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Itchyban

© David Cuenca

Itchyban im Interview: "Armut ist Scheiße"

Itchyban, Sänger der Berliner Band "Culcha Candela", erklärt im Interview mit Tagesspiegel.de, warum er gegen Armut aufsteht.

In eurem Lied ‚Besonderer Tag' beschreibt ihr Tage, an denen man sich so  fühlt, als könne man die Welt verändern. Ist heute solch ein Tag?

Wenn man die ersten politischen Schritte macht, dann denkt man, man muss die ganze Welt auf einmal umkrempeln. Das funktioniert natürlich nicht. Aktionen wie der Armutsaktionstag sind auf jeden Fall wichtig. Die Vereinten Nationen fordern die Bürger dazu auf, die Politiker an ihr im Jahr 2000 gemachtes Versprechen zu erinnern, die weltweite Armut zu halbieren. Mit dem Erinnern ist das so eine Sache - die haben es ja nicht vergessen. Es sieht ziemlich schlecht aus, dass die Entwicklungsziele erreicht werden. Aber man sollte sich immer möglichst große Ziele setzen damit man dann wenigstens die Hälfte davon erreicht. Es ist natürlich schwierig, weil in den Vereinten Nationen auch Länder sind, die nicht wirklich demokratisch sind. Russland beispielsweise, wo die HIV-Infektionen zunehmen, wo man die Leute einfach nicht aufklärt und das Problem leugnet. Oder Länder, in denen Frauen Menschen zweiter Klasse sind. Das ist natürlich schwierig, aber es muss weiter gehen. Es muss was gemacht werden. 

Wie lässt sich die Ohnmacht der Hilflosigkeit überwinden?

Man kann vor allem durch kleine Sachen die Welt verändern. Wenn man lokal handelt in seinem direkten Umfeld, dann kann sich das dominomäßig fortsetzen. Wir sind ja seit fast sieben Jahren eine Band. Wir sind sieben Jungs mit verschiedenem sozialen und kulturellen Hintergrund. Wir singen und rappen in drei verschiedenen Sprachen. Das ist auch ein Zeichen an die Leute, dass man über kulturelle Grenzen hinweg gemeinsam was verändern kann.

Ihr seid eine Band mit sozialem Engagement. Wie kam es dazu?

Unsere Texte sind von Stunde eins politisch. Wir machen keinen Battle-Rap, dass heißt wir machen andere Leute  nicht schlecht in unseren Liedern. Wir rappen nicht Drogen nehmen ist cool und Dauerparty ist geil und über dicke Autos und fette Ketten. Wir sind für Gleichberechtigung, für Einheit und vor allen Dingen lassen wir keinen Sexismus in unseren Texten zu. Wir dachten nicht irgendwann, dass wir uns jetzt mal engagieren müssen, vielleicht kommt das cool und dann ruft auch der Tagesspiegel an. Es war von Anfang an so. Aber wenn man ein bisschen mediale Aufmerksamkeit hat, sollte man das natürlich auch nutzen.

Wie kommt ihr zu den Projekten - oder finden die Projekte euch?

Man glaubt gar nicht, wie viele Leute Gutes tun. Da muss man ein bisschen aussuchen. Viele Ideen kommen auch von uns, zum Beispiel das Projekt Africa Rise. Johnny aus unserer Band ist Deutsch-Ugandaer. Wir haben in Eigeninitiative einen Sampler auf die Beine gestellt und den überall wo wir waren verkauft. Mit dem Geld abzüglich der Produktionskosten haben wir eine Schule in Uganda gebaut. Mit dem Geld was bis heute noch reinkommt unterhalten wir die Schule: Wir bezahlen Lehrer und Material. Es ist eine handwerkliche Berufsschule.

Seid ihr selbst dort gewesen?

Johnny war schon öfter da und er fliegt auch regelmäßig hin. Nächstes Jahr wollen wir dort mit Gentleman zusammen einen kleinen Auftritt geben. Da stecken wir in den Vorbereitungen. Johnny bringt uns immer Fotos mit. Naja, eigentlich ist das ganze Geld ja in eine Villa geflossen, die er sich dort gebaut hat. Er läuft immer da rum und fotografiert kleine Kinder auf der Straße und wir sagen dann "oh, wie süß". Wir sitzen dann so auf dem Sofa und unser Gewissen ist beruhigt. (lacht) Das war jetzt natürlich ein Scherz. Africa Rise ist ein Herzensprojekt.

Euer Credo ist "Verändere die Welt durch gute Vibes!" - was kann Musik wirklich leisten?

Über Live Aid und Bob Geldof schimpfen die Leute immer. Sie finden die Show gut, aber fragen sich, was es denn bringt. Ja, was bringt es? Wenn so viele Menschen zusammen kommen zeigt es im Prinzip, dass sie die Schnauze voll haben. Das finde ich schon mal cool. Manche denken auch, wenn ich da hin gehe, muss ich Weihnachten nicht spenden. Aber Musik ist ein Filter der Umwelt, in der sie entsteht. Wir sind wie ein Katalysator: Die Sachen die uns durch den Kopf gehen versuchen wir in Worte und Musik zu  fassen. Das spricht vielen Menschen aus dem Herzen. Musik funktioniert ja über Emotionen: Das ist der Rhythmus wo ich mit muss und der Text sagt was ich schon immer sagen wollte. Deswegen wirkt Musik auf viele Leute. Deshalb müssen wir als Musiker auch genau wählen wie wir etwas sagen, weil wir auch eine Verantwortung haben gegenüber den Leuten, die unsere Musik hören. 

Ihr seid auch auf dem Rap-Soundtrack "Deutschlands vergessene Kinder" zu den Büchern der Arche Kinder- und Jugendhilfswerke mit einem Lied vertreten…
 
Lokales Engagement kommt bei uns an erster Stelle. Die Arche ist was ganz wichtiges: Es gibt in unserem Land - in dem eigentlich keiner hungern muss - viele arme Kinder, die nicht ein Mal am Tag etwas Richtiges zu Essen bekommen. Und es gibt eine Dunkelziffer von 2000 bis 3000 Kindern, die obdachlos sind. Die meisten davon leben in Berlin. Das sind Deutschlands vergessene Kinder. Es ist ein Unding, dass es so etwas in einer Gesellschaft gibt, die doch eigentlich jeden auffängt. 

Wo siehst du Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten zwischen der Armut in Deutschland und in der so genannten Dritten Welt?

Armut ist Armut. Armut kann aber nicht nur an Geld festgemacht werden. Armut ist auch der Mangel an gesundheitlicher Versorgung und Aufklärung. Der Mangel an Trinkwasser. Armut ist, wenn jemand kein Dach über dem Kopf hat. Oder der Mangel an Bildung. All diese Dinge sind Armut. Es ist verantwortungslos wie Leute in den Industrieländern mit den Ressourcen umgehen. Hier steht uns alles zur Verfügung und die Leute bemerken es gar nicht. Armut ist hier etwas anderes als in einem Entwicklungsland. Es gibt ganz viele Arten von Armut und alle sind Scheiße.

Wenn du durch Berlin gehst, wo begegnet dir dann Armut?

Mir ist in letzter Zeit etwas ins Auge gestoßen: Immer mehr Leute laufen durch die Gegend und durchwühlen Mülltonnen. Auch Leute, die nicht obdachlos sind. Leute, die wenig Geld oder nichts zu essen haben. Sie versuchen Pfandflaschen herauszusammeln. Das gab es früher nicht, das ist Armut in Berlin. Abgesehen davon, dass in meinem Hauseingang im Winter immer Obdachlose übernachten, weil es da so schön warm ist.

In eurem Lied "African Children" fordert ihr von den Politikern, mit dem Lügen aufzuhören. Was sollte die Politik leisten, um die Welt zu verbessern?

Ein Politiker zu sein, ist sicher nicht immer leicht. Um es mit der Kunst auszudrücken: Du guckst dir ein Bild an, und da sind zwei verschiedenfarbige Striche drauf. Da kann man sagen "ich hätte das auch gekonnt". Aber man hat es nicht selbst gemalt. Man kann immer meckern, aber man ist selbst nicht in der Verantwortung. Es gibt viele Politiker in Deutschland, die denken, sie würden im Sinne der Mehrheit, des Volkes, handeln. Es ist immer leichter, Sachen zu kritisieren. Politiker machen nicht immer alles richtig, aber was ist die Alternative zu diesem politischen System? Demokratie ist cool. Wir haben freie Wahlen, die werden regelmäßig durchgeführt und da wird nicht gemogelt. Und deswegen haben wir als Bürger auch Verantwortung. Als Mensch, der in diesem Land lebt, sollte man seine politischen Möglichkeiten auch nutzen. Die Leute sollten sich auch mehr für die Dinge in der Welt interessieren. Mündige Bürger find ich gut. Und dann klappt das auch mit der Politik.

Das Gespräch führte Jasmin Rietdorf.

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