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Miss Kenichi.

© Fuchs

Konzertkritik: Miss Kenichi & Ben Hamilton bei "Ohne Strom" am Badeschiff

Geplant war das letzte Konzert der Open-Air-Veranstaltungsreihe "Ohne Strom" am Treptower Badeschiff. Doch für den Auftritt von Miss Kenichi war die Location Glashaus vielleicht sogar besser.

Ein bisschen bedauerlich ist es schon, dass das letzte Konzert der tollen sommerlichen Open-Air-Veranstaltungsreihe "Ohne Strom" am Treptower Badeschiff wegen herbstlicher Kühle ins benachbarte "Glashaus" verlegt werden musste. Statt in Liegestühlen oder im weichen Sand unterm blauen Abendhimmel am Spreeufer sitzt das Publikum nun auf den harten Stufen eines großen schwarzen Saales. Und etwas weit weg von der Bühne.

Von dort schaut Ben Hamilton auf die weite leere Fläche vor sich: "Ihr seid sehr glücklich zu sitzen", sagt der lange dürre Singer/Songwriter, "also wäre es nicht so schön zu sagen: kommt nach vorne." Hamilton ist ein höflicher Engländer, der schon seit einiger Zeit in Berlin lebt und ziemlich gut Deutsch spricht. Heute tritt er ohne seine elektrische Band auf: solo und akustisch. Was einen besonderen Reiz hat.

Mit feinem Flatpicking attackiert er rhythmisch seine Akustikgitarre und singt mit warmer und leicht angekratzter Stimme zeitgemäße Folksongs alter Schule, wie sie seit einiger Zeit auch bei jüngeren Zuhörern wieder schwer angesagt sind. Wenn er von Scheinwerfern geblendet sein Publikum in der Tiefe des Saales von der Bühne aus auch nicht sehen kann, so hört er doch die begeisterte Zustimmung zu seinem Auftritt und freut sich darüber.

Die frühen Jahre seiner Kindheit hat Hamilton mit seinen Eltern in einer Kommune in Oxford gelebt, in der die damals sehr populäre englische Band "Traffic" oft geprobt hat. Obwohl der heutige Zweimeterzehnmann Hamilton zu der Zeit noch sehr klein war, hat er offenbar schon damals gut zugehört, denn sowohl in seinen Songs wie auch in seiner leicht rußgeschwärzten Stimme, kann man entfernt ein paar kleine Spuren vom Timbre des Traffic-Sängers Steve Winwood wiederfinden. Gute Songs, gute Stimme, gute Darbietung. Und das Publikum möchte am Ende eines überzeugenden Sets noch mehr.

Miss Kenichi kommt in lockigem Blond und ärmellosem Schwarz. Und mit ihrem ständigen Begleiter Earl Harvin. Sie hantiert noch ein bisschen mit Kabeln, Gitarrestimmen und Mikroeinrichten herum, dann singt sie "Deeper Well" von David Olney. Sehr schön und eindringlich, fast a cappella, lediglich unterlegt mit einem ostinaten Orgelton von Harvin. Die hübsche Miss Kenichi schlägt und zupft dunkle monotone Gitarrenfiguren auf ihrer elektrischen Epiphone-Halbresonanzgitarre, während Harvin elegant und zurückhaltend ein kleines Schlagzeug bedient, das lediglich aus einer dicken Snare, einem dünnen Standtom, einer Hihat und einem Becken besteht. Oder er bedient eine Orgel, deren Gehäuse aussieht wie eine selbstgezimmerte Kinderversion einer Hammond B3. Das klingt mal wie eine Flöte, ein anderes Mal wie ein Strawberry-Fields-Mellotron, jedoch niemals aufdringlich, sondern immer Miss Kenichi und ihren samtig untergründigen Songs dienlich.

Manchmal weiß man nicht mehr so genau, wo ein Stück aufhört und wo das nächste beginnt. Alles fließt: Ineinander. Umeinander. Auseinander. Und wieder zusammen.

Miss Kenichi spricht nicht viel, aber dann sagt sie doch etwas: "Mein Vater war Fernfahrer, und ich bin als Kind immer mit ihm gefahren!" Das habe sie später zu ihrem Song "Mountain High" inspiriert. Zur schwirrenden Gitarre mit dunklen Bassläufen weht der Hauch ihrer Stimme: "Streets are mountain high and dead end low / I'd walk a thousand miles just to get back home..." Und der Schlussakkord verrauscht im Becken von Harvin.

Der Großteil der Songs stammt von den beiden exquisiten Alben "Collision Time" (2006) und "Fox" (2008). Ein neues soll im nächsten Jahr erscheinen.

Die Miss setzt sich an die Kinderhammond und singt eine beeindruckende Interpretation von Robert Plants "Big Log" aus dem Jahr 1983 und gleich hinterher Julie Millers von Emmylou Harris bekannt gemachten Song "All My Tears" mit einer vibrierenden Orgel von Harvin.

Im letzten Song pustet Miss Kenichi in ihre schläfrig traumwandlerischen Sounds ein bisschen quäkige Dylan/YoungHarmonika. Und nach zwei Zugaben und einer wunderbaren prall gefüllten Stunde ist Schluss.

Vielleicht hat es diesem Konzert dann doch gut getan, dass es in einem konzentrierteren Rahmen mit aufmerksam stillen Zuhörern stattfinden konnte als bei einer ausgelassenen Strandparty. Und für einen Moment ist man dem entschwundenen Sommer nicht mehr gram.

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