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© Benoit Peverelli

Konzertkritik: Sophie Hunger: Mit Dylan in der U-Bahn

Im Dot Club begeistert Sophie Hunger mit stimmlicher Vielfalt und sorgfältig gewählten Coverversionen.

Vielleicht gelingt es ihr ja, Schweizer Popmusik fast 30 Jahre nach Yello und Grauzone mal wieder aus der Kuriositätenecke herauszuholen: Die 26-jährige Bernerin Sophie Hunger hat mit ihrer letzten Platte die Spitze der nationalen Charts erklommen, was außerhalb der Kantone erstmal nicht viel heißt. Doch immerhin, vor dem Auftritt im Dot Club ringelt die Besucherschlange weit in die Falckensteinstraße hinein. Hunger ist mit einer vierköpfigen Band angereist, die zwischen bluesigen Balladen mit gestopfter Posaune und rustikalem Folkjazz mit dröhnenden Gitarrenakkorden eine Menge Zwischentöne beherrscht.

Sie selbst sitzt auf einem Stuhl und zupft elektrische oder akustische Gitarre - und singt mit einer Stimme, die man in reservierter Rezensentenhaltung vorschnell kategorisieren möchte: Ach ja, schon wieder einer dieser fraglos talentierten, aber ihre Fähigkeiten etwas überschätzenden jungen Damen, die wie Nina Simone oder gar Billie Holiday klingen möchten, es aber immer nur für wenige Augenblicke tun. Sophie Hunger singt leidenschaftlich und mit erstaunlichem Stimmvolumen, verwechselt aber anfangs manchmal Dynamik mit Lautstärke, gerade wenn sie versucht, gegen heftigere Instrumentalpassagen anzuschreien.

Schichten, Resonanzräume, Assoziationen

Doch dann hört man sich in diese Stimme rein, merkt, dass da viel mehr Schichten, Resonanzräume, Assoziationen sind, als man zunächst gedacht hatte. Plötzlich klingt sie wirklich wie eine alte Blueslady, dann singt sie seidig wie Norah Jones, meckernd wie Patti Smith, inbrünstig wie Janis Joplin. Und das alles, ohne jemals den Verdacht aufkommen zu lassen, sie würde versuchen, eine ihrer berühmten Kolleginnen nachzuahmen.

Und es wird immer besser: Bei der Coverversion von Irma Thomas‘ „Ruler of my Heart“ misst sie sich ohne Gesichtsverlust mit einer der großen Soul-Diven der Sechziger. Ihre Begleiter spielen mittlerweile wie im Rausch, vor allem Michael Flury legt sein ganzes Herzblut in Posaunensoli von kristalliner Schönheit. Durch die dornige Folk-Psychedelik von „Citylights“ tastet Hunger umher wie Beth Gibbons im Portishead-Klanglabyrinth, „Rise & Fall“ bereichert sie mit einer romantischen Klavierimprovisation, das schwyzerdütsch gesungene „Spiegelbild“ begeistert mit windschiefen Harmonien, bei dem beschwingten Indiepop-Hit „Round and round“ wird sie schier aus der Kurve getragen vor Begeisterung. 

Kubistisches Mundharmonikaspiel

Zwischendurch nimmt sie sich die Ruhe für kleine Anekdoten. Etwa die von dem deutschen Musiker, den sie am Morgen in der U-Bahn kennengelernt habe und von dem sie als Zugabe ein Lied spielen werde. Zur allgemeinen Verblüffung erklingt dann eine souverän polternde Version von „Like a Rolling Stone“, bei dem Sophie Hunger Dylans kubistisches Mundharmonikaspiel augenzwinkernd imitiert. Dann kommt sogar noch „Le Vent nous portera“ von der französischen Kultband Noir Désir: Ein Lied, das man durch die tragischen Ereignisse um deren Sänger Bertrand Cantat kaum noch unvorbelastet hören kann, das hier aber wieder so luftig und melancholisch beschwingt klingt wie das Original vor acht Jahren.

Zum Abschluss rücken Sophie Hunger und ihre Jungs an den Bühnenrand und heulen ganz ohne Mikros und Verstärker den Erdtrabanten an: „Tell the Moon that you‘re sorry“ säuseln sie in mehrstimmigem Satzgesang, der Kontrabass schrummt, die Gitarre plinkert, die Posaune seufzt. Das Publikum tobt minutenlang vor Begeisterung: nach anderthalb Stunden verdienter Lohn für ein hinreißendes Konzert.

Jörg W, er

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