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Myriad Creatures

© Promo

Bandporträt: Myriad Creatures: Helden am Fluss

Die Myriad Creatures halten Pete Doherty und Amy Winehouse für Mainstreampsychos. Sie rocken lieber in den kleinen Berliner Clubs, zurück an die Themse treibt es sie nicht. Gerade ist ihr erstes Album "The Right Way to do Wrong" erschienen.

Richtig mal was falsch machen, so lautet die Lebensphilosophie der Band Myriad Creatures. Geradezu filmreif begann ihre Bandgeschichte vor vier Jahren. Damals waren sie 24 Jahre alt. In einer Londoner Kneipe flogen Stühle über den Tresen und Biergläser barsten an den Wänden. Mittendrin Andy Tyler und Matt Fargher, ohne einander zu kennen. So richtig wollen sie nicht damit herausrücken, wie sie da in die Schlägerei hinein geraten waren. „Wir wissen bis heute nicht, wie wir da hinaus gekommen sind,“ erzählt Fargher. Schließlich saßen sie nebeneinander in einem Polizeitransporter und lernten sich auf dem Weg zur Polizeiwache kennen. Eine Woche später standen sie zum ersten Mal mit Jamie Kroft im Probenraum. Duncan Way schloß sich wenig später den drei Jungs an. „Wir sind der Londoner Polizei wirklich sehr dankbar,“ resümiert Fargher diese Nacht.

Die vier Briten zog es vor zwei Jahren an die Spree. 2007 rollten sie ihre Schlafsäcke in einer Wohnung, ohne Strom, Heizung und Wasser in Mitte aus. Gerade ist ihre erste CD „The Rihgt Way to do Wrong“ erschienen. Ihre Musik handelt von Leidenschaften, gefährlichen Versuchungen und dem Erwachsenwerden. „Es lohnt sich, Träume zu leben,“ sagt Kroft während die anderen im Proberaum enthusiastisch ihren Kopf nicken. Jeder sollte so viele seiner Ideen umsetzen wie möglich. Aber die meisten Menschen seien eher passiv. „Wenn du dich nicht ausprobierst, kann dich später das Falsche einholen." Lange allein blieben sie in dem heruntergekommenen Gebäude nicht. Kurz nach ihnen zogen die kanadische Sängerin Peaches und DJ Dixon mit seinem Label Innervision ein.

Von Helden und Dämonen

Sie selbst bezeichnen als einen kleinen Wanderzirkus, in dem sie immer wieder Mutproben erleben. Die größte war bislang ihre Tour im Dezember 2006 durch Schottland und England, ohne Manager und ohne eine einzige Platte produziert zu haben. 28 Tage spielten sie fast jede Nacht in einem anderen Kaff ihre Songs herunter. In Schlafsäcken übernachteten sie auf der Pritsche ihres eiskalten Minivans, einem weißen Ford Transit. Von weiblichen Groupies fehlte jede Spur. In ihrer erste Single „The hero“ verarbeiten sie ihre Mutprobe. Aber wer sind diese Helden, die sie besingen? „Jeder von uns sollte ein Held sein", so Kroft. Aber nicht alle glaubten an sich. In dem Video  nimmt sie Rummelsnuff deshalb erst einmal ordentlich in den Schwitzkasten. Rummelsnuff aka Roger Baptist haben sie nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt kennen gelernt. Er ist Türsteher des Berghain und selbst Musiker. Im Video macht Rummelsnuff Jagd auf die Band und ihre Ideen. Nicht nur aus ihren Texten, auch im Gespräch auf der durchgesessenen Couch wird klar, die Myriad Creatures glauben an das Imperfekte, an die eigenen Gefühle. An ihnen wachse letztlich der Mensch, sagt Kroft. In „Doktor Faustus“ werden die individuellen Unterschiede zu menschlichen Stärken. Die Unsicherheit vor den eigenen Gefühlen macht Menschen schwach, aber: „Traue den Dämonen nicht.“ („Deamons are nothing to believe in“).

Am Abend der Record Release Party ist die Oranienburger Straße brechend voll mit Touristen. Wer auf dem Bürgersteig stehen bleibt, droht im Sog der Menschen unterzugehen. Trotzdem kleben die vier Musiker vor ihrem Auftritt im Cafe Zapata noch Plakate. „Das Musikgeschäft hat sich verändert. Geschäftlich zu denken ist genauso wichtig wie das Musikmachen selbst,“ sagt Way. Das Zapata ist gut gefüllt mit eingefleischten Fans und zufällig gestrandeten Touristen. Ihre zweite Single „Ships in the Night“ ist ein Ohrwurm, der auch dem unbeweglichen Publikum am Rande der Tanzfläche zumindest ein rhythmisches Kopfnicken entlockt. Es geht um die Angst vor dem unausweichlichen Zusammenprall mit einer zerstörerischen Seele und den Wunsch sie eigentlich nicht kennenlernen zu wollen. Deutlich hört man ihre Vorbilder aus ihrer Musik heraus: The Clash, Greenday und Nirwana. Das Quartett formiert sich aus zwei Gitarre spielenden Stimmen (Kroft und Tyler), einem Bass (Way) und dem Schlagzeug (Fargher). Die Bühne ist zu klein für den Sound, aber an diesem Abend zählt das nicht.

„Soundtrack zu unserem Leben“

Der Kiez um das Tacheles herum ist, wenn es so etwas gäbe, die musikalische Heimat der Myriad Creatures. „Wir spielten anfangs fast für umsonst,“ sagt Kroft. Sie traten in Galerien und Ausstellungen von jungen Künstlern auf.  Im Sommer 2007 standen sie im Garten des Tacheles einen Monat lang jeden Abend auf der Bühne und beschallten die Touristen, schon nicht mehr für umsonst. Nach zwei Jahren sind die Myriad Creatures im Berliner Nachtleben angekommen: Scala, White Trash, Cafe Zapata, Magnet und Bang Bang Club. „Du gehst im Westen shoppen, aber nicht rocken,“ resümieren Way und Fargher ihren bisherigen Spielplan.

Für ihr erstes Album hielten sich die Myriad Creatures nur fünf Tage im Studio auf. Das Ergebnis ist kompakt: 13 Songs in 43 Minuten. Ihr Erstlingswerk wurde gemeinsam mit Gordon Raphael im Studio East aufgenommen. Der ehemalige New Yorker Musikproduzent hatte zuvor mit den Strokes gearbeitet. Heute lebt Raphael in Berlin. „Du hörst Musiker spielen,“ bemerken Tyler und Kroft stolz. Und die Musiker fühlen sich von der Stadt inspiriert. „Unsere Platte ist sozusagen der Soundtrack zu unserem Leben in Berlin.“

Nichts als weißer Rauch

Die Myriad Creatures schätzen die Lebensqualität in Berlin, insbesondere das Nachtleben. Es fasziniere sie, wie die Techno und der House DJs bis in den nächsten Tag hinein mit der Stimmung auf der Tanzfläche spielen. In London sei das Nachtleben unentspannter. Ihr Song „London can you hear me?“ ist ein Abgesang auf „Big Smoke“, wie sie die alte Weltmetropole nennen. „Morgens um vier herrscht auf den Londoner Straßen Anarchie", winken die Vier ab. Alteingesessene und Hinzugezogene führten mit leeren Flaschen regelrechte Straßenkämpfe. Das einzige, was die vier Musiker in ihrer neuen Heimat meiden, sind die Irish Pubs - wegen der „Ryan Air People“. Nicht nur ihre eigene Musik und das Clubben bewegt sie in Berlin. Die Myriad Creatures haben gegenüber der Stadtplanung des Berliner Senats auch eine politische Haltung. Investitionswillige Banken betonierten mit ihrem Geld das Stadtbild zu (siehe Spreedreieck, Media Spree). „All diese Mega-Immobilienprojekte schaden der Kulturszene,“ meint Kroft. Aber gerade die jungen Menschen lebten in den gefährdeten Freiräumen wie der Bar 25 oder eben dem Tacheles.

In „Indier than thou“ rechnen sie mit der Londoner Musikszene ab: „Ich bleibe mir lieber treu/ Du bist der König, wenn du mit Ketaminen abhebst“ („My dial is stuck on original/You are king when you are tripping on Ketamine“). Ihr Fazit: In London können sie nicht ihre eigene Musik machen. „Die britische Paparrazikultur sucht nach Musikern wie Pete Doherty oder Amy Winehouse. Die passen in ihre Klischees, sind aber nichts weiter als Mainstreampsychos“, sagt Tyler. Mittlerweile haben die Myriad Creatures auch ein Londoner Publikum. An eine Rückkehr an die Themse denken die vier Musiker jedoch nicht.

- Mittwoch, 5.8.; 21 Uhr; Schokoladen, Ackerstraße 169

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