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© dpa

Madonna: Der Teufel und die Boxerin

Die Queen of Pop unterwirft sich auf ihrem neuen Album "Hard Candy" dem Superproduzenten Timbaland. Ihr selbst scheinen allerdings langsam die Ideen auszugehen.

„Zieh die Hose runter“, befahl Madonna. Der kränkelnde Justin Timberlake tat wie ihm geheißen und bekam von der Queen of Pop höchstpersönlich eine Vitamin-B12-Injektion – garniert mit einem Kompliment für seinen Hintern. „Einer der besten Tage meines Lebens“, so Timberlake später.

In dieser Anekdote – zum Besten gegeben im März bei Madonnas Einführung in die Rock´n´Roll Hall of Fame – wird die 49-Jährige ganz ihrem Image als hardest working woman in show business gerecht. Es ist bekannt, dass Madonna im Studio ein strenges Regime führt, immer genau weiß, was sie will, und sehr schnell arbeitet. Doch bei den Aufnahmen ihres elften Album war einiges anders als sonst. Madonna engagierte für „Hard Candy“ (Warner), entgegen ihrer bisherigen Taktik, die derzeit herausragendsten Kräfte der Branche: Timbaland, der seinen Zögling Justin Timberlake mitbrachte, Pharell Williams von den Neptunes sowie Nate „Danja“ Hills. Da diese selbst viel beschäftigte Stars sind, ließen sie für Madonna nicht alles stehen und liegen. Die Diva musste warten – und sich an eine ihr fremde Arbeitsweise gewöhnen. „It was fun and fireworks“, sagte sie in einem Interview – Spaß und Feuerwerk. Eine nette Umschreibung dafür, dass wohl auch ein paar mal die Fetzen geflogen sind.

So ist die Single „4 Minutes“ ein erstaunliches Zeugnis musikalischer Unterwerfung. Madonna tritt hier extrem weit zurück, vom ersten Takt an ist dieser Song ein reiner Timbaland-Track. Ein typischer Synthie-Percussion-Beat gibt die Richtung vor, dazu kommt eine fette Bläsersequenz. Madonna ist erst nach 52 Sekunden erstmals zu hören. Den Refrain teilt sie sich mit Justin Timberlake. Sie gibt ihm die Stichworte und überlasst ihm sogar die Hook-Zeile „We only got four minutes to save the world“.

„4 Minutes“ ist ein tolles Popstück, das in 15 Ländern bereits Platz eins der Charts erreicht hat. Womit es sich perfekt einreiht in die Rekordliste der mit über 200 Millionen verkauften Alben erfolgreichsten Pop-Künstlerin aller Zeiten. Allerdings ist „4 Minutes“ vor allem ein Timbaland-Song. Madonna fungiert quasi nur als Background-Sängerin.

Überhaupt macht vieles auf „Hard Candy“ den Eindruck einer Resteverwertung in den Fürstentümern von Timbaland und Pharell Williams. Das Stück „Incredible“ klingt, als hätte es Williams aus vier Spuren zusammengesetzt, die nicht mehr auf das letzte Gwen–Stefani–Album gepasst haben. Das tolle R´n´B-Eröffnungsstück „Candy Shop“ erinnert an Williams’ beste Arbeiten für Kelis. Und bei „Devil wouldn’t recognize you“ orientieren sich Timbaland und Timberlake an den Refrain-Ideen von „What goes around ... comes around“ vom letzten Timberlake-Album.

Auch sonst wird viel zitiert und geklaut. „Give it 2 me“ bedient sich schamlos bei „Sexbomb“ von Mousse T und Tom Jones. Dennoch ist das Stück ein unwiderstehlicher Disco-Song, der von dem auf „Hard Candy“ allgegenwärtigen Kuhglocken-Gedengel schlau akzentuiert wird. Hier schließt Madonna an ihre letztes Album „Confessions on a Dance Floor“ an, mit dem ihr vor drei Jahren einer der größten Triumphe ihrer Karriere gelang. Ein besonderer Coup war die Single „Hung up“, die in 41 Ländern auf Platz eins der Charts schoss: Madonna hatte Abba die Erlaubnis abgerungen darin ein Sample ihres Hits „Gimme Gimme Gimme (A Man after Midnight)“ zu verwenden. Der Produzent von „Confessions on a Dancefloor“ war Stuart Price, musikalische Direktor ihrer Tourneen und Chef des britischen Electro-Trios Zoot Woman. Ein ausgewiesenes Genie, aber kein Superstar. Genau wie seine Vorgänger William Orbit und Mirwais Ahmadzaï, die auf „Ray of Light“ (1998) und „Music“ (2000) jeweils einen besonderen Sound für Madonna schufen. Mit diesen Werken war sie zu einer ernstzunehmenden Trendsetterin des Mainstream-Pop aufgestiegen. Sie bekam ihre ersten Album-Grammys sowie den uneingeschränkten Respekt der Medien. Dass sie dies alles schon mit dem peinlichen „American Life“ (2003) wieder verspielte, gehört bei ihr dazu: Wenn Madonna Louise Ciccone daneben haut, dann richtig (siehe auch: Filmkarriere). Die Songs waren lahm, auf dem Cover präsentierte sie sich im Che-Guevara-Look, und im später zurückgezogenen Video warf sie eine Granate auf ein Bush-Double. Das brachte ihr in den USA einen Radio-Boykott ein, die Verkaufszahlen waren für ihre Verhältnisse enttäuschend. Doch ein Debakel stachelt Madonna nur zu neuen Höchstleistungen an. Ihre grandiose Rückkehr mit „Confessions on a Dancefloor“ war der Beweis.

Indem Madonna sich nun von den innovativen europäischen Mitstreitern ab- und amerikanischen Superproduzenten zuwendet, verliert sie einiges an Unverwechselbarkeit. „Hard Candy“ ist ein solides Werk, das aber einen eigenen Charakter und echte Leidenschaft vermissen lässt. Auch die visuelle Seite enttäuscht: Auf dem Cover zeigt sich Madonna mit weit gespreizten Beinen, einem Boxer-Gürtel und schwarzen Bandagen, die sie unter ihrem lasziv geöffneten Mund vorbeizieht. Das wirkt billig und zitiert die SM-Optik ihrer „Erotica“-Phase zu Beginn der neunziger Jahre.

Der ewigen Rollenspielerin und Meisterin der Neuerfindung scheinen die Ideen ausgegangen zu sein. Trotzig setzt sie mit fast 50 wieder auf das alte Image der tabulosen Domina. Keine Spur von Altersmilde. Im Gegenteil: Madonna feiert ihre Ausdauer, Sexyness und Einmaligkeit. Das Stück „She´s not me“ handelt etwa von einem Mädchen, dass Madonnas Stil kopiert. Doch das Mädchen ist eben nicht Madonna. „She doesn’t have my name/She’ll never have what I have/It won’t be the same“, singt sie.

Man kann diesen Song auch als Verarbeitung der Enttäuschung über den Niedergang von Britney Spears lesen. Madonna hatte sie ja durch Zungenkuss und Duett quasi zur Thronfolgerin erkoren. Das aber ist die in Drogen und Familienproblemen versinkende Spears jetzt nicht mehr. Die Königin muss selber weitermachen. Die Weichen sind gestellt: „Hard Candy“ ist ihre letzte Veröffentlichung beim Label Warner Brothers. Die nächsten drei Alben werden beim Konzertveranstalter Live Nation herauskommen, der sie für 120 Millionen Dollar Vertrag genommen hat. Damit reagiert Madonna auf die aktuelle Krise der Plattenindustrie. Vielleicht bekommt dadurch auch ihre Musik frische Impulse. Danger Mouse wäre ein guter neuer Partner. Er würde sie sicher auch nicht warten lassen oder Vitaminspritzen brauchen.

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