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Die deutsche Band Neu! im Jahr 1972. Michael Rother (links) und Klaus Dinger.

© Thomas Dinger/Neu!

Neu! und ihre Nachfolger: Die Paten aus Deutschland

Oasis, Sonic Youth, Primal Scream, Foals und andere widmen dem Krautrock-Duo Neu! das Compilation-Album "Brand Neu!". Es beweist den großen Einfluss der deutschen Band.

Von Markus Hesselmann

Sie haben Wichtiges zu bereden, die beiden chicks. Welche Band wollen sie managen? Dinosaur oder doch lieber Redd Cross? Als Hintergrundmusik zum Gespräch läuft ein deutsches Lied: „Negativland“ von Neu! Rumpelnder Bass, sägende Gitarre, ein Schlagzeug, das nach vorn will. Eine deutsche Band liefert den Soundtrack zum amerikanischen Traum in seiner Postpunk-Version. Das Stück, eine Soundcollage, die in einem New-York-typischen E-Gitarren-Gewitter endet, nennt sich „Two Cool Rock Chicks Listening To Neu!“. Für diesen und einige andere Songs hatte sich Sonic Youth, die wichtigste amerikanische Postpunkband, Ende der Achtziger den Namen Ciccone Youth gegeben – als Hommage an Madonna. Den coolen, femininen Pop der Marke Madonna mit dem Experimentell-Auratischen, für das Neu! stand, zu verbinden – das ist der Kern des Projekts Sonic Youth.

Jetzt steht „Two Cool Rock Chicks Listening To Neu!“ am Anfang einer neuen CD-Compilation, mit der britische und amerikanische Künstler wie Oasis, LCD Soundsystem, Primal Scream, Kasabian, Foals oder eben Sonic Youth das Krautrock-Duo Neu! ehren. „Brand Neu!“ heißt das Album, das beim Londoner Label Feraltone erscheint.

Noel Gallagher: Echte Tourbus-Musik, spirituell!

„Two Cool Rock Chicks Listening To Neu!“ stammt von der 1988er Ciccone-Youth-LP „The Whitey Album“. Das Stück eröffnet den “Brand Neu!“-Sampler aus gutem Grund. „Es war das erste Dokument dafür, dass sich in Übersee etwas tut“, sagt Michael Rother rückblickend. In den USA und Großbritannien erwiesen sich Neu! damals als wichtiger Einfluss für Postpunk, New Wave und Elektro. Zu Hause in Deutschland hatte Rother seinerzeit Schwierigkeiten, für seine Musik eine Plattenfirma zu finden. Der Gitarrist Michael Rother und der Schlagzeuger Klaus Dinger hatten sich 1971 von den Düsseldorfer Elektronik-Pionieren Kraftwerk gelöst, um mit Neu! ihr eigenes Projekt zu verfolgen. Im typischen Neu!-Sound, den Oasis-Gitarrist Noel Gallagher als „echte Tourbus-Musik, spirituell!“ rühmt, stand Rother für die ausgefeilten Akkorde, die zwischen harmonisch-melancholisch und spacig-dissonant pendelten. Dinger war für den monoton-treibenden Rhythmus sowie die krachigeren Elemente zuständig. Von der künstlerischen Spannung zweier sehr unterschiedlicher Charaktere lebte das Projekt, endete aber auch genau deswegen schon bald. Nach drei Alben trennte sich das Duo 1975. Ein Comeback-Versuch in den Achtzigerjahren scheiterte jäh.

Rother nahm eine Reihe erfolgreicher Soloalben auf, unter anderem „Flammende Herzen“ von 1977. Sein Projekt Harmonia feierte im vergangenen Jahr unter anderem mit Auftritten in London und Berlin ein Comeback. Dinger gründete La Düsseldorf und hatte mit seiner Band vor allem auch in Japan Erfolg. Der Schlagzeuger starb im vergangenen Jahr drei Tage vor seinem 62. Geburtstag. Rother, sein vier Jahre jüngerer künstlerischer Partner und Gegenpol, will sich nun noch einmal verstärkt um das Erbe von Neu! kümmern. Unter anderem soll demnächst eine Box mit allen Vinylplatten sowie Bildern des Fotografen und Regisseurs Anton Corbijn erscheinen. Dazu soll auch das legendäre vierte Neu!-Album gehören, das bislang nur in einer verstümmelten, von Rother nicht autorisierten Version bei einem kleinen Label erschienen ist.

Bobby Gillespie: Von Neu! beeinflusst, ohne Neu! gehört zu haben

Doch jetzt machen sich erstmal andere ums Erbe verdient. „Brand Neu!“ versammelt Künstler, die sich zum Einfluss der deutschen Krautrocker bekennen. Zum Beispiel Primal Scream. „Neu! haben mich schon beeinflusst, bevor ich sie überhaupt gehört habe“, erklärt Sänger Bobby Gillespie. Er habe die deutsche Band über den Umweg Joy Division und Siouxsie and The Banshees kennen gelernt. Bei beiden seien Neu!-Anklänge unverkennbar. Mit „Shoot Speed/Kill Light“ steuern Primal Scream  zur Compilation ein dynamisches Stück Lärmrock im Geiste Klaus Dingers bei. Auch Oasis sind mit „I Can See It Now“ erwartungsgemäß eher auf der krachenden Seite, obwohl Rother „als Beatles-Fan“ der Sound der Mega-Britpopper durchaus gefällt. Ganz auf Rother-Linie liegen die Foals. Ihr Tribut-Song „Titan Arum“ erinnert in seiner perlenden Melodik fast schon mehr an Harmonia als an Neu! – wie im übrigen auch so manch anderer Foals-Song. Auch die Geehrten selbst finden sich auf dem Sampler: „Sketch 1_08“, ein schlagzeuglastiges Stück von La Düsseldorf, wird annonciert als letzte Aufnahme, an der Klaus Dinger vor seinem Tod beteiligt war. „Neutronics 98“, ein bislang unveröffentlichtes Stück von Michael Rother, schließt das Album mit standesgemäßer Breitwand-Atmosphäre ab.

Die ganz offensichtlichen Protagonisten fehlen sogar noch auf diesem Sampler: Die Red Hot Chili Peppers, mit denen Michael Rother schon mehrfach auf der Bühne stand und mit deren Gitarrist John Frusciante ihn eine künstlerische Freundschaft verbindet. Oder die Walkabouts, die auf ihrer Cover-Compilation „The Train Leaves At Eight“ - einer amerikanischen Hommage an die europäische Musik - auch eine Version des Neu!-Songs „Leb Wohl“ aufgenommen haben. Oder Julian Cope, dem früheren Sänger der Teardrop Explodes, der den Briten nicht nur den deutschen Sound mit seinem Buch „Krautrock Sampler“ nahebrachte, sondern auch noch einem seiner Solo-Songs den Titel „Michael Rother“ gab. Oder Negativland, eine amerikanische Experimentalband, die nicht nur sich selbst, sondern auch noch ihr Label Seeland nach Neu!-Songs benannte.

Krauts und Krautrocker

Die Faszination der Angelsachsen an zeitgenössisch Deutschem liegt, da sollte man sich als Deutscher nichts vormachen, immer auch im irgendwie Unheimlichen, von dem man sich als Brite oder Amerikaner abgrenzen kann, das einen gerade deshalb aber auch wohlig erschauern lässt und dadurch doch einlädt, sich damit zu beschäftigen. Das hat natürlich vor allem mit der jüngeren deutschen Geschichte zu tun. „Negativland“ – schon in dem Titel schwingt all das mit. Ein Land, das seinen Ruf ruiniert hat. Der Song beginnt mit einem Presslufthammer. Erst wird Schutt produziert und dann weggeräumt. „All dieses gärende alte Gerümpel in den Köpfen“, wie es Rolf Dieter Brinkmann in seinem Roman „Keiner weiß mehr“ 1968 genannt hat. Und klingt bei Ciccone Youth nicht irgendwie Hitler Youth mit? Schon der Begriff  „Krautrock“ nimmt ja Bezug auf den Krieg. „Krauts“, die Sauerkrautfresser, war für die Briten das Schimpfwort für die Deutschen, vor allem für ihre Soldaten. War „Krautrock“ dann zunächst ein Attribut, um sich lustig zu machen über unbeholfene deutsche Versuche, an der populären Musik angelsächsischer Prägung teilzuhaben, so ist es heute ein Gütesiegel.

Ein Grund für ein bisschen Stolz? „Mir ist jede Deutschtümelei fremd“, sagt Michael Rother. Er hält zum Beispiel nicht viel von den Bemühungen seiner früheren Kraftwerk-Kollegen, einen identitätsstiftenden deutschen Sound zu kreieren. Seine Musik ist für ihn nicht typisch deutsch, sondern „mitteleuropäisch“ - geprägt dadurch, dass sie sich von den Harmonien und vom Rhythmus her anders als amerikanische Musik nicht direkt vom Blues ableiten lasse. Das Projekt „Brand Neu!“, das sich ausdrücklich auf die „Krautrock godfathers“ beruft, gefällt Michael Rother. Den Begriff „Krautrock“ lehnt der Pate selbst ab.

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