheim“, äußerst charmant. Den bürgerlichen Namen Alexander Georg Sedlmeier findet er nicht eben sexy, und schon gar nicht mag er die „kulturelle Stigmatisierung“, die damit einhergeht.

Alex Nowitz ist dabei kein wurzelloser Mensch. Schon die Tatsache, dass er als Countertenor singt, verrät das, eine Begabung, die er während des Studiums entdeckt. Diese Falsetto-Technik bedeute, erklärt er, unmittelbar körperliches Erinnerungsvermögen. Er formt die Glottis mit den Händen, veranschaulicht die Schwingungen der Randkanten und beschreibt, wie man so letztlich die Knabenstimme über die Pubertät rettet. Man konserviert ein Stück Kindheit.

Es ist Thomas Ostermeier zu danken, dass Nowitz überhaupt zur Bühne gefunden hat. Ostermeier forderte den alten Schulkollegen eines Tages in einer Landshuter Kneipe auf, auch nach Berlin zu ziehen, Nowitz ließ nahezu seine komplette Plattensammlung bei einem Freund zurück und folgte dem Ruf der Hauptstadt. Spielte in zig Prenzlauer-Berg-Projekten, stieß auf Vermittlung des Freundes als Bühnenmusiker zu einer Weimarer Manfred-Karge-Inszenierung des „Faust“, arbeitete schließlich auch mit Ostermeier an der Ernst-Busch-Schule zusammen. Wobei es, „zwei bayerische Dickschädel eben“, ordentlich gekracht haben muss.

Der gegenseitigen Wertschätzung hat es nicht geschadet. Im Frühjahr wird Nowitz für das nächste, diesmal zeitgenössische Schaubühnen-Projekt musizieren, eine Kombination aus Mark Ravenhills „The Cut“ und Martin Crimps „The City“, orwellsche Totalitarismus-Szenarien. Nowitz, der eine Art Mensch-Maschine spielen soll, steht dafür in Kontakt mit dem Institut für elektronische Musik, STEIM, in Amsterdam. Es geht, vereinfacht, um eine Software, die Bewegung in Klang übersetzt. Aber das ist, er sagt es selbst: Zukunftsmusik.

Die Schaubühne eröffnet am Samstag mit „Ein Sommernachtstraum“ ihre neue Spielzeit unter dem Motto „I Love You All“.

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