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alexander marcus

© Kontor Rec.

"Electrolore": Komm’ mit mir nach Papaya

Alexander Marcus und Tobias Lützenkirchen stellen Gaga-Clips ins Internet. Ihre Hits gibt es jetzt auch auf CD.

Gerade wenn man glaubt, es zu verstehen, verschwimmen die Kategorien schon wieder. Eben planschte Alexander Marcus noch mit künstlichen Korallen behangen durch den Teufelssee und besang dabei ein fiktives Südsee-Paradies. Nun steht er in pastellfarbenem Schnösel-Outfit in einer Altbauwohnung und gibt eine Breakdance-Einlage. Fast 700 000 Mal wurde der Low-Budget-Clip „Papaya“ inzwischen angeklickt. Er illustriert die Skurrilität seines heute erscheinenden Albums „Electrolore“, auf dem Schlager und Techno eine fulminante, höchst wagemutige Verbindung eingehen.

„Ich bin kein Weltverbesserer, ich will nur, dass wir alle zusammen Spaß haben“, sagt Marcus, der seine Augen hinter einer dunkel getönten Pilotenbrille versteckt. Mit seinen Slippern, den rosafarbenem Wollpullover lässig über die Schultern gelegt, passt er perfekt in das elegante Ambiente der Gobelin-Halle im Hotel Kempinski. Der Sänger gibt sich medienscheu: „Ich gehe nicht so gerne unter Leute, aber mit meiner Musik verschmelze ich. Schließlich will ich den Leuten auch was bieten.“ So tanzt er auf der Bühne allein vor hunderten Zuschauern und singt inbrünstig Zeilen wie „Ich halt die Sehnsucht nicht mehr länger aus/ Hey Käpt’n, volle Kraft voraus!/Bald sind wir in Papaya.“ Dazu spielt er mit seinem besten Freund Globi – einer aufblasbaren Weltkugel, die sogar ein eigenes MySpace-Profil mit 343 „Freunden“ besitzt.

Globi hat er einst von seiner Großmutter geschenkt bekommen, er ist 28 Jahre alt und gehört zum festen Repertoire. Sein eigenes Alter verschweigt Marcus ebenso wie seinen Geburtsort. Immerhin erfährt man, dass er seit drei Jahren in Berlin lebt. Die Vielseitigkeit der Stadt beeindruckt ihn: „Nur der harte Winter behindert meine Kreativität. Deshalb werde ich in diesem Jahr zurück nach Miami gehen.“ Dort wohnt er angeblich am Ocean Drive.

Gestört oder genial? Zur Zeit kursieren viele Theorie über Alexander Marcus. Interviews gibt er selten – vielleicht auch, weil viele Journalisten mehr damit beschäftigt sind, ihn als Kunstfigur zu enttarnen, anstatt über die Musik zu reden. In Wirklichkeit heißt er Felix Rennefeld und ist ein erfolgreicher House-Produzent. Dabei ist es eigentlich egal, welcher Name nun wirklich auf dem Ausweis steht, denn gerade die geheimnisvolle Unnahbarkeit macht ihn im Zeitalter der permanent überwachten Casting-Künstler interessant.

Die Musik produziert Marcus vollständig allein, sein Soundbett variiert von Kirmes-Techno bis House, streift aber auch Hip-Hop und die Neue Deutsche Welle. Seine Vorbilder sind Udo Jürgens, Roland Kaiser und Rex Gildo. Die Texte kann man als ironisch gebrochene Hommage an diese Schlagergrößen sehen. So singt er in „Alles Gute“ scheinbar naiv „Eine Kutsche fährt heran, wir steigen auf, der Bürgermeister sitzt am Bock/ Wir fahren durch deutsche Lande und heben das Glas“, um dann unauffällig eine Zeile wie „Und schau’n den Mädels untern Rock“ hinterherzuschieben.

Auch Tobias Lützenkirchen bewarb sein gerade erschienenes Album „Pandora Electronica“ (Groove Attack) mit einem selbstgedrehten Internet-Video. In „Drei Tage wach“ stapfen zwei Erwachsene in Stofftierkostümen und einer Kiste Bier durch Berliner Szeneviertel, während eine synthetische Stimme Textfragmente wie „Verpeilt und verstrahlt/ alle verballert“ und „Pille Palle/ alle pralle/ druff-druff-druff-druff-druff“ über einen Techno-Beat schleudert.

Mit dem Video hat der Szene-DJ auf Anhieb einen Hit gelandet. Dabei wollte der 31-Jährige eigentlich nur seinen neuen Stimmverzerrer ausprobieren: „Ich habe einfach die Beobachtungen einer durchfeierten Nacht in meinen Vocoder gesprochen und wollte das erst mal überhaupt niemandem vorspielen.“

Als die Single dann den Weg ins Netz fand, warfen ihm Kritiker umgehend vor, er würde damit den Drogenkult der Techno-Szene unterstützen. Bei diesem Thema wird der gemütliche Westfale plötzlich sehr sachlich: „Das ist eine ganz klare Satire. Ich beschreibe augenzwinkernd den Jetzt-Zustand auf Techno-Partys. Ob das den Leuten passt, wie das da abgeht, ist deren Sache.“ Der Song hat für genug Aufmerksamkeit für sein ansonsten rein instrumentales Album gesorgt. Inzwischen bekam Lützenkirchen so viele internationale Anfragen, dass er gerade eine englischsprachige Version vorbereitet.

Alexander Marcus bleibt dagegen vorerst ein deutschsprachiges Phänomen. Fast jedes Wochenende tingelt er durch Szene-Clubs und über Weinfeste. Zwei Jahre hat er an seinem Album gearbeitet und sich über den Umweg des Internets mühsam einen Vertrag beim Hamburger Techno-Label Kontor erkämpft. „Als ich mit der Elektrolore anfing, haben viele zu mir gesagt: Hör mal auf, das ist ja furchtbar, will doch eh keiner hören“, erinnert er sich glucksend. Im Umfeld von Scooter feiert er seinen Erfolg dafür nun ausgiebig mit seiner ersten Album-Auskopplung: „Spiel, Satz und Sieg – wir haben wirklich alles gegeben/ Das ist Spiel, Satz und Sieg – das ist der schönste Tag im Leben.“ Dazu läuft ein Beat, der gut zu einer ZDF-Serie aus den achtziger Jahren passen würde. Auch wenn der Titel mehr auf Tennis hindeutet, hat dieser Song mit dem ungemein eingängigen Refrain durchaus Potenzial zur Fußball-EM-Hymne. Im Hintergrund grölt Alexander Marcus immer wieder: „Wir sind die Champions!“

Alexander Marcus tritt morgen, 7. Juni., um 23 Uhr im Spindler & Klatt auf (Kreuzberg, Köpenicker Straße 16 - 17).

Mikko Andreas Stübner

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