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Dauerdrama Lindenoper: Oh, wie schön ist Rokoko!

Schon wieder Streit um Berlins Staatsoper: Bei der Sanierung favorisiert die Jury einen modernen Saal. Der Senat klammert sich an die nostalgischen Deko-Elemente und ist dagegen.

Vorhang auf zum nächsten Akt im Dauerdrama um die Lindenoper: Kaum ist die Führungskrise am Berliner Traditionshaus gelöst, müssen der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und sein Kulturstaatssekretär André Schmitz die nächste Schlappe einstecken. Eine Fachjury hat sich im Zuge der Generalsanierung der Staatsoper für einen modernen Zuschauersaal ausgesprochen. Statt der 1951er-Version von Richard Paulick mit seiner akustisch unzulänglichen PseudoRokoko-Ästhetik soll ein Entwurf des Berliner Büros Klaus Roth Architekten realisiert werden, der die Hör- und Sichtverhältnisse deutlich verbessert.

Mit Zweidrittelmehrheit wurde unter acht eingereichten Projekten Roths Variante der 1. Preis zugesprochen. Die Architekten-Juroren Axel Schultes oder Peter Kulka und ebenso Opernstiftungsdirektor Stefan Rosinski konnten sich für die Idee begeistern, zugunsten einer auf heutige Theaterbedingungen zugeschnittenen Lösung auf die Rekonstruktion der historisierenden Nachkriegsoptik zu verzichten. Dagegen stimmten drei Vertreter der Bauherrenseite von Bund und Berlin mit Nein.

Der Zuschauersaal präsentiert sich heute als Notlösung. Weil Paulick 1951 die Decke um vier Meter absenkte, kann ein zumutbarer Raumklang nur durch Lautsprecher gewährleistet werden, die in den Wänden versteckt sind. Das Orchester im Graben jedoch kann sich selber nur unzureichend hören. 300 Plätze im Bereich der Seitenränge sind zudem massiv sichtbehindert, weil die Proszeniumslogen zu weit in den Raum ragen. Mit einem Theater des 18. Jahrhunderts hat die Staatsoper nichts mehr zu tun. Genauso wenig, wie unser Rezeptionsverhalten noch dem der Barockzeit entspricht.

Einst waren die Logen im Besitz adliger Familien, Opern wurden en suite gespielt wie heute Musicals, man kam und ging, wie man wollte, es wurde geplaudert, gegessen und teilweise in den Fluren gekocht. Der Saal blieb die ganze Zeit erleuchtet, man kommunizierte quer durch den Raum oder besuchte sich gegenseitig. In den Gängen traf man sich, um Politik zu machen. Wer anderes vorhatte, konnte die Vorhänge der Loge zuziehen. Alles bei laufender Vorstellung.

Kein Wunder, dass Richard Wagner für seine Musikdramen auch gleich den modernen Zuschauerraum mit erfand. Sein Publikum sollte im Dunklen sitzen, mit geradem Blick auf die Bühne, und alle Aufmerksamkeit Wagners Gesamtkunstwerken schenken. Die einem antiken Amphitheater nachempfundene Form des Bayreuther Festspielhauses wurde zum Vorbild aller neuen Theaterarchitektur, die stillschweigende Ehrfurcht des Betrachters Voraussetzung jedes Opernbesuchs.

Klaus Roth, der sich seit 20 Jahren mit der Sanierung von Theaterbauten beschäftigt, will mit seinem preisgekrönten Entwurf nun endlich allen Besuchern der Berliner Staatsoper einen unverstellten Musiktheatergenuss ermöglichen. Der Architekt hat sich intensiv mit der Geschichte des Gebäudes befasst, bevor er seinen Vorschlag entwickelte. Ihm geht es nicht um Provokation, sondern um Kommunikation. Das Parkett will er statt auf einer Ebene in ansteigenden Reihen organisieren, die bis zum ersten Rang hinaufreichen. Dadurch könnten die Garderoben aus dem Keller ins Erdgeschoss verlegt werden. In den drei Rängen sind alle Sitze frontal zur Bühne ausgerichtet, die Saaldecke schraubt sich kreisförmig in die Höhe und garantiert auch bessere Arbeitsbedingungen für die Beleuchter.

Fünf Mal ist das 1742 eingeweihte Gebäude in seiner glorreichen Geschichte umgebaut oder, besser gesagt: den jeweiligen Bedürfnissen des Publikums angepasst worden. Insofern scheint es nur logisch, wenn im Rahmen der Komplettsanierung ab 2010 das Konzept des Zuschauerraums ins 21. Jahrhundert weiter gedacht wird. Selbstverständlich will Klaus Roth die klassizistische Kubatur des Gebäudes nicht antasten, der Apollo-Saal, die Eingangshalle und die umlaufenden Rang-Foyers sollen in Paulick-Ausstattung wiedererstehen, der Saal wird drei Ränge behalten. Putten, Stuck und den Kristalllüster allerdings gäbe es nicht mehr.

An diese nostalgischen Deko-Elemente aber klammern sich André Schmitz und Klaus Wowereit. Der Jury-Entscheid für den modernen Saal, hieß es jetzt aus dem Senat, sei für die Politik keineswegs bindend. Sicher, man kann auch die Entscheidung kippen und das Projekt ganz neu ausschreiben. Das würde die Staatsopern-Renovierung jedoch um ein weiteres Jahr verzögern. Mitte der Woche wird die Opernstiftung jedenfalls die Pläne schon einmal der Öffentlichkeit vorstellen.

Daniel Barenboim soll sich übrigens bereits klar für die moderne Version von Klaus Roth ausgesprochen haben. Dass das Votum des Generalmusikdirektors im Roten Rathaus Gewicht hat, ist ja bekannt.

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