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Konzertkritik: PVC: Von wegen leise

Abgespeckt, ausgestöpselt - und trotzdem laut. Berlins legendäre Punkband PVC trat im nicht minder legendären Ex'n'Pop in Schöneberg auf.

Schöneberg, Potsdamer Straße 157, Ex'n'Pop. Draußen dröhnt es. Ach, die Band spielt bereits? Ist ja auch schon nach 23 Uhr. Aber nein, ist erst der Soundcheck. Drinnen hat sich der Laden kaum verändert seit den 80er Jahren, als er noch K.O.B hieß, zu heißen linken Hausbesetzerzeiten, als hier noch regelmäßig jede Menge Bands spielten. Die Toten Hosen, Element Of Crime und unzählige lokale Punk-Gruppen: Leningrad Sandwich, Marquee Moon und und und. Dunkler, schmaler Schlauch, Tresen rechts, Bühne geradeaus. Kaum verändert in 25 Jahren.

Heute spielt PVC. Wie in alten Zeiten fängt es spät an, unzumutbar, inzwischen ist es kurz vor Mitternacht. "I'm still alive" singt Gerrit Meijer, und ist lebendiger denn je. Er ist der einzige, der noch übrig geblieben ist aus der Originalbesetzung von Deutschlands legendärer erster Punkband PVC, die sich 1977 in Berlin nach einem Konzert der englischen Vibrators im nicht minder legendären Kant Kino zusammengefunden hatte. Gerade sind PVC zurückgekehrt von mehreren Konzerten in New York.

"Wir spielen sonst elektrisch und richtig laut", sagt der lange, dünne Meijer im eleganten Rock'n'Roller-Jackett mit Schalkragen und dünnem Schlips und wirren weißen haaren. Das heute sei ja eine ihrer "Stripped/Unplugged"-Shows. Abgespeckt und ausgestöpselt. Doch so ganz stimmt das nicht. Laut ist es trotzdem.

Das Schlagzeug besteht zwar nur aus kleinem Besteck ohne Bassdrum, aber Tom Peterson ballert heftig rein und der Bassmann Rob Raw bummert wildes rhythmisches Gesläppe in die boppenden Saiten eines akustischen Kontrabasses. Von wegen leise. Meijer hat eine rote Telecaster eingestöpselt und schrappt rasend schnellen Rhythmus, Hochgeschwindigkeits-Bo-Diddley-Beat. Zuckende Finger zappeln übers Griffbrett, erzeugen nervöse Melodielinien, hetzen schöne schräge Rhythmusakkorde den Hals rauf und runter. Rackertacker-Rackertacker-Rackertacker. Dazu die ungewöhnliche Stimme des getrieben aggressiven Shouters, oder eines Punk-Crooners mit Panik-Tremolo. "Berlin By Night", der alte PVC-Hit wird völlig umgekrempelt, "Wall City Rock" kommt als lässig verlangsamter A-Cappella-Swing. Anklänge an alten Rock 'n' Roll, Rockabilly, Psychobilly, Doo Wop, Country und Kurt Weill auf Punk. Rackertacker-Rackertacker-Rackertacker.

Dazu kann man nur schwer stillstehen, muss sich bewegen, zucken, tänzeln wie der lange Meijer auf der Bühne. Es wird Bier getrunken und geraucht, geraucht, geraucht. Wie früher. Und der dicke Nikotinnebel im Laden lässt dämmern, was man sich und anderen früher ständig angetan hat, mit der ewigen Quarzerei in den Kneipen und bei Konzerten.

"What happened to the people", kräht Meijer. Nach einer guten Stunde haben PVC fast zwei Dutzend Songs runtergerattert. Solche unbeirrbaren lokalen Helden, die im Mai noch in New York gefeiert wurden, hätten zu Hause durchaus noch etwas mehr Unterstützung verdient.

H.P. Daniels

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