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Kristofferson

© Davids

Kris Kristofferson: Die Einsamkeit des Riesen

Freiheit ist ein anderes Wort für Verlust: Kris Kristofferson, der große alte Outlaw, singt in der Zitadelle Spandau.

Der Mann in Schwarz nimmt es gelassen, dass alle zehn Minuten ein Flugzeug über seinen mächtigen, silbergrauen Wikingerschädel rauscht. Die Maschinen aus Tegel ziehen eine Diagonale am Abendhimmel, und manchmal lauscht der Mann, der allein mit seiner Gitarre auf der Bühne der Spandauer Zitadelle steht, lächelnd dem Lärm der Flieger nach. Als er jung war, in den Sechzigern, war er in Bad Kreuznach bei der US Army stationiert, als Hubschrauberpilot. Und als er ein paar Jahre später – die Songschreiberkarriere in Nashville kam nicht voran – mit Helikoptertaxi-Fliegen sein Geld verdiente, soll ihm jener Song in den Sinn gekommen sein, der Janis Joplin unsterblich machte.

So viele Legenden flirren um Kris Kristoffersons juveniles Großvaterhaupt: Wie er da steht, der Kinoheld, der alte Outlaw, mit 72 Jahren, kerzengrade, ein Mann aus einer Zeit, als es noch Riesen gab. Als man zu den Amerikanern aufschaute. Damals beging das Riesenland keine geringeren Kriegsverbrechen als heute, aber es gab zivilen Widerstand und Proteste, es herrschte ein anderes gesellschaftliches Klima. Es gab Journalisten und Künstler, die all die Washingtoner Schweinereien nicht herunterschluckten mit dem Placebo „War on Terrorism.“

Das Konzert ist keine zehn Minuten alt, da spielt er den Song. Busted flat in Baton Rouge… Seine berühmteste Komposition, „Me and Bobby McGhee“, ist urtypisch für Kristofferson. Ein Abschied. Die letzten Tage oder Stunden einer Liebesgeschichte. Genieße den Moment, der schon nach Reue und Nimmerwiedersehen schmeckt. „For the Good Times“, „Loving Her Was Easier“, „Come Sundown“: Kristofferson hat einige der schönsten Liebeslieder der Country-Music und des Pop geschrieben (es sind ausgesprochen urbane Country-Songs), und sie erzählen stets dieselbe herzzerreißende Episode. Cause this morning, she’s just leavin, / But, come sundown, she’ll be gone. An diesem Samstagabend singt er sie alle, solo. Auch „Sunday Morning Coming Down“. Mit seinem schleppenden Sprechgesang. Mit dieser tiefen, rauen Stimme, die so verführerisch wie durstig klingt. Und so beruhigend. Wenn der männliche Beschützerinstinkt eine Klangfarbe hat, dann diese.

Er singt von der Liebe – in seinem Alter sind das jetzt auch ein paar Melodien für Kinder und Enkelkinder, „for my kids and their mamas“, wie er sagt –, und er singt vom Krieg. Vom Saufen und von der Einsamkeit. „Help Me Make It Through the Night“. Auch diese Hymne hat er geschrieben. Manchmal wünscht man sich, er möge ein Zähnchen zulegen. Dem alten Gaul die Sporen geben. Aber er bleibt auf diesem melancholisch-gemächlichen Ton, und wenn es allzu sentimental zu werden droht, bringt er den Song fast abrupt zu Ende; „Thank you!“, sagt er nach jeder Nummer in diesen zwei Stunden, da die Startfrequenz der Flugzeuge in Tegel langsam nachlässt. Viele haben Tränen in den Augen. Oft fällt das Wort „Freedom“ in seinen Texten, und er brummt etwas Merkwürdiges: Wenn er „Me and Bobby McGhee“ singe, dann müsse er an „9/11“ denken. Vielleicht, weil der 11. September und alles, was danach kam, Kristoffersons Idee von der Freiheit, der amerikanischen Freiheit, auf den Kopf gestellt und kaputt gemacht hat. Kristofferson besitzt als Songwriter die einzigartige Fähigkeit, in drei oder vier Minuten kleine Ewigkeiten einzuschließen. Das Zeitmaß einer Liebe, die aufhört. Die Empathie für anonyme Opfer von Krieg und Verfolgung.

Er singt vom Irak, und einmal bebt die Stimme untergründig vor Zorn und Scham. Not in my name, heißt es da. Der Song „In the News“ stammt von seinem jüngsten Album „This Old Road“ (2006). Der Mann hat eine Integrität, die einen umhauen kann. „Don’t Let the Bastards Get You Down“. Er singt von der kleinen blauen Kugel, von unserem Planeten, der eine Träne sei auf Gottes Antlitz. Am Ende seines Lebens war auch Johnny Cash, Kristoffersons Freund und Partner bei den Highway Men, tief religiös, fast pietistisch. Kristofferson strahlt, selbst wenn er nach pazifistischen Klischees greift, einen breiten, humanen common sense aus – das, was er in seinem Land so bitter vermisst. Irakkrieg, US-Bombenterror, unschuldige Opfer in der Zivilbevölkerung: Diese Geschichte, sagt Kristofferson, kennt keine Sieger.

Im Abgehen dreht er sich noch einmal um und sagt: Wenn ihr könnt, dann wählt Barack Obama! Den amtierenden Präsidenten erwähnt er mit keinem Wort.

Rüdiger Schaper

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