zum Hauptinhalt
Grace Jones

© dpa

Konzertvorschau: Grace Jones - das singende Raubtier

Die Stilikone der achtziger Jahre, Grace Jones, ist zurückgekehrt Ein perfekt getimtes Comeback, so scheint es, ist doch deren Sound wieder angesagt. Sie selbst aber kümmert sich nicht darum .

Wie langweilig all die Jahre ohne Grace Jones waren, hat man erst gemerkt, als sie im letzten Herbst aus der Versenkung auftauchte. Ihr unerwartetes Comeback war nicht bloß die Wiedergeburt einer stilprägenden Sängerin und Performerin. Nein, plötzlich füllen auch all ihre Eskapaden wieder die Klatschspalten, mit denen sich die Jones schon in den Achtzigern um den Titel „größte Nervensäge aller Zeiten“ zu bewerben schien: öffentliche Auftritte jenseits aller Peinlichkeitsgrenzen, bei denen sie etwa einem der Klitschko-Brüder in Anwesenheit seiner Frau einen „Dreier“ anbietet. Groteske Interviews, in denen sie sich als launisches Biest mit großem Appetit auf Sex, Drogen und Rock’n’Roll präsentiert. Oder die Meldung über ein Wettsaufen mit einem unterlegenen Kombattanten.

Auch für ihr Konzert im Tempodrom ist kaum vorstellbar, dass Grace Jones einfach auf die Bühne stöckelt und ihr Programm durchzieht. Wenigstens ein Skandälchen wird doch wohl drin sein. Der Bohei um eine 60-Jährige, die 20 Jahre jünger aussieht, ist insofern bemerkenswert, als Grace Jones eine abgeschlossene Stilepoche verkörpert: Obwohl ihre Wurzeln in der New Yorker Discokultur der Siebziger lagen und sie damals auch schon mal auf der Gästeliste des legendären West-Berliner Nachtclubs „Chez Romy Haag“ auftauchte, war sie ein pures Produkt der Achtziger. Jedes alte Foto von ihr, mit monströsen Schulterpolstern, eingeöltem Muskelkörper, charakteristischer Brikettfrisur, ruft den Zeitgeist mitsamt seinen Geschmacklosigkeiten in Erinnerung. Dabei war Grace Jones noch eine Lichtgestalt dieser Ära: Ihr martialischer Amazonenlook war immerhin ein wuchtiges ästhetisches Statement und kein Vergleich zu all den Kasperlefiguren, die mit Karottenhosen, kreischbunten Hemden und Föhnfrisuren die Charts bevölkerten. Während traurige Gestalten wie Bonnie Tyler seitdem zu Bierzeltattraktionen verkommen sind, hat Grace Jones eine Auszeit genommen. 19 Jahre Ferien, in denen sie gerüchteweise durch Auftritte für Scheichs oder russische Oligarchen ihre Kasse aufgebessert haben soll.

Ihr Comeback scheint perfekt getimt: Der Sound der Achtziger ist wieder angesagt. Noch die letzte Indiekapelle schleift antiquierte Synthies auf die Bühne oder versucht sich an Discorhythmen. Grace Jones aber ist cool genug, sich gerade nicht an den Retro-Trend zu hängen. Dank des knochentrockenen Bass-Schlagzeug-Fundaments der jamaikanischen Reggae-Genies Sly Dunbar und Robbie Shakespeare, die schon auf Platten von Joe Cocker, Sinead O’Connor oder Mick Jagger zu hören waren, strahlt ihr neues Album „Hurricane“ zeitlose Eleganz aus.

Zum ersten Mal gewährt Grace Jones einen Blick hinter die Fassade: Songs wie „William’s Blood“ oder „I’m Crying (Mother’s Tears)“ erzählen in eindrucksvollen Bildern von der schwierigen Kindheit der aus streng religiösem Elternhaus stammenden Jamaikanerin. Spätestens diese überraschende Verletzlichkeit und Intimität verleihen Grace Jones’ Comeback eine Größe, die über das öffentliche Bild der unantastbaren, exzentrischen Pop-Diva hinausweist.

Grace Jones, „The Hurricane Tour“, Dienstag, 17. März, 20 Uhr, Tempodrom. Das Konzert ist ausverkauft.

Jörg W, er

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false