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Bob Dylan bei seinem Auftritt in Tel Aviv.

© dpa

Konzertkritik: Bob Dylan: Der Stein ruft

Er sieht aus wie ein Mix aus Zorro, D'Artagnan und Helge Schneider. Höhen und Tiefen: Bob Dylans Auftritt in Hamburg.

Ja, da ist er wieder, endlich. Unser Bob, dem wir all die Jahre gefolgt sind. Durch unzählige Songs seit den Sechzigern, zahllose Alben und Konzerte. Durch gute und schlechte Zeiten, Höhen und Tiefen – seine, unsere. Ein Leben lang. „Together Through Life“ – so hieß Dylans Album von 2009, Teil eines erstaunlich guten Alterswerks.

Jetzt steht er vor uns, auf der Bühne des Hamburger Stadtparks und singt: „May you stay forever young“, blickt ins Publikum und grinst verschmitzt. „May you have a strong foundation when the winds of changes shift.“ Kürzlich ist er siebzig geworden, und seine treuen Fans sind auch nicht mehr die Jüngsten. Immerhin ist unter den vielen ergrauten Köpfen eine erstaunliche Anzahl jüngerer Leute im Teenageralter zu sehen. Dylan krächzt und knarrt fast stimmlos: „I used to care but things have changed.“

Ganz in Schwarz, in einem Anzug mit goldenen Hosennähten, einem großen Musketierhut mit kleiner Feder dran und einem schmalen Oberlippenbärtchen, sieht er aus wie eine Mischung aus zerknittertem Zorro, betagtem D’Artagnan und Helge Schneider. Da ahnt man, was die Kinder aus der kalifornischen Schule von Dylans Enkelkind empfunden haben mögen, als sie sich – so will es eine der unzähligen Bob-Anekdoten – etwas geängstigt hätten vor diesem „merkwürdigen alten Mann“, der einmal bei ihnen in der Klasse aufgetreten ist.

Jetzt steht er hinter seiner Orgel, bleckt die Zähne und shuffelt sich lässig rein in „Leopard Skin Pill Box Hat“ von 1966 zum schmutzig-sumpfigen Sound seiner wackeren Begleiter. Die sehen in ihren beige-grauen einheitlichen Anzügen aus wie eine artige Tanzcombo, die allerdings klingt und daherdampfert wie eine ruppige Rhythm-’n’-Blues-Gang. Mit einem rohen Sound, der tönt als würden sämtliche Lautsprechermembranen in Fetzen flattern. So wie auch Dylans Stimmbänder zerfleddert knattern in tiefer Brummellage. „People are crazy and times are strange, I’m locked in tight, I’m out of range, I used to care, but things have changed“ knarzt er mit einem auf höchstens eine halbe Oktave begrenzten Stimmumfang, aber mit umso größerem Ausdrucks- und Gefühlsspektrum und vielleicht so etwas wie Altersweisheit und Altershumor. Dabei knurrt er die Endsilben jeder Zeile, und man ist froh, dass er sie nicht mehr so manieriert hochzieht bei früheren Konzerten. Gelegentlich schlendert er in die Mitte der Bühne, trötet in die Harmonica zum rhythmischen Kniewackler oder zerrt eines seiner verschrägt monotonen Gitarrensoli aus einer Fender Stratocaster. Immer wieder hat man das Gefühl, er würde seine Leadgitarristen anweisen, so zu spielen wie er, monoton verschrägt triolierend. Charlie Sexton bleibt so oft hinter seinem Talent zurück. Erst mit „Summer Days“ lässt der brillante Gitarrist exquisite swingende Rockabilly-Licks und Soli von einer „Gretsch White Falcon“ aufblitzen. Der Song von dem 2001er-Album „Love and Theft“ ist ein Glanzpunkt an diesem wundervoll sonnigen Sommerabend mit 4000 Fans im ausverkauften, aber angenehm überschaubaren, fast intimen Areal der Freilichtbühne des Hamburger Stadtparks. Kürzlich hat Wanda Jackson eine rasante Coverversion von Dylans „Thunder On The Mountain“ aufgenommen. Dylan interpretiert nun seinerseits den eigenen Song in der Art von Jackson. Die Band rollt und rockabillyt formidabel dazu mit feiner Dynamik. Ein weiterer Höhepunkt. Und genau darum geht es: um Überraschungen im Programm, um Konzerthöhepunkte. Danach hört man sie debattieren, die Dylanologen, die, die ihrem Idol nachreisen, teilweise gar ihren Jahresurlaub opfern für eine Tour mit Bob. Welche Songs haben überrascht, überwältigt? In Mailand vor ein paar Tagen war es „Can’t Wait“. In Mainz, wo Dylan am Sonnabend eins von nur zwei Deutschlandkonzerten gespielt hat, war es „Things Have Changed“. Und in Hamburg? „Highway 61 Revisited“ als knochiger Boogie? Das brillant gesungene, heute fast gespenstisch wirkende „Ballad Of A Thin Man“, mit so viel Hall auf der Stimme, dass das Krächzen nach jeder mysteriösen Textzeile immer noch ein bisschen nachknuspert? Oder das klanglich unglaublich dichte „Like A Rolling Stone“ mit tollem Gesang und völlig neuen Phrasierungen?

Bob Dylan nimmt den Hut ab, kratzt sich kurz am Kopf, sagt „Danke!“ und geht nach anderthalb Stunden. Und wir haben ein weiteres außergewöhnliches Konzert unserer Sammlung hinzugefügt. Mit Höhen und Tiefen im doppelten Sinn.

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