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Listiger Poet. Gisbert zu Knyphausen.

© PIAS

Liedermacher: Der Text ist unsere Party

Liedermacher: da steigen sofort Bilder von bärtigen, ernst dreinblickenden Männern auf, die, natürlich vergeblich, gegen Unrecht, Kriege und das System ansangen. Doch das war einmal.

Das Wort wirkt ranzig, mit den Jahren ist es speckig geworden wie eine alte Lederjacke. Liedermacher: da steigen sofort Bilder von bärtigen, ernst dreinblickenden Männern auf, die, natürlich vergeblich, gegen Unrecht, Kriege und das System ansangen. Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp, eine Ahnengalerie der Aufrechten und Lauten. Musik war für sie eine Waffe. Jetzt wehen wieder Gitarrenakkorde herüber, perkussiv geschlagen, eine warm timbrierte Stimme hetzt ihnen hinterher. Sie singt: „Aus unseren schäbigen alten Boxen strömen die Lieder aus vielen, vielen, vielen Jahren direkt in unsere Herzen / Ihre Sänger haben die immergleiche Losung auf den Lippen: Die Welt ist grässlich und wunderschön.“

Gisbert zu Knyphausen weiß, dass man die Welt mit Liedern nicht verändern, sondern allenfalls beschreiben kann. Das Grässliche liegt gleich neben dem Wunderschönen, auf Euphorie folgt sofort Katzenjammer. Wer Weisheiten verkündet, muss eingestehen, dass das Gegenteil möglicherweise genauso richtig ist. Ausrufezeichen werden gleich wieder dementiert. „Hurra! Hurra! So nicht.“, heißt Knyphausens ziemlich grandioses zweites Album, das heute erscheint. Es ist ein von der Akustikgitarre dominiertes, mit Lärmeinlagen und fein ziselierten Keyboard-Bass-Schlagzeug- Arrangements weit in Pop- und Rockgefilde ausgreifendes Dokument eines entspannten neuen Liedermachertums.

Die Zeitschrift „Rolling Stone“ hatte den Hamburger Sänger im letzten Jahr zu einem „Gipfeltreffen“ mit Reinhard Mey zusammengebracht. Knyphausen fand es eine „schöne Idee, die Generationen zusammenzuführen“, kann aber mit Meys Musik nicht viel anfangen: „Mir fehlt der Dreck darin.“ Wobei das Kaputte auch in seinen Songs eher in homöopathischer Dosierung vorkommt, gemächlich wie ein träger Fluss fließt die Hafenballade „Kräne“ dahin, und das programmatische Bekenntnis „Ich bin ein Freund von Klischees und funkelnden Sternen“ ist auf countryeske Slidegitarren und eine betörende E-Piano-Melodie gebettet. „Stern“ reimt er beherzt auf „gern“, in Kränen erkennt er „gewaltige Tiere mit metallenen Krallen und Neonlichtaugen“ und einer verflossenen Liebe ruft er hinterher: „Ich hab’ mein Herz ausgekugelt für dich.“

Knyphausen, keine Frage, ist ein Poet, vor dem Kitsch rettet ihn die Ironie. Seine Texte, sagt er, entstehen „aus dem Gedanken heraus, dass ich versuchen will, keinen Scheiß zu singen“. Aber „den Leuten meine Wahrheit nahebringen“, nö, „diesen Anspruch habe ich nicht“. Er könne sich nur schwer festlegen, beim Interview spricht er zögernd und mit leiser Stimme. Seine Karriere, das passt zur Unentschlossenheit, begann eher per Zufall.

„Perfektionist? Finde ich nicht“, sagt Kristof Schreuf.

Gisbert zu Knyphausen, 31, wuchs auf einem Weingut im hessischen Rheingau auf, das „noch nicht so lange, erst seit 200 oder 300 Jahren in Familienbesitz ist“. Nachdem er ein Musiktherapiestudium im holländischen Nijmegen abgebrochen hatte, zog er nach Hamburg, um erst einmal zu jobben. Das Songschreiben habe da schon länger in ihm „gegärt“, er begann eigene Stücke vor Freunden und in Clubs zu spielen. Als 2008 das Debütalbum herauskam, wurde es ein Überraschungserfolg. Anschließend gab er 120 Konzerte in den letzten zwei Jahren. „Solange die Räder rollen, / Stehen meine kleinen Teufel still / Haltet bitte nicht an / Bitte noch nicht“, barmt er auf der neuen Platte.

Dass „Hurra! Hurra! So nicht.“ weitaus ausgefeilter als der noch etwas schrammelige Vorgänger klingt, liegt am Produzenten Tobias Levin. Drei Monate lang hat er in seinem Hamburger Electric-Avenue-Studio mit Knyphausen und seiner vierköpfigen Band gearbeitet. „Er hat die Arrangements immer weiter verfeinert“, erzählt der Sänger. „Und wenn ich nach einer Aufnahme sagte: Alles super, hat er darauf gepocht, dass es noch nicht so super war. Tobias ist ein Perfektionist.“

„Perfektionist? Finde ich nicht“, sagt Kristof Schreuf. „Ein Perfektionist betreibt L’art pour l’art. Tobias hört sich Musik sehr genau an und findet heraus, was die Songs fordern.“ Schreuf hat gerade das zweite bemerkenswerte deutsche Popalbum dieser Wochen veröffentlicht. Bei „Bourgeois with Guitar“ fungierte Levin nicht nur als Produzent, sondern auch als Koautor einiger Stücke. Schreuf ist ein postmoderner Liedermacher, er nimmt die Popgeschichte auseinander und klebt sie wieder neu zusammen. Er singt „My Generation“ a capella zur Melodie von „Scarborough Fair“, einem jahrhundertealten Folkstück, das Simon & Garfunkel zum Hit machten. „Miss You“ von den Rolling Stones kreuzt er mit Richard Hell, Santa Esmeralda und dem Discoknüller „Last Night a DJ Saved My Life.“

Überraschenderweise wirkt dieser Bastard-Pop weder angestrengt noch aneinandergestückelt. Zusammengehalten werden die zwölf Songs, von denen drei Eigenkompositionen sind, von einer Akustikgitarre, verhaltenen Keyboardteppichen und Schreufs sanftem Gesang. „Ich habe nach Liedern gesucht, denen ich etwas hinzufügen konnte. Die sind gut genug, dass ich etwas mit ihnen machen konnte.“

Schreuf, 46, gehörte mit seiner sagenhaften Band Kolossale Jugend in den späten achtziger Jahren zu den Gründervätern der so genannten Hamburger Schule und schuf bleibende Zeilen wie „Der Text ist meine Party“. Allerdings brachte es die Band nur auf zwei Alben, die Nachfolgeformation Brüllen gar bloß auf eins. Im Titelstück „Bourgeois with Guitar“ singt er nun: „Vom Kopf bis zu den Zehen bin ich ein Riss / Ich will durch Wände gehen.“ Seit 2004 wird im Suhrkamp Verlag ein Roman von Schreuf angekündigt, Arbeitstitel „Anfänger beim Rocken“. „Ich bin gut darin, langsam zu sein“, sagt er.

„Bourgeois with Guitar“ von Kristof Schreuf ist bei Buback herausgekommen, „Hurra! Hurra! So nicht.“ von Gisbert zu Knyphausen erscheint bei PIAS. Knyphausen spielt heute im Berliner Kino Babylon Mitte, 21 Uhr (ausverkauft).

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