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The Low Anthem legten einen tollen Auftritt in der Passionskirche hin.

© promo

Konzertkritik: The Low Anthem in der Passionskirche

Umwerfend und und ausdrucksstark: The Low Anthem begeistern in der Passionskirche mit einem höchst intensiven Konzert.

Zerzaust sehen sie aus, wie ein paar kleine Hippies, die gerade aus dem Bett gekommen und schnell in die Klamotten von gestern gesprungen sind: knittrige Hemden, zerknautschte Jeans, und Ben Knox Miller in zerfallende Schuhe, die von dickem Klebeband zusammengehalten werden – vielleicht eine Hommage an die legendären "Duct Tape Shoes" des fabelhaften texanischen Singer-Songwriters Blaze Foley? Wie einst Foley geht es auch The Low Anthem nicht um Äußerlichkeiten, sondern um Ausdruck und innere Werte ihrer bezaubernden Songs.

In der Passionskirche schart sich das außergewöhnliche Quartett aus Providence, Rhode Island, ganz dicht um ein altes Rundfunkmikrofon. Zunächst nur mit einer Akustikgitarre und vier makellos harmonierenden Stimmen: "On my way home by the lonesome graveyard / A ghost jumps up and says, 'Come on be my man'…" Eine dieser klassischen Folkgeschichten: "Ghost Woman Blues".

Dann huschen sie hektisch auseinander in alle Richtungen der Altar-Bühne, von der Dichte in die Weite, an diverse Instrumente und in den Song "Sally Where'd You Get Your Liquor From". Den fröhlichen Tanz-Rag von Rev. Gary Davis verwandeln sie in eine sakrale Elegie mit schleppendem Flohmarktschlagzeug, verschrammtem Harmonium, Bass und Crotales – diesen von Jocie Adams mit einem Geigenbogen gestrichenen, kleinen in Reihe gestimmten Messingscheiben, die sirren wie Gläser, über deren Rand man mit feuchtem Finger streicht.

Immer wieder wird gehuscht und umgeräumt, werden blitzschnell neue Instrumente gegriffen: Klarinette, Geige, Hackbrett, Flügelhorn, Trompete, Banjo. Fast jeder spielt alles. Mat Davidson sitzt auf einem Köfferchen, biegt und streicht eine singende Säge, Jeff Prystowski amüsiert sich hinterm Kontrabass, Ben Knox Miller quakt in die Mundharmonika und lässt ganz dicht am Mikrofon seine ergreifende Stimme in den Raum hallen.

Die Weite des Raumes einer ehemaligen Spaghettisoßenfabrik sei bei den Aufnahmen ihres neuen Albums "Smart Flesh" wie ein weiteres Instrument gewesen, hatte er im Interview erzählt. Jetzt füllen die neuen Songs ganz wunderbar die hallende Weite des Kirchenschiffs. Auch, wenn Ben Knox Miller mit einer billigen Harmony-Rocket-H53-Kaufhausgitarre und rauer Leidenschaft verzerrt und elektrisierend in die Tom Waits/Jack Kerouac-Komposition "Home I'll Never Be" kracht und Assoziationen an Dylans "Highway 61"-Phase weckt. Wenn er den gespenstischen Text von "Boeing 737" ins Kirchengebälk ballert, um schließlich wieder zur zauberhaften Stille von "Apothecary Love" mit Gram-Parsons-Touch zurückzukehren.

Zum Schluss versammeln sich alle vier noch einmal ganz eng um das eine zentral Mikro zu Emmylou Harris' "Evangeline". Nach höchst intensiven 75 Minuten lachen sie überglücklich in den tosenden Beifall. "Das ist ein Abend, den wir nicht so schnell vergessen", sagt Ben Knox Miller. Wir auch nicht.

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