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Dylan

© AFP

Konzertkritik: Bob Dylan: Iron Man

Fürs Grobe, fürs Herz. Und für die Ewigkeitsliste: Bob Dylan gibt in der Berliner Max-Schmeling-Halle ein sportliches Konzert.

Nebenan im Jahnsportpark, bei schönstem Frühlingswetter, kämpfen die Fußballer von Eisern Union um Aufstiegspunkte, im Rückraum der Max-Schmeling-Halle trainieren Alba-Basketballer, die auch noch Meister werden wollen, und auf der Bühne, ja, da steht und ruckelt und tänzelt er wieder, der iron man, der Verwüstet-Unverwüstliche, und gibt eines seiner wie immer etwas enigmatischen Konzerte. Einige werden nachher sagen, es sei sein bester Berlin-Auftritt seit langem gewesen. Nun ...

Es hängt ganz davon ab, wie viele Bob-Dylan-Konzerte man erlebt, welchen Bob-Dylan-Gürtel man über die Jahre erworben hat und wo und zu welcher Zeit man in diesen tückischen Fluss mit all seinen Untiefen und Stromschnellen eingestiegen ist. So wie er seine Endlos-Gnadenlos-Tour (seit 1988?!) durchzieht, ist es schier unmöglich, das einzelne Konzert zu beurteilen. Bob Dylan ist ein sportliches Phänomen. Er ist der Härteste. Im Mai wird er 68 Jahre alt, und abgerechnet wird am Ende, eines Tages. Bis dahin, so könnte man vielleicht sagen, war dieser 1. April in Berlin ein überdurchschnittlich animierter Gig. (Der 1. FC Union spielt an diesem Abend unentschieden). Es bewahrheitet sich auch stets aufs Neue: Dylan-Fans sind eiserner als Ost-Berliner Fußballfans.

How many roads must a man walk down? Diesen wehmütigen Song („Blowin’ in the Wind“ datiert von 1962) spielt er jetzt häufig als ruppigen Rausschmeißer. Er war einmal sein Markenzeichen, in den so genannten Folk-Protest-Zeiten, als die staunende Welt die allererste Bob-Verpuppung erlebte. Heute hat dieses Kunstlied einen harten autobiografischen Einschlag. How may times ... Eine jüngere Frau – es ist ihre erste Dylan-Erfahrung – macht eine interessante Beobachtung. Bobs strapaziertes Organ erinnere sie an ein altes Radio, auf dem man einen klaren Mittelwellensender sucht: dieses Rauschen, Knacken, Pfeifen, und plötzlich ist die Stimme da, zum Greifen, schraubt und fräst sich ins Ohr.

Beim schönen und auch schon uralten „You Ain’t Goin’ Nowhere“ von den „Basement Tapes“ deutet sich so ein Durchbruch an, es ist das dritte Stück des Abends, Dylan spielt (wenigstens dieses eine Mal) Gitarre. „My Back Pages“, das er mit seinem typischen Selbstbefragungs-Stakkato bringt, bewegt die ausverkaufte Halle zum Mitsingen. I was so much older then/I’m younger than that now. Junge Menschen können ganz schön alt sein in ihrer Ernsthaftigkeit, in ihrem Idealismus, und Dylan ist über Botschaften seit ewigen Zeiten erhaben. Aber auch der alte Zynismus ist lange dahin. In „Highway 61 Revisited“ scheint er noch einmal kurz auf.

Manchmal hat auch den Eindruck, dass da oben eine vollautomatische Jukebox-Band steht, sechs Musiker und ein Frontmann, der seltsam seitlich aus dem Ruder läuft und sich hinter die Lärmkulisse verdrückt. Schimmstenfalls klingt es ruckend-zuckend, rumpelnd und rollend wie Bo Diddley, der von einer verstimmten Hard-Rock-Band begleitet wird und feststellt, dass er offenbar viel zu viel Text dabei hat; oder zu wenig.

Neuerdings, und das ist die gute Nachricht, hält sich Dylan nicht mehr zwei Stunden lang stur an seinem Keyboard fest, er wechselt jetzt häufiger den Standort, greift leidenschaftlich in die Tasten, und es orgelt mitunter wie in den vorsintflutlichen Zeiten mit „The Band“. Von dort, von den Sechzigern (er spielt auch das seltene „When I Paint My Masterpiece“), geht der Bogen ohne große Umschweife in die Dylan-Neuzeit. Die Songs von „Modern Times“, inzwischen auch schon wieder bald drei Jahre alt, entlocken dem schmächtigen Titanen die subtilsten Töne. „Workingman’s Blues #2“ kommt mit zarter Traurigkeit, ohne dass er es an Härte fehlen ließe, und „Spirit on the Water“ hüpft geradezu vor Freude.

Immer schon hat Dylan die Erwartungen enttäuscht, die man in ein Konzert mitbringt. Und er erfüllt und übertrifft andere, an die man nicht gedacht hat. Nichts vom neuen Studio-Album „Together Through Life“, das Ende April erscheint; das war klar. Ist aber auch ein treffliches Motto, wenn man sich so in der Halle umschaut: mit Dylan durchs Leben. Together Through Live. Immer wieder. Je schlechter man sich ein Dylan-Konzert redet, desto schöner wird das nächste.

Rüdiger Schaper

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