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Fanale gegen das Banale: Interpol setzt auf Pathos

Das Pathos kehrt in die Rockmusik zurück. Die Band Interpol setzt sich mit ihrem neuen Album an die Spitze eines Trends.

Es ist eine alte und ungeklärte Frage, ob Musik über Katastrophen schöner ist als über Glücksmomente. Auf das Übel kann man wohl verzichten. In einer Welt ohne Glück aber muss etwas anderes an seine Stelle treten. Was das ist, wissen vier Herren ganz genau, die Literatur und Philosophie studiert haben, bevor sie sich entschlossen, Rockmusiker zu werden. Ein paar stürzende Töne auf dem Piano, gefangen in einer Wiederholungsschleife, wehende Gitarren-Akkorde, ein nervös trippelnder Drumbeat – nichts will vergehen in einem Song von Interpol. Die Zeile „There’s no change“ unterstreicht das. Einen Ort, an den man sich zurückziehen könnte, gebe es auch nicht, heißt es in „Try It On“ weiter, einem von zehn neuen Songs der New Yorker Band, mit denen sie etwas schafft, was nur wenigen Rockbands gelingt – Pop im Großformat.

Wie groß kann eine Band werden, ohne lächerlich zu sein? U2 wandeln seit Jahrzehnten auf diesem schmalen Grat. Den Menschen wollen sie Mut machen, was den Bombast ihres wolkigen Versprechens („I Still Haven’t Found What I’m Looking For“) als humanistischen Mehrwert legitimiert. Interpol wollen nicht helfen. Sie berauschen sich an einer Grandiosität, die ihren Grund nur noch in der Musik selbst hat. Damit stehen sie für einen aktuellen Trend: Irgendwann ist es genug mit den ironischen Spielchen und dem Sarkasmus der Hipster. Dann soll es auch im Pop mal wieder ums Ganze gehen. Um Großes. Unabweisbares. Um letzte Dinge und den Schmerz des Daseins, der auch in schwarzen Designeranzügen nicht abzuschütteln ist, wenngleich sie zu tragen einen wenigstens nicht aus der Mode kommen lässt. Interpol tragen dunkle Anzüge. Sie sehen gut darin aus. Mag die Popkultur auch mit aller Macht in die Gegenrichtung streben, ins Bunte und Applikative, Interpol singen vom Ernst des Lebens und haben enormen Erfolg damit.

Im Auftaktstück des unbetitelten Albums singt Paul Banks zu quecksilbrigen Glissando-Gitarren von seinen Träumen und fragt, „what safety can you find?“ Es hilft nichts, weiß er. Vor ihm breite sich nur „das große Unbekannte“ aus. Das trifft sich mit der Verachtung des Sängers und Gitarristen für so Profanes wie Politik. In „Barricade“ besteigt er die Sperren, die sich ihm in den Weg stellen, die man also wegräumen müsste, nur, um zu verkünden: „I could not lean on the politics/ ’Cause I didn’t want to train my eye/ To hold so short a time.“ So wird der Trennungsschmerz zu einem Kampf mit namenlosen Mächten stilisiert, die einen in die Niederungen des Alltags zerren wollen.

Es ist dieser existenzialistische Furor, der Interpol seit acht Jahren zu mächtigem Einfluss verholfen hat. Nicht nur, dass sie zur ersten Generation von Indiebands zählen, die mit traumhaften Umsätzen in den Mainstream-Pop eingebrochen sind. Längst folgen Geistesverwandte wie die Editors oder The National ihrer Spur in die Charts. Sie treffen mit heroischen Verweigerungsgesten den Nerv der Zeit und könnten einmal U2 beerben. Ihre Konzerte sind Messen. Nie öffnen sich die Musiker dem Publikum, stoisch stehen sie im Kunstnebel, von gleißendem Licht aus dem Hintergrund bestrahlt, unfähig, menschliche Regungen anders als in sublimen Klangschichtungen zu zeigen.

Es macht keinen Sinn, diese emotionale Abschottung arrogant zu finden. Ihre Ursprünge liegen im Post-Punk der siebziger Jahre und den „failures of the modern man“, von denen Joy Division 1979 sangen. Die vom Punk Enttäuschten griffen auf repetitive, gefühllose Klangmuster zurück, suchten sogar wieder nach der Schönheit einer Melodie, aber hatten im Prinzip aufgegeben, die Welt verändern zu wollen. Das verstanden sie als einen Akt der Rebellion.

Interpol und die Editors haben nie einen Hehl aus ihrer Verehrung für Joy Division gemacht. Ihre Musik steckt voller New-Wave-Reminiszenzen. Und zumindest die Editors bekannten sich freimütig zu den „second hand clichés“, denen sie nicht entrinnen könnten. Interpol haben es trotzdem geschafft. Sie haben jetzt ein so wuchtiges, dabei elegantes und fein ausbalanciertes Album aufgenommen, dass es der Sehnsucht nach ein bisschen mehr Haltbarkeit in der Popmusik neuen Auftrieb gibt. Wobei die Band zu wissen scheint, in welcher romantischen Tradition sie steht. Auf dem Cover zerfällt der in Beton gegossene Bandname in seine Bestandteile – eine Ruine zu Lebzeiten.

Tatsächlich hat das Quartett mit einem Bruch zu kämpfen. Nach den Aufnahmen eröffnete Bassist, Keyboarder und Arrangeur Carlos Dengler seinen Gefährten, dass er aussteigen werde. Seither wird über seine Gründe spekuliert. Er habe eigentlich schon vor drei Jahren aussteigen wollen, sagt Gitarrist und Sänger Paul Banks. Schlagzeuger Sam Fogarino meint, dass ihm das Bassspielen ohnehin nicht gelegen habe. „The Undoing“ sei Denglers Abschiedsgeschenk. Der Song erzählt davon, wie sich einer auf den Weg macht, um endlich zu sagen, was er schon lange weiß: „It’s no good.“ Und in Spanisch, der Muttersprache des Deutsch-Kolumbianers Dengler, heißt es weiter, dass er „sich loslasse“, denn „der Verlust wiegt den Gewinn nicht auf“.

Interpols melancholische Düsternis findet genau in dem Moment zu sich selbst, da es aufgehört hat, neue, aufregende Indiebands vom Himmel zu regnen. Kaum eine Band aus der zweiten Generation ist nach 2005, als die Arctic Monkeys neue Maßstäbe setzten, über ein annehmbares zweites Album hinausgelangt. Um die dritte Generation ist es noch stiller geworden. Zumindest The Wombats, ebenfalls wieder verschwunden, hatten eine Ahnung, warum. „Let’s dance to Joy Division“, scherzten die Liverpooler, „And celebrate the irony/ Everything is going wrong/ But we’re so happy.“ Das Modell der sich am eigenen Tempo berauschenden Rock-Emphase ist erledigt. Interpol und Bands wie die White Lies, Editors und Wild Beasts füllen diese Lücke, indem sie Gefühle entschleunigen. Sie machen Rockmusik im Abklingbecken.

„Interpol“ erscheint am heutigen Freitag bei Cooperative

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