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Dirigent Zubin Mehta: ''Diese Sinfonie ist eine Doktorarbeit zum Thema Liebe''

Dirigent Zubin Mehta über Olivier Messiaens 100. Geburtstag, die Berliner Staatskapelle und volle Terminkalender.

Maestro Mehta, zum 100. Geburtstag des Komponisten Olivier Messiaen führen Sie mit der Staatskapelle seine „Turangalila“- Sinfonie auf. Was war Messiaen für ein Charakter?

Er war wirklich ein besonderer Mensch. Auf seiner Visitenkarte standen drei Berufsbezeichnungen: Komponist, Organist und Vogelkundler. Vögel waren Gottes Musiker für ihn, er kannte sich unglaublich gut aus, ging in den Wald mit seinem Notizbuch, um sich ihre Klänge in der Natur abzulauschen. Bei „Reveil des oiseaux“ ist jede transkribierte Vogelstimme genau vermerkt, jeweils mit Name und Herkunft der Tiere. Etwas skurril war, dass er die vielen Auszeichnungen, die er in seinem Leben erhalten hat, alle immer an seinem Jackett trug, sogar bei den Proben.

Wann haben Sie die 1948 komponierte "Turangalila"-Sinfonie kennengelernt?

Das erste Mal habe ich das Stück 1988 mit dem New York Philharmonic Orchestra gemacht. Da war Messiaen bei allen Proben dabei. Nach Chicago und später nach Israel ist er gekommen. Ich kannte ihn allerdings schon aus meiner Zeit als Chefdirigent in Los Angeles von 1962 bis 78, da haben wir sehr viel Moderne auf dem Programm gehabt. Ich liebe sein Orchesterstück „Et expecto“ von 1964 sehr, habe auch die Vögel-Stücke für Klavier gemacht, viel mit seiner Frau gearbeitet, der Pianistin Yvonne Loriod.

Was für ein Gefühl ist es, wenn der Komponist im Saal sitzt?

Ich liebe es, wenn Komponisten bei den Proben anwesend sind, mich korrigieren, Ratschläge geben, weil sie aus dem Saal Dinge hören, die ich von meinem Platz auf dem Dirigentenpult nicht immer erschließen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Komponisten ihre Werke auch wirklich genau kennen - was, nebenbei gesagt, recht selten der Fall ist. Pierre Boulez gehört zu den positiven Beispielen und eben Messiaen. Ganz praxisorientiert waren immer die Hinweise von Yvonne Loriod. Ihr bin ich immer gerne gefolgt, denn für sie hatte Messiaen ja den virtuosen Klavierpart in dem Stück geschrieben. Das Klavier ist Teil des Gamelan-Ensembles innerhalb des Orchesters zusammen mit Celesta, Vibrafon und Tasten-Glockenspiel. Messiaen interessierte sich sehr für indonesische Musik.

Es gibt ja auch einen indischen Aspekt in der Musik, der Sie als Inder besonders interessieren müsste.

Das Sanskrit-Wort Turanaga bedeutet Bewegung, aber auch Rhythmus, das Wort Lila steht für Liebe und ebenfalls für Rhythmus. Im Schlagzeug findet man tatsächlich rhythmische Zyklen, die man aber nicht sehr gut hören kann.

Die indische Musiklehre bildet nur den philosophischen Hintergrund des Werks?

Ja, aber die indonesischen Klangfarben sind viel präsenter.

Neben den fernöstlichen Traditionen sind Messiaens Werke vor allem von seiner Religiosität geprägt.

Turangalila allerdings ist eines der wenigen Stücke, wo sein katholischer Glaube keine Rolle spielt. Es ist eine reine Klangfarbenkomposition, eine Ode an die Liebe, sehr sinnlich. Die reine Liebe ist fast immer im Unisono vertont, die Leidenschaft sehr rhythmisch. Verschiedene Leitmotive durchziehen diese zehnsätzige Sinfonie: Da sind die Terzen in den Posaunen, die für ihn eine übermenschlich große Statue repräsentieren. Dann gibt es eine kleine Blume, die aufblüht, zwei Klarinetten mit langsamen Vorschlägen, später Fagott und Flöte. Das Liebesthema soll ganz weich kommen, auch wenn Messiaen manchmal dreifaches Forte vorschreibt. Ich wünsche mir das vom Orchester eher Bruckner-artig, denn Messiaen ist für mich ein Nachfolger Anton Bruckners. Seine Liebe zum Klang stammt wie bei Bruckner von der Orgel.

Welche Rolle spielt der Tristan-Mythos?

Diese Partitur ist eine Doktorarbeit zum Thema Liebe. Über eine vernichtende Liebe, die nur im Tod zueinander findet, eben wie bei Wagners „Tristan“. Aber man spürt bei Messiaen nicht, dass andere Komponisten vorkommen, er zitiert nie. Es ist eine geistige Inspirationsquelle.

Manche Kritiker sehen in den Klangorgien der Turangalila puren Kitsch. Wie kann man den vermeiden?

Gar nicht, man muss ihn einfach darstellen. Auch Mahler wird der Kitsch-Vorwurf gemacht. Aber was hat er getan? Er hat seine Seele offen auf den Tisch gelegt! Wenn man versucht, Mahler vor sich selbst zu schützen, funktioniert das nicht. Neben dem Vulgären gibt es immer auch so viel Tiefes, das aber nur spürbar wird, wenn man das ganze Spektrum zeigt. Das hat mir Lennie Bernstein beigebracht: „Warum schämst du dich?“, hat er mir gesagt, „Lass es raus, das muss knallen, du machst es zu schön!“ Auch wenn ich eigentlich grelle Töne im Orchester nicht leiden kann - er hatte recht.

Wie viele Proben haben Sie für dieses komplexe Werk bekommen?

Vier und die Generalprobe, nicht mehr als für jedes klassische Programm auch. Aber die Staatskapelle hat sich so wunderbar entwickelt in den letzten Jahren, sie konzentrieren sich sehr, und ich probiere ganz analytisch, erkläre die Form von jedem Satz. Es ist eben wirklich eine Folge von zehn Tondichtungen.

Wussten Sie, dass Ingo Metzmacher direkt im Anschluss an Ihre Konzerte am 6. und 7. Januar mit dem Deutschen Symphonie-Orchester ebenfalls „Turangalila“ aufführt?

Für das Publikum wird das sicher interessant – ich werde es nicht erleben, weil ich am 6. Dezember abends schon in Israel probe. Gerade ist mein Terminkalender sehr dicht gestrickt. Am 31. Dezember war ich noch in Peking und habe dort das Silvesterkonzert dirigiert.

Ist Jetlag kein Problem für Sie?

Jetlag ist doch keine Krankheit! Man schläft nur weniger oder zu viel.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen. Die Konzerte mit Zubin Mehta finden am 4. Januar in der Philharmonie sowie am 5. Januar im Konzerthaus statt.
Olivier Messiaen, am 20. Dezember 1908 geboren, zählt zu den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Der bekennende Christ und Klangfarbensammler starb 1992 in Paris.

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