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Konzertkritik: Daniel Johnston: Versehrtes Genie

Der traurigste aller Songwriter: Daniel Johnston war in der Stadt.

Da steht er nun in der bis auf den letzten Platz gefüllten Volksbühne: ein unförmiger, 47-jähriger Mann mit komplett ergrauten Haaren, in Jogginghose und schlabbrigem XXL-T-Shirt, der mit hoher, fisteliger Kratzstimme und unkontrolliert flatternden Armen ein kurzes naives Lied singt. Daniel Johnston ist die tragische Antithese zu einem Popstar. Und zwar nicht etwa wie Antony Hegarty, bei dem die Stimme eines Engels in einem scheinbar „unpassenden“ Körper steckt. Sondern auf einer ganz fundamentalen Ebene: Daniel Johnston ist seit Jahrzehnten psychisch krank, und die Spuren seines Leidens finden sich nicht nur in seinen Liedern, die gerade deswegen als authentische Äußerungen einer empfindsamen, verletzten Seele verehrt werden. Wenn er sich selbst mit rhythmisch instabilem Klavier- oder Gitarrenspiel begleitet und sein Gesang in den höheren Lagen immer wieder wegbricht, ist dies kein Kunstgriff eines genialen Dilettanten, sondern das existenzielle Ringen eines versehrten Genies mit seiner Kunst.

"Help" - schaurig schief gecovert

Daniel Johnston würde bestimmt gern so schön singen können wie die Beatles, deren „Help“ er schaurig schief covert. Immerhin wird er hier wie beim überwiegenden Teil der Stücke vom John Dear Mowing Club begleitet, einer dreiköpfigen Band aus den Niederlanden, die sich seit einigen Jahren der freundschaftlichen Tourunterstützung Johnstons verschrieben hat. Mit Schlagzeug, Kontrabass und E-Gitarre rumpeln sie bisweilen in hemdsärmeliger Cowpunk-Manier los und verbessern die Statik der zerbrechlichen Songs erheblich. Plötzlich wirkt Johnstons Gesang sogar kraftvoll, seine Hände beruhigen sich eine Weile.

Aber es ist nur das Atemholen vor einem Finale, das einem in seiner bitteren Konsequenz die Kehle zuschnürt: Dem wie Nirvana auf Äther klingenden Rocker „Psycho Nightmare“ folgt das grenzenlos melancholische, alles umarmende „True Love will find you in the End“. Und dann kommt Daniel Johnston nochmal zurück und singt allein, ganz ohne Begleitung das unfassbare „Devil Town“, in dem er einem abwesenden Gott klagt, dass alle seine Freunde Vampire in der Teufelsstadt sind, und, oh weh!, er selbst ist auch ein Vampir.

Schneuz, Taschentücher zücken, minutenlange Standing Ovations für den traurigsten aller Songwriter. Ohne seine Lieder wäre die Welt ärmer.

Jörg W, er

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