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Dave Gahan

© Anton Corbijn

Interview: Der Tod und die Tochter

Dave Gahan ist die Stimme von Depeche Mode. Mit seinem Soloalbum setzt er einen neuen Anfang. Ein Tagesspiegel-Gespräch

Sie sind als Frontmann von Depeche Mode ein Sexsymbol gewesen. Sie sind sehr hoch gestiegen und tief gefallen – Alkohol, Drogen, klinischer Tod. Haben Sie ins Leben zurückgefunden?

Es gab sehr düstere Zeiten in meinem Leben. Dort verharrte ich zu lange. Es war schwierig, etwas zu finden, das mich mit Freude erfüllt hätte. In den letzten zehn Jahren hat sich das wirklich verändert. Es war ein Kampf. Die Geburt meiner Tochter vor acht Jahren hat mich definitiv wachgerüttelt.

Dave Gahan hat das wilde Leben aufgegeben und ist jetzt solider Familienvater?

Genau. Ich denke, das wollte ich immer. Normal sein. Ich war in einer erfolgreichen Band, und das erlaubte mir all den Luxus. Es war zu früh – ich war zu leichtfertig. Heute schätze ich die Arbeit viel mehr, die wir über all die Jahre mit Depeche Mode gemacht haben.

Ihr erstes Soloalbum „Paper Monsters“ war sehr autobiografisch. Gilt das auch für „Hourglass“?

Ich denke schon. Als wir „Hourglass“ aufnahmen, habe ich „Paper Monsters“ oft angehört. Ich wollte herausfinden, was mit mir passiert war. Nun kann ich erkennen, wie verzweifelt ich versucht habe auszudrücken, wie ich fühlte. Wohin ich gegangen war und wo ich sein wollte. „Hourglass“ handelt mehr davon, wo ich jetzt bin.

Und wo sind Sie?

Ich beginne, alle Teile meiner Persönlichkeit klar zu erkennen – und wie sie sich manchmal in die Quere kommen. Ich merke, dass ich lange Jahre nicht genug Zeit für wahre Empfindungen hatte. Heute bin ich meinem Leben weit mehr verbunden und viel öfter zufrieden. Auch wenn ich noch manchmal beunruhigt bin und mich fühle, als ob ich jemand anders sein sollte. Aber so ging es mir immer.

Wie drücken Sie denn mit „Hourglass“ Ihre Gefühle aus?

Musik ist immer Gefühl für mich. Egal ob ich die Songs von Martin Gore singe oder selbst welche schreibe. Meine Songs entstehen mehr aus den Gefühlen heraus, die ich in dem Moment in mir trage. Selten inspiriert mich eine formulierte Idee. Frustration, Zorn, Traurigkeit, Melancholie, Hoffnung, Freude. All diese Gefühle sind oft in mir, und sie alle können zu jedem Song beitragen. Manchmal wird es nur durch die Musik ausgedrückt oder nur durch den Text und manchmal ist es eine Kombination von beidem. Man kann melancholische Texte in einer klingenden Melodie ausdrücken und das ist dann sehr erhebend. Die Melodie scheint dann voller Hoffnung. Das habe ich in all den Jahren gelernt, in denen ich die schönen Songs von Martin gesungen habe.

Wie fühlen sich denn heute die alten Depeche-Mode-Songs an, wie sehr sind Sie ihnen beim Singen noch verbunden?

Zu manchen mehr als zu anderen. Einige Songs haben einen Nachhall tief in mir und manche nicht. Sie auf Konzerten zu verkörpern, ist eine Art Erleichterung. Manchmal aber auch schmerzhaft. Mir fiel es immer schwer, Songs wie „I Just Can’t Get Enough“ zu spielen. Es ist etwas, das irgendwie außerhalb von mir ist. Das den Fans gehört, aber nicht mehr mir selbst. Wenn ich „Walking In My Shoes“ oder „I Feel You“ singe, ist es anders.

Ist „Hourglass“ der Ausbruch aus der Dominanz von Martin Gore als Songschreiber für Depeche Mode?

Ja. Ich merke immer mehr, dass ich eine eigene Stimme finde. Dass ich fähig bin, meine Stimme in Musik zu artikulieren. Ich glaube, dass das für die Zukunft von Depeche Mode wichtig wird. Wir haben eine neue Palette, mit der wir malen können. Als wir begannen, „Playing The Angel“ aufzunehmen …

… das letzte Depeche-Mode-Album, auf dem Sie schon einige Texte verfassten …

… war es wohl auch für Martin eine Erleichterung. Dass nicht mehr alles auf seinen Schultern lastete. Natürlich hat er viel mehr geschrieben als ich. Aber es hat mich befähigt, gespannter in die Zukunft zu blicken. Die Fenster sind plötzlich offen, und neue Ideen kommen herein.

Werden Sie für ein neues Album von Depeche Mode wieder selber schreiben?

Ja. Sonst würde ich ein neues Album gar nicht in Betracht ziehen. Ich plane jedenfalls, in diesem Jahr wieder zu schreiben, und ich habe da eher Depeche Mode im Sinn als ein Soloprojekt.

Worauf werden Sie sich konzentrieren?

Das ist noch zu weit weg. Ich lerne gerade, dass es am wichtigsten ist, wenn man sich erst mal zurückzieht, um die Ideen aufzuspüren, die wirklich von Belang sind. Bleib im Hintergrund, denke über Dinge nach, aber posaune sie nicht gleich heraus! Über Jahre hat es für mich gut geklappt, nur aufzutreten. Aber während wir „Exciter“ produzierten …

… das vorletzte Depeche-Mode-Album …

… hatte ich all diese Energie und wusste nicht, wohin damit. Jetzt habe ich zu mir gefunden.

In „People Are People“ …

… oh Mann, den Song haben wir schon mehr als 20 Jahre nicht gespielt …

… fragen Sie, warum Menschen nicht gut mit anderen Menschen auskommen. Verstehen Sie heute, 24 Jahre später, warum wir von so viel Hass umgeben sind?

Wir verbringen viel Zeit damit, uns darauf zu konzentrieren, was jemand anderes tut. Man baut Ärger auf und das führt zu Frustration und Angst. Das ist keine gute Basis. So dachte ich die ganze Zeit, dass andere Menschen dafür verantwortlich wären, wie ich mich gefühlt habe. Aber ich musste lernen, dass das nicht der Fall ist. Niemand anderes ist dafür verantwortlich, was ich von mir selbst halte.

„Ich glaube nicht an Jesus“, singen Sie in ihrer Singleauskopplung „Kingdom“, die morgen erscheint. Woran glauben Sie?

Es ist nicht dieser religiöse Jesus. Manchmal finde ich mich auf den Knien wieder und bete zu etwas, das ich nicht kenne. Aber ich weiß, dass es viel größer ist als ich. Ich glaube, dass es über mir ein Königreich gibt. Nennen Sie es Instinkt oder wie immer Sie wollen. Es gibt da einen Engel auf meiner Schulter, der mir hilft. Das ist dann die andere Stimme, die meinen Willen manchmal zurücklenkt und die Dinge kontrolliert.

Das Interview führten Sonja Hasewend und Ingo Wolff. „Hourglass“ von Dave Gahan erscheint am 19. Oktober bei Mute.

DAVE GAHAN, 45, gründete mit Andrew Fletcher und Martin Gore 1980 die Band Depeche Mode. Sie verkaufte 56 Millionen Alben. Seit 2003 arbeitet Gahan auch als Solo-Künstler.

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