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Ganz OHR: Lass mich dein Stöpsel sein

Andreas Schäfer erforscht, was unter fremden Kopfhörern klingt.

Musik hören heißt nicht immer Musik hören. Besonders, wenn es in der Öffentlichkeit geschieht. Man konnte es gerade wieder bei unseren Fußballern beobachten: Das I-Pod-Hören als Abschottung zur Außenwelt. Stöpsel im Ohr, kamen die Spieler aus dem Mannschaftsbus, und nicht nur der Tunnelblick sagte: Quatsch mich nicht an. Da ging es nicht um Musik, sondern darum, sich den anderen vom Leib zu halten. Raus aus meiner Welt, das suggerieren auch viele Zeitgenossen in der U-Bahn, wenn sie, Kopfhörer wie Helme über die Ohren geschnallt, die tief verhasste Gemeinschaftsfahrt hinter sich bringen. Geradezu gefährlich sind dagegen Musik hörende Fahrradfahrer. Der Musik hörende Fahrradfahrer will nicht Abstand zur Welt der anderen schaffen, er leugnet einfach ihre Existenz. Aufgeputscht vom Bassschlag aus den kleinen Knöpfen, wird ihm die Wirklichkeit zum Computerspiel-Parcours, in die Quere kommende Menschen, Tiere, Gegenstände werden entweder umgefahren, weggeblafft oder durch Laserblicke gleich pulverisiert.

Ganz anders – aber nicht weniger theatralisch – vollzieht sich das öffentlich einsame Musikhören an sogenannten Hörbars. Kulturkaufhaus Dussmann, 19 Uhr 40, an der Musiktheke ereignet sich ein stilles Drama, über das Peter Handke wahrscheinlich ein ganzes wortloses Stück schreiben könnte. Bis eben hat die junge Frau mit dem Nasenring sich noch hektisch durch einen CD-Stapel gearbeitet. Scheibe rein. Start. Missmutiges Reinhören. Nächste CD. Doch jetzt hat sie offenbar etwas gefunden, strahlt und will ihr plötzliches Musikglück partout selbstlos teilen.

Doch kein Mensch strahlt zurück. Der Spezialist, eben noch neben ihr, wusste eh, was er wollte, und befindet sich schon auf dem Weg zur Kasse. Ich versuche mich auf die Stimme einer griechischen Schnulzenkönigin zu besinnen, und der junge Mann zwischen uns ist selbst von der Kunst des Musikhörens absorbiert. Selig lächelnd schaut er ins Nichts und verstreut dabei gleichzeitig zaghafte Seitenblicke, verschämt darüber und stolz zugleich, bei dieser intimen Tätigkeit nicht allein zu sein.

Da nähert sich eine Frau aus Ostasien dem Mann, der die Zellophanhüllen aufschneidet. Sie hält ihm eine CD mit dem Titel „German Drinking Songs“ hin und fragt gut vernehmlich: „Können Sie mir die empfehlen?“ – „So etwas würde ich mir nie freiwillig anhören“, sagte der Mann freundlich. Was für Klängen lauscht eigentlich der Jüngling mit dem entrückten Blick? Buddhistischer Entspannungsmusik? Nein. Auf seiner Hülle prankt das Grinsegesicht des neuen Techno-Schlagerstars Alexander Marcus. Freundlicher Dussmann-Angestellter hinter der Hörbar-Theke, deine Leiden müssen unbeschreiblich sein! Du musst uns nicht nur beim Hören zusehen. Du weißt auch immer, was es ist.

Zum Start unserer Sommerserie schrieb Christiane Peitz über Schubert im Regen. Nächste Folge: Nadine Lange lauscht einem liebeskranken Kroaten.

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