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© ddp

Interview mit Thees Uhlmann: Mehr Mut zum Pathos

Auf Deutsch singen? Schon lange kein Ding der Unmöglichkeit mehr, findet Tomte-Sänger Thees Uhlmann. Allerdings gibt es Zeilen, die nur auf Englisch funktionieren.

Herr Uhlmann, Sie waren 2005 Gastdozent in den USA. Wie bringt man amerikanischen Studenten deutsche Popmusik näher?

Ich habe Hörbeispiele mitgebracht – alles von Kreator über Kraftwerk bis hin zu aktueller Musik aus Hamburg. Ich begann rudimentär: Wie eine populäre Kultur im Dritten Reich ausgerottet wurde, dass viele Kulturschaffende ermordet oder ins Exil gezwungen wurden. Ich habe auch erklärt, dass in der westlichen Popwelt die englische Sprache als Instrument gilt, aber nicht die deutsche in Deutschland. Wir hören extrem auf den Text, bevor die Stimme zum Instrument wird. Wenn ich singe „Ich trinke Kaffee am Morgen und rauche eine Zigarette“, dann hört sich das auf Deutsch dämlich an, aber auf Englisch stört es kaum jemanden.

Wäre Ihr Vortrag 2008 der gleiche?

Eine Band wie die Beatsteaks würde Erwähnung finden. Und ich würde auf die weltweite Rolle Berlins eingehen. Jeder jugendliche und kreative Globetrotter will nach Berlin, die Partyszene ist ein Markenzeichen geworden.

Gibt es einen berlintypischen Sound?

Was Rock und Pop betrifft, nein. Darum geht es auch nicht. Die Musiker wissen, hier können sie für 250 Euro eine Wohnung mieten zwischen Peter Fox, Elke und Polarkreis 18.

Ist der Umgang mit deutscher Popkultur unverkrampfter geworden?

Ich bin mir nicht sicher. Neulich habe ich Coldplay gehört, eine der größten Konsensbands, und mir fiel auf: Solche Texte hätten auf Deutsch nie funktioniert. Ein Lied wie „Yellow“, da sagt das Radio, der Song ist zu extrem, weil die Gitarren verzerrt sind. Und wenn eine Platte „Tod allen ihren Freunden“ hieße, würden sich alle wundern, was für ein harter Titel das ist. Auf Englisch ist das okay, auf Deutsch nicht.

Sie haben mal gesagt, dass deutsche Künstler nicht hinter ihren Texten stehen.

Wenige Leute denken darüber nach, was sie singen, sondern singen einfach vor sich hin. Sie empfinden Lyrik nicht als Bereich der Kunst, sondern denken: Hauptsache, etwas gesagt. Mir macht ein Lied wie „Alles neu“ von Peter Fox Spaß, weil ich das lyrisch genial finde – über so einen Text kann man im Deutschunterricht 45 Minuten reden.

Wie wichtig finden Sie den Reim?

Der Klang ist wichtiger. Ich feile so lange an den Texten, bis sie gut klingen – aber sie müssen sich nicht reimen.

Ein Beispiel für den richtigen Klang?

„Wir zwingen die Zukunft zu funktionieren.“ Viele Zs, viele Ks – toll.

Im englischen Pop liebt man das Pathos – warum nicht im deutschen?

Das frage ich mich auch. In französischen Chansons singt man: „Du bist die Einzige, ich werd mich heute Nacht umbringen.“ In Deutschland ist das nicht angesagt, das geht den Menschen zu tief. Wir waren mal mit einer israelischen Band auf Tour, und der Sänger sagte zu mir: Ihr Deutschen habt einen Stock im Arsch, wenn es um große Gefühle geht. Das trifft es ganz gut.

Sie mögen aber Pathos, oder?

Bei Tomte spielt eine Mischung aus Pathos im positiven Sinne und Experimentieren mit der deutschen Sprache eine Rolle. Wir dehnen den Sinn der Sprache, gehen an die grammatikalischen Grenzen. Manchmal höre ich: Das kann man doch so nicht singen. Doch, das muss so gesungen werden, weil ich eben etwas sagen will, das falsches Deutsch ist.

Deutsche Popmusik ist trotzdem erfolgreich. Eine deutsche Soulband wie die Söhne Mannheims wäre vor zwanzig Jahren undenkbar gewesen.

Wissen Sie, man kann auch gegen Ich & Ich oder Silbermond schreiben, aber je älter ich werde, umso mehr gelange ich zu der Einsicht: Wenn sich 20 000 Leute freuen und sich nicht auf die Schnauze hauen, kann es im Kern nicht schlecht sein.

So wie bei Tokio Hotel.

Finde ich gut.

Aber wofür steht die Band?

Sie steht für ein sich auflösendes Bild von Männlichkeit. Wir erleben schreiende Mädchen, die erste sexuelle Gefühle erleben – für einen Jungen, der so androgyn aussieht, dass man nicht weiß, ob er Mann oder Frau ist. Das ist die boulevardeske Komprimierung von Teenage-Angst und Emo-Rock.

Was halten Sie vom deutschen HipHop?

Das ist der absolute Pop geworden. Vor Jahren war es noch eine Provokation, Slime zu hören mit „Deutschland muss sterben“. Das war nicht das Schlauste, aber es gab Kraft. Die Eltern sind ausgeflippt, wollten diskutieren, wollten mir verbieten, das zu hören – und natürlich habe ich es weiter gehört.

Schockelemente funktionieren noch?

So sehe ich das. Ich finde es schlimm, wenn Menschen über 30 die Jugend bevormunden. Ich glaube, Mädchen können reflektieren, wie das gemeint ist, wenn jemand „Hure“ singt. Ich glaube allerdings, Jungs sind zu unreif in dem Alter, um den Unterschied zwischen Kunstprodukt und Realität zu erkennen. Sie reduzieren Mädchen dann auf Anhängsel zur Druckbefriedigung. Das finde ich befremdlich und reaktionär. Popmusik soll in meiner Vorstellung progressiv sein. Aber es ist halt immer so: Wenn jemand vor 500 Menschen das schönste Gedicht der Welt vorliest und jemand schreit „Guck mal, dahinten scheißt jemand in die Ecke“, dann werden sich 499 Menschen umdrehen.

Wenn Sie auf 2008 zurückblicken, welches Pop-Phänomen hat Sie beeindruckt?

Dass „Drei Tage wach“ eine Abi-Hymne geworden ist. Ein beatgeschwängerter Spitzensong über gesundheitsruinierende Partyexzesse. Das läutet die zweite, dritte oder vierte Technowelle ein. Ich muss nicht daran teilnehmen, aber ich finde es interessant, wenn mich Freunde am Sonntagnachmittag anrufen, um mir zu sagen, dass sie gerade auf einem Erwachsenenspielplatz tanzen, während ich mit meiner Tochter auf dem Kinderspielplatz bin.

Gibt es mittlerweile Produzenten in Deutschland, die wie Pharrell Williams in den USA zur Marke geworden sind?

Es gibt hier keine große Produzentenkultur. Es gibt einzelne Figuren, die für bestimmte Generationen wichtig sind – wie Chris von Rautenburg für die Hamburger Schule oder in Berlin Moses Schneider. Ich sehe aber nicht die Vehemenz wie in Amerika. Viele Produzenten gucken, wie das anderswo gemacht wird, und versuchen, das am Mischpult zu reproduzieren. Das hat nicht die Originalität eines Timberland, der einen neuen Sound kreiert.

Glauben Sie, Popmusik gehört noch zur Jugendkultur wie in Ihrer Jugend?

Es gehört auf jeden Fall dazu. Das Mobiltelefon ist der Ghettoblaster des neuen Jahrtausends. Das funktioniert nicht mehr nach dem Prinzip „Ich gehe durch die Gegend und höre meine Musik“, sondern „Ich bin ich – und das dokumentiere ich durch meine Musik, die ihr gerade so nervig in schlechter Qualität hört“. Das hat dieselbe Funktion wie früher ein Aufnäher der Lieblingsband.

Tut es Ihnen weh, Ihre Lieder auf Handys zu hören?

Nein, was der Konsument mit der Kunst anfängt, bleibt ihm überlassen.

Ein Fazit zum Schluss: Ist Deutsch als Sprache im Pop etabliert?

Ich glaube, sie ist seit Udo Lindenberg und Ton Steine Scherben etabliert. Vielleicht wird die Sprache heute ernster genommen. Wir unterhalten uns in unseren kleinen Zirkeln darüber, wie toll eine amerikanische Band wie MGMT ist, aber demnächst spielen Rosenstolz drei Mal hintereinander in der Wuhlheide. Das ist eine Band, die ich megamäßig okay finde. Die haben in Schwulenbars auf dem Tresen gespielt. Die haben jeden Respekt verdient.

Finden Sie eine Band besser, wenn sie lange durchgehalten hat?

In Schwulenkneipen aufzutreten ist keine Strategie, um fünfzehn Jahre später die Wuhlheide auszuverkaufen. Die haben mehr Respekt verdient als eine popelige Indieband, die für zwei Jahre die Schnauze aufreißt, schnöselig den Rock in Niederschopfenhofen neu erfindet – und nach zwei Platten feststellt, dass es ihnen doch nicht egal ist, wenn sie auf dem Boden schlafen müssen.

– Thees Uhlmann wurde 1974 im Raum Hamburg geboren. Seit Mitte der neunziger Jahre ist er Sänger der Band Tomte, deren fünftes Album „Heureka“ am Freitag erscheint. Am 8. Oktober um 20.30 Uhr spielen Tomte zur Eröffnung der Popkomm auf der „Visions“-Party im Kesselhaus. Mit Uhlmann sprach Ulf Lippitz .

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