zum Hauptinhalt
317769_0_3f51f5a4.jpg

© ddp

Konzertkritik: Ohohoho! Depeche Mode in Berlin

Knutschen und Kreischen: Depeche Mode spielen in der Berliner O2 World und präsentieren groben Stadionrock.

Ob es am Wetter lag? Im grellen Schein der Lichter am Eingang zur O2 World wirkt der Schnee noch ein bisschen weißer als anderswo. Depeche Mode waren für ein Hallenkonzert in die Stadt gekommen. Daisy hatte nicht gewütet. Aber kalt war’s schon. Hatten ihre Anhänger, der berüchtigte „black swarm“, die schwarzen Kutten nur unter Wintermänteln verborgen?

Sie hatten nicht. Drinnen bietet sich ein Bild wie beim Auftritt eines jeden Rock-Veteranen: Menschen jenseits der dreißig stehen gemütlich bei Bier und Pommes zusammen, Alltagsklamotten statt schwarzer Messekluft. Sie tauschen Anekdoten aus über ihre lange Geschichte mit der Band.

Depeche Mode sind eine Band der achtziger Jahre. Doch ähnlich wie den Pet Shop Boys gelang es den Briten auch in der folgenden Dekade, noch einmal ein neues, jüngeres Publikum für sich einzunehmen. Jetzt allerdings ist es offenbar so weit. Das Publikum altert mit.

Immerhin: Dave Gahan, Andrew Fletcher und Martin Gore beginnen den Abend nicht mit Bewährtem, sondern mit drei Stücken des aktuellen Albums. In direkter Nachbarschaft aber zu den Klassikern „Personal Jesus“, „Walking in my Shoes“ oder „Stripped“ springt peinlich ins Ohr, wie mäßig die Songs von „Sounds of the Universe“ tatsächlich geraten sind. Auf der Platte immerhin konnte die reizvoll gequetschte Vintage-Elektronik noch für sich einnehmen.

An diesem Abend aber werden Melodien, Nuancen und Atmosphäre planiert. Tour-Schlagzeuger Christian Eigner hämmert manisch und mit erdrückender Monotonie auf sein Instrument ein, als wolle er dieser Musik auch um den Preis seines gesundheitlichen Wohlbefindens noch das letzte Restchen Seele austreiben. Früher mögen Depeche Mode noch Messen für Massen zelebriert haben. An diesem Abend gibt’s groben Stadionrock.

Das Publikum stört sich nicht daran. Es wird gesungen, gewunken, geschwooft und geknutscht, auch lautes Kreischen mischt sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit darunter. Nach einer Stunde versuchen sich Martin Gore und sein gepresst tirilierendes Balladen-Vibrato an einer kurzen Phase der Besinnlichkeit („Insight“, „Home“). Das gelingt: Als Dave Gahan wieder auf die Bühne tritt, verhindert die Halle ein allzu rasches Weitermachen. „Home“ ist schon verklungen, da wogt Gores „Ohohoho“ noch etliche Male durchs Berliner Publikum.

Solche Momente gibt es leider wenige. Spät immerhin blitzt noch etwas auf: der Wille nämlich, einen Abend wie diesen über das bloße Abspielen von Songs hinaus auch musikalisch zu einem Ereignis zu machen. „In your Room“ und „Enjoy the Silence“ sind die einzig aufregenden Darbietungen des Abends, sogar der Bulldozer am Schlagzeug ringt sich jetzt so etwas wie eine Nuance ab. Den Eindruck eines allzu routiniert verwalteten Programms kann dieses späte Erwachen aber ebenso wenig zerstreuen wie die teils recht ansehnlichen Videoprojektionen im Hintergrund der Bühne.

Nach zwei Stunden blendet das Saallicht wieder auf. Das Publikum steht noch, da wird bereits abgebaut. Mehr als ein Zugaben-Block mit vier rasch runtergespielten Stücken lässt sich diesmal nicht erklatschen, eine empörte Minderheit in Abteilung 203 quittiert das abrupte Ende mit einem kurzen, aber leidenschaftlichen Buh-Chor.

Beliebte Songs, passable Bühneneffekte und ein präsenter Leadsänger – das reicht hin für einen ordentlichen Konzertabend. Von einer Band aber, die mehr sein will als die nächsten Opa-Rocker, darf man mehr erwarten. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false