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Konzertkritik: Ulrich Schnauss: Tüfteln, bis es kracht

Comeback in der alten Heimat: Der Wahl-Londoner Ulrich Schnauss gastierte mit seinen Elektro-und Shoegaze-Improvisationen im Bang Bang Club in Berlin.

Von Markus Hesselmann

Der Künstler selbst war vor dem Auftritt skeptisch gewesen. Ulrich Schnauss glaubt, dass sein eklektischer Breitwand-Sound in Berlin, der Metropole des Minimal-Techno nicht ankommt. Deshalb ist der gebürtige Kieler inzwischen ja auch nicht mehr in der deutschen Hauptstadt, sondern in London ansässig. Dort stieß er offensichtlich auf mehr Interesse. Sogar Depeche Mode hat er schon remixt. Und derzeit hat Schnauss Anteil an einem kleinen Boom auf der Insel: der Neuauflage des Shoegaze, eines unaufgeregten, tüftlerischen, aufs erste Hören hin monotonen, aber von ausgefeilten Nuancen lebenden E-Gitarren- und Keyboard-Sounds aus dem späten 20. Jahrhundert. Shoegazer (zu deutsch vielleicht: "Schuhstarrer") verachten die Show, für sie zählt nur der Sound. Ulrich Schnauss vertritt die elektronische Spielart des Shoegaze. Gitarren braucht der Mann nicht, nur einen Computer. Am Mittwochabend feierte Schnauss ein kleines Comeback in seiner alten Wahlheimat.

Der Bang Bang Club in Mitte war zwar nur halb gefüllt. Doch die Leute, die da waren, ließen sich mit Lust auf Ulrich Schnauss und seine Soundbasteleien ein - samt der Ahnung, dass künftig von diesem Mann noch viel mehr Spannendes kommt. Wie soll man dem auch widerstehen? Der freundliche, entspannte, absolut trendresistent wirkende Herr sitzt seitwärts zum Publikum auf der Bühne und nestelt an Tastatur, Keyboard und Pult herum. Ulrich Schnauss umhüllt den Zuhörer mit satten Harmonien und gefälligen Rhythmen. Doch immer wenn es zu gemütlich wird, rummst es hier und scheppert es da.

Ulrich Schnauss ist kein dröger Informatiker, auch wenn sein Bühnen-Habitus auf den ersten Blick den Eindruck erwecken könnte, sondern ein Improvisationskünstler. Unzählige Soundschnipsel hat er gespeichert, live auf der Bühne fügt er sie wieder zusammen. Kein Schnauss-Konzert ist wie das andere. Im Bang Bang Club wurde es zum Ende hin immer krachender und tanzbarer. Das Publikum - so ziemlich alle Alterklassen waren vertreten - honorierte es mit wohlwollendem Fußwippen, für Shoegazer schon fast die Ekstase. Am Ende prostet der Künstler kurz mit dem Wasserfläschchen ins Publikum. Zwei Zugaben folgen. Ein gelungener Abend.

Am Wochenende folgt das nächste Live-Experiment. Dann tritt Ulrich Schnauss in Hamburg beim ersten deutschen Shoegaze-Festival auf. Beginn einer Welle - auch auf dem Kontinent?

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