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Konzertkritik: Devendra Banhart - Ich bin ein Kind

Folkstar Devendra Banhart entführt die Zuhörer in der Passionskirche zu einem entfesselten Ausflug in psychedelische Abgründe.

„I’m high, I’m happy and I’m free.“ Die Anfangszeilen des Lavalampen-Blues „Seahorse“ stehen leitmotivisch für die Karriere von Devendra Banhart. In der ausverkauften Passionskirche hat er anderthalb Stunden lang ihre Gültigkeit bewiesen, ehe er mit seiner famosen vierköpfigen Band zum entfesselten Ausflug in psychedelische Abgründe startet. High wirkt Banhart nicht im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes, sondern wie jemand, der unter körpereigenen Glücksdrogen steht. Wie er sich gibt, ist von innerem Leuchten durchglüht, seine flattrige Gestik und exaltierte Mimik strahlen ekstatische Lebenslust aus. Und einen freieren Popstar kann man sich kaum vorstellen als den 28-jährigen Blumenkinderprinz, der seine neue Platte „Who will we be“ bei Warner Records, einem der letzten Giganten der Tonträgerindustrie herausgebracht hat.

Früher nahm Banhart die Songs im Akkord auf und beließ sie im Rohzustand. Die verknisterten Home-Recording-Skizzen waren oft vielversprechend, aber nicht mehr als interessante Artefakte eines Do-it-yourself-Prozesses. Was Banhart nun mit seinen Musikerfreunden in der kalifornischen Hippie-Enklave Bolinas eingespielt hat, ist Welten entfernt vom Küchengeschrammel des genialen Dilettanten. Die entspannte Westcoast-Lebenskultur der späten Sechziger ist das Arkadien Banharts. Gemeinsam mit Produzent Paul Butler hat er die analoge Wärme der Flower-Power-Ära nachempfunden. So würde „Who will we be“ auch als Sampler eines Labels wie Elektra durchgehen, das die Pop-Essenz einer Epoche einfing.

Es ist Devendras kaum noch meckernde, sondern zu einem wandlungsfähigen Crooner-Organ gereifte Stimme, die jeden Song unverwechselbar macht. Die stilistische Vielfalt ist Ausdruck einer grenzenlosen Freiheit. Nicht zufällig ist eine Heldin dieses geistigen Vagabunden die britische Folk-Sängerin Vashti Bunyan, die jahrelang mit dem Planwagen durch die Weltgeschichte zog.

Im Konzert wischt Banhart jeden Gedanken beiseite, er habe sich womöglich den Schneid abkaufen lassen. Während die Single „Baby“ in ihrem Pop-Appeal kaum beschnitten wird, bringt er den Song mit dem größten Hitpotenzial in völlig verändertem Arrangement: „16th & Valencia Roxy Music“, auf Platte ein höllisch groovender Glamrocker, gerät zur zerschossenen Dub-Version mit beiläufigem Singsang. Kaum besser ergeht es „Foolin“, dessen hüpfender Rocksteady-Beat bloß von verhallten Gitarrenriffs und vom Fingergepoche des tollen Schlagzeugers Greg Rogove angedeutet wird. Ausgerechnet seine neuen Lieder behandelt Banhart mit einer Nachlässigkeit, als wäre er schon Jahrzehnte mit ihnen unterwegs. Dafür gönnt er dem begeisterten Auditorium eine Rückschau auf seine Lehrjahre: Hibbelig zupft er sich durch apokryphe Folk-Miniaturen und windschiefe Coverversionen von Johnny Thunders oder Simon & Garfunkel und singt dabei mit all den Manierismen, die man überwunden glaubte.

Zur Zugabe erscheint er mit entblößtem Oberkörper, was den Fans spitze Schreie des Entzückens entlockt. „I feel just like a Child“ ist dann die programmatische Hippiehymne für den Nachhauseweg: Die Welt im Spätherbst mag ein trister Ort sein, mit den Liedern von Devenra Banhart im Kopf verwandelt sie sich zum quietschvergnügten Kindergarten. Jörg Wunder

Jörg W, er

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