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Runter vom Deich. rein ins Quasimodo: Shannon Lyon tritt in Berlin auf.

© Promo

Konzert in Berlin: Shannon Lyon rockt das Quasimodo

Es klingt wie der verhaltene Anfang eines Stones-Songs. Akustikgitarre à la "Street Fighting Man", ruhiger Gesang. Doch schon kracht elektrische Energie dazwischen: Bass, Schlagzeug, Orgel, Telecaster. Shannon Lyon & The Boys In The Berlin Band rocken das Quasimodo.

Vor fünf Jahren war der kanadische Singer/Songwriter Shannon Lyon zum ersten Mal in Berlin und eroberte im kleinen "Berlin Guitars" die Herzen der verblüfften Zuhörer im Sturm. Ein einsam reisender Troubadour, immer unterwegs – Kanada, USA, Australien, Europa – immer auf der Flucht, gehetzt von den eigenen inneren Dämonen, langen Schatten der Vergangenheit.

Zu seinem und zum Glück seiner Fans besitzt Shannon Lyon die außerordentliche Gabe, Erinnerungen an harte Schicksalsschläge – Trennungen, Zerwürfnisse, Todesfälle – zu verarbeiten und umzuwandeln in bittersüße introspektive Songs. Lieder über Trauer, Depression und Einsamkeit, denen die magische Fähigkeit innewohnt, den Hörer nicht mit herabzureißen, sondern ihn zu verzaubern, zu beglücken und zu trösten. Womit er sich einreiht in die beste Tradition des großen Meisters trauriger Songwriterkunst: Townes Van Zandt. Die Seelenverwandschaft mit Van Zandt ließ Lyon ein ganzes Album aufnehmen mit Songs des großen Vorbildes, exzellente Coverversionen mit eigenem Charakter, die sich jederzeit hören lassen können neben denen des texanischen Songwriterkollegen Steve Earle auf dessen Album "Townes".

So bedauerlich wie unverständlich ist es, dass Shannon Lyons exquisites "Townes Van Zandt"-Album bis heute nicht veröffentlicht wurde. Erschienen ist allerdings vor einigen Tagen das Album "This Love This Love", aufgenommen im Keller eines alten Berliner Krankenhauses, mit Berliner Musikerfreunden, die Lyon sinnigerweise "The Boys In The Berlin Band" genannt hat, vielleicht weil er überall, wo er hingeht, wo er gerade ist, mit anderen Musikern zusammenspielt: In Kitchener, Ontario, wo er herkommt, in Holland, wo er zur Zeit lebt. Oder in Berlin, wo er ebenfalls kurze Zeit gewohnt hat, und wo er am Samstagabend eben mit jenen "Boys In The Berlin Band" auf der Bühne vom Quasimodo steht, im schwarz-rot-gelb karierten Farmerhemd, mit Jeans und derben Stiefeln und einer Frisur wie ein Helm mit schiefem Visier.

Flankiert von zwei sehr dünnen, langen Männern: dem ehemaligen "Poems For Laila"-Bassisten Christian Podratzky und dem noch dünneren, ehemaligen "Pearls At Swine"-Gitarristen Kolja Lieven, dessen Frisur, Mimik und Bewegungen inspiriert sind vom Keith Richards der 70er-Jahre, als der auch noch jung und lang und dünn war. Natürlich sind auch Lievens Fills und Riffs und Licks, sowie die hohe Kunst der weggelassenen Töne und Akkorde, beste Keith-Richards-Schule. Ergänzt noch mit etwas feinem Nashville-Country-Twäng.

Sein Bruder Alexander Lieven bedient hinten ein kleines Schlagzeug abwechselnd mit Wischbesen, leichtem Gestöck und härteren Klöppeln. Links außen mit lustig modischem Schweinepastetenhütchen spielt Danny Dziuk – ja der aus "Dziuks Küche" – geschmackvoll versierte Tasten, abwechselnd zwischen Hammond-B3-Sounds, Garth-Hudson-Jahrmarktpumporgel und flink holzigem Marimbageplöckel. Dazwischen steht Shannon Lyon mit seiner geschundenen, hart gereisten Taylor-Akustikgitarre und singt die Songs vom neuen Album "This Love This Love" (Inbetweens Rec.). Das neue Album rockt. Die Band im Konzert rockt. Das Publikum rockt.

Vielleicht ist das dann auch ein bisschen das Problem: dass es rockt, immerzu rockt, vielleicht ein bisschen zu sehr rockt. Zumindest diejenigen Zuhörer mögen das so empfinden, denen Lyons brillante frühere Alben wie etwa "Summer Blonde" (1999), "Wandered" (2003) und "Safe Inside" (2006) mit den Jahren fast so sehr ans Herz gewachsen sind wie die Platten von Townes Van Zandt. Und diejenigen, die sich mit Freude erinnern an die herausragenden Solo- oder auch Duo-Konzerte mit Kolja Lieven vor einigen Jahren im "Berlin Guitars".

Natürlich ist nichts einzuwenden gegen Rock und gegen eine Band, die rockt. Nur im Falle Shannon Lyon ist es ein bisschen schade, dass seine hervorragende, anrührend angekratzte Stimme hier nicht mehr herausragt, sondern im rockigen Mainstream absäuft. Wie auch sein tolles rhythmisches Flatpicking auf der Akustikgitarre in den Klangwellen der Band untergeht.

Mit sparsamer arrangiertem Akustik-Sound kann Shannon Lyon magische Momente erzeugen, mit rockigem Band-Sound schwimmt er im Durchschnitt rockiger Bands. Doch da Lyon unberechenbar ist, kann beim nächsten Mal schon alles wieder ganz anders sein. Vielleicht macht er dann Jazz oder Punk. Aber das "Townes Van Zandt"-Album sollte er unbedingt veröffentlichen.

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