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Konzertbericht: Die Nacht der langen Gitarren

Reiche Ernte, spätes Licht: Neil Young spielte sich im Berliner ICC durch vier Jahrzehnte Rockmusik. Bühnenshow? Die gibt es bei seinen Auftritten nicht.

Drehen wir die Uhr zurück. Dienstagabend, viertel vor Elf, ICC Berlin. Rockkonzerte verlangen Geduld, das weiß man seit Woodstock, das gehört dazu. Und wenn der Rock auch tausend Mal klassisch geworden ist und sich in Film-Dokus verewigt– hier gibt es kein ausgedrucktes Programm, man kann nur im Internet schon mal nachschauen, was Neil Young auf seiner „Continental Tour 2008“ in Wien oder Paris gespielt hat. Surprise!?

Um 22. 45 Uhr schlägt Neil Young auf der E-Gitarre eine krachende Breitseite an, die immer noch glockenhelle Stimme des 62-Jährigen strafft sich und schickt eine Botschaft ab. Hey, Hey, My, My. Und zum ersten Mal stehen die Fünftausend im ausverkauften Kongress-Raumschiff, sie singen mit, was sie hören wollten, weshalb sie gekommen sind und 100 Euro für eine Karte im Parkett bezahlt haben: Rock ’n’ Roll will never die. Eine Binsenweisheit, aber sie will erarbeitet sein.

Die schwarze Hymne auf Johnny Rotten und die Sex Pistols selig, die man später auf Kurt Cobain bezog, dieses definitive Memento Mori der Rockmusik mit all ihren großen und kleinen Toden („It’s better to burn out than to fade away“) ist nun zufällig genauso alt oder jung wie das ICC, das 1979 eröffnet wurde. Damit ist nun an diesem langen Abend endlich das Neil-Young-Konzert unwiderruflich eröffnet. Als Antiklimax (der Saal nimmt zögernd wieder Platz) legt er dann gleich eine wunderschöne ruhige Nummer nach, Too Far Gone. Stimmt schon. Er ist vorher ein bisschen weit weg gewesen. Er lässt sich verdammt viel Zeit, bis der Motor anspringt und auf Touren kommt.

Eine ungeheure Zeitspanne, persönlich, künstlerisch, gesellschaftlich: 22 Songs aus bald vierzig Jahren. Ein solches Lebenswerk lässt sich kaum unter ständigen Hochdruck in homogener Form abspulen. Rockmusik als kollektiver Erinnerungsspeicher. Die altvertrauten Sachen, sie haben auch ihr Eigenleben.

Es sieht hier aus wie bei einem yard sale oder auf einem Flohmarkt im weiten Westen; sympathisches Durcheinander. Ein altes Harmonium, eine mannshohe Indianerfigur, eine Deutschland- und eine Piratenflagge, die im Luftzug einer Windmaschine flattern – und eine Menge bemalter Leinwände mit Edward-Hopper-artigen Motiven; für jeden Song wird ein anderes Bild auf die Staffelei gestellt. Im Hintergrund arbeitet der Maler Eric Johnson in aller Seelenruhe an einem von Indianerkunst inspirierten Vogel; es könnte eine Friedenstaube sein. Dem Kanadier Neil Young ist der Irakkrieg verhasst, er hat Protestsongs geschrieben, doch davon ist nichts zu hören. In dem atelierhaften Bühnenbild zeigt sich der Cowboy mit dem „Heart of Gold“ und der „Hurricane“-Gitarre (diese beiden Preziosen werden fehlen, um eventuelle Fragen zu beantworten) erstmal als Familienmensch.

Man sollte den Begriff Vorgruppe für Pegi Young vielleicht vermeiden.Er passt auch nicht ganz, weil mit Neils Ehefrau auch schon ein paar von seinen Musikern in diesem ersten Set aufspielen. Pegi Young singt eine volle halbe Stunde nette Country-Songs. Abschlaffende Einstimmung. Pause. Jetzt kommt er, allein, im hellen Anzug, dieser große, breite Mann, sagt kein Wort und nimmt im Kreise seiner akustischen Gitarren Platz, fingert am Mundharmonika-Halter. Die Atmosphäre erwärmt sich nur zögernd. From Hank to Hendrix: Die erste Nummer beschreibt den Kreis. Hank Williams, Urahn aller Singer/Songwriter im höheren Country-Beritt. Und Jimi Hendrix – nun, der elektrische Neil Young, der Grunger, der Gewittermacher kommt später. Geduld!

Als ob er den magischen Gitarrenzirkel nur ungern verließe, tänzelt Young zum Piano. Drückt auf das Orgelteil und singt A Man Needs a Maid. Es kommt hier etwas Fragendes, Suchendes in die Songs vom „Harvest“-Album, seinem bis heute populärsten. Das Titelstück und Out on the Weekend erfreuen das Herz, aber sie wirken auch fremd. Jetzt ist er so alt, wie er sich mit Mitte Zwanzig gab. Neil Young hatte das seltene Glück, in seine wunderbaren Kompositionen hineinzuwachsen, sie mit Leben zu füllen und die Angst zu überwinden, den (Drogen-)Horror, der in einem Lied wie After the Gold Rush steckt. Natürlich hatte das damals mehr Kraft, mehr Verlockung und Geheimnis. Welcher 20-jährige Rockmusiker konnte Anfang der siebziger Jahre ahnen, dass er in dem Moment nicht nur einen Klassiker kreiert, sondern dazu bestimmt war, diese Lieder Jahrzehnte später vor einem geduldigen, nach solchen Jungbrunnen lechzenden Zuhörern immer noch zu singen. Hank Williams starb mit 29, Jimi Hendrix mit 27, wie Janis Joplin. Und Neil Young denkt an diese Dinge.

Schließlich, im dritten Teil, er trägt jetzt einen verfleckten schwarzen Anzug, widmet er die Ballade Winterlong seinem alten Freund und Crazy-Horse-Musiker Danny Whitten. Er starb 1972 an einer Überdosis Heroin.

Geister schweben über diesem Konzert, das längst nicht so harmonisch daherkommt, wie es an der Oberfläche scheint. Wir haben die bittere Zeile „Pissing in the Wind“ gehört, und auch Down by the River, die Geschichte eines Mordes aus Liebe, fährt einem in die Glieder mit all dem poetischen Schrecken, die Neil Youngs sirrende, sägende E-Gitarre evoziert. Es sind diese Momente, in denen er sich in sein Instrument hineinfrisst und -fräst, den Tanzbären macht und auf seinen langjährigen Bassisten Rick Rosas zu- taumelt wie ein angeschlagener Boxer. Ralph Molina, der Crazy-Horse-Drummer, befeuert Neil Youngs elektrische Exzesse nun auch schon seit Jahrzehnten, und Ben Keith spielt seit ebenso langer Zeit für Neil die Orgel und die Steel-Guitar. Freundschaften, Kontinuitäten, wie man sie sonst nur bei klassischen Streichquartetten erlebt.

Und so ist ein langer Abend nachher viel zu kurz. Auf Powderfinger (alle stehen wieder auf, als er diesen herzzerreißenden Rock-Western in Cinemascope intoniert, und nun bleiben sie auch bis zum Ende auf den Beinen) folgt das extensive No Hidden Path vom jüngsten Album „Chrome Dreams 2“. Die Windmaschine läuft, die Gitarren kämpfen, bilden Knäuel, Melodiefetzen steigen auf wie Rauchsignale – wir sind angekommen. Und werden mit Rockin’ in the Free World unwiderstehlich verabschiedet. Leider kann man im ICC kein Lagerfeuer entzünden, und eine Stampede funktioniert hier auch nicht wirklich. Mellow My Mind hat Neil Young gesungen, mit scharfem Ton zum hart angerissenen Banjo. Das ist ihm gelungen. Man fühlt sich weicher, reicher. „I’ve been down the road / and I’ve come back ...“

Anders gesagt, mit den Worten eines 18-jährigen, historisch unbelasteten Neil-Young-Neulings: „Tolle Musik!“

Rüdiger Schaper

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