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Konzert: Donner und Sirenen: Neil Young in Spandau

Neil Young und Band füllen ihr anhängliches Publikum in der Zitadelle Spandau mit Erinnerungen ab.

Von Gregor Dotzauer

Drei, vier Takte – und alles ist entschieden. Eine Arme reckende Instantbegeisterung explodiert auf dem Rasen der Zitadelle Spandau, ein Mehrtausendfüßler wiegt sich im Rhythmus schwerblütigen Gitarrendonners, und sobald sich darüber Neil Youngs nasaler Sirenengesang erhebt, ist die Menge gar nicht mehr zu halten. Musikalisch umworben und überzeugt muss hier niemand werden. Es genügt, mit Erinnerungen abgefüllt zu werden. Auf dem tagesformunabhängigen Niveau, auf dem Neil Young und seine fünfköpfige Band losrumpeln, kann dabei kaum etwas schiefgehen, aber eben auch nichts wirklich glücken.

Das Ganze ist durchgeplante Reproduktion, nicht Ereignis. Vor ein paar Tagen in Leipzig, heute in Berlin – und morgen vielleicht schon in Las Vegas. Ein vom elektrischen zum akustischen zu elektrischem Teil überschwenkender Abend zum Mitsingen, für Menschen ohne Repertoirekenntnis nicht einmal der halbe Spaß, eingerahmt von den beiden großen Rock’n’Roll-Hymnen, die man für immer mit Neil Young assoziieren wird, von „Hey Hey, My My“ und „Rockin’ in the Free World“. Dazwischen Greatest Hits aus vierzig Jahren, „Heart of Gold“, „The Needle and the Damage Done“ und „Cowgirl in the Sand“ eingeschlossen – und als Zugabe Lennon/McCartneys „A Day in the Life“. Young ist ja inzwischen selbst ein Klassiker.

Aber was heißt das? Es gibt Lieder, die ihre Entstehungszeit irgendwann hinter sich lassen und solche, die sich als Ausdruck einer bestimmten Lebensphase nur nostalgisch beschwören lassen – und sei es, um die alten Dämonen zu bannen. Neil Young hat von diesen Liedern mehr als genug, und dass ein Teil seines Publikums ihn auf dem Weg in die Depression und aus ihr heraus begleitet hat, schafft eine Anhänglichkeit, von der andere Musiker bis heute träumen.

Man könnte auch sagen, dass Stücke wie „Cortez the Killer“ von seinem Album „Zuma“ (1975) deshalb so unverwüstlich sind, weil sie ohnehin nur Material abgeben für seinen Gitarrenschredder. Doch obwohl musikalische Innovation, wie neuere Songs beweisen, in Neil Youngs Rock’n’Roll-Welt ohnehin eine fragwürdige Kategorie ist: Es kommt schon in erster Linie auf Wiedererkennbarkeit und Wiederholung an. So viel stärker historisch die Affektwelt eines Beethovenschen Streichquartetts aufgeladen sein mag – gemessen an einem Stadionrockkonzert wie diesem ist ihre Verlebendigung reine Gegenwart.

Der Druck stimmt dennoch: bei Neil Young, der trotz seiner 62 Jahre als wütender Guitarrero keine Sekunde lang peinlich wirkt – und bei seiner Band, die mit Bassist Rick Rosas, Drummer Chad Cromwell und Ben Keith an der Steel Guitar ein zuverlässiges Kraftwerk bildet. Und im Hintergrund schunkelt und schubiduht Ehefrau Pegi. Gregor Dotzauer

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