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Neues Album: Eminem: Mutter aller Drogen

Seine wichtigsten Werbeauftritte in Deutschland hat Eminem letzte Woche schon absolviert. Manchmal vergisst man sogar, dass er hauptberuflich Musiker ist. Eminem begibt sich mit seinem Album "Relapse" erneut in Therapie.

Er saß in der Show von Stefan Raab, um deutsche Schimpfwörter auszuprobieren, unter anderem „Dieter Bohlen“. Und in einem Hotel in Bergisch Gladbach traf er sich mit einer Redakteurin von „bild.de“, tauschte mit dieser ebenfalls deutsche Schimpfwörter aus und erzählte ihr dann die „Wahrheit über meine Drogensucht“. Auch sonst funkt Eminem auf vielen Kanälen, von gesunder Ernährung weiß er zu berichten, „Hühnerbrust und Ähnliches“, dass er Sport treibe, seine Tochter liebe, solche Sachen. Manchmal sagt er dann immerhin auch, wie schön es war, mit dem alten Kumpel Dr. Dre an seinem neuen Album „Relapse“ zu arbeiten, das am Freitag erscheint.

Man vergisst in seinem Fall schon einmal leicht, dass der 1972 in Detroit geborene Eminem hauptberuflich Musiker ist, ein durchaus begnadeter Rapper. Das liegt zum einen daran, dass er Anfang des Jahrzehnts mit Alben wie „The Slim Shady LP“ und „The Eminem Show“ zu einem überlebensgroßen Popstar avancierte, und bei einem solchen sind bekanntlich jeder Schritt und jede Hautabschürfung eine Meldung wert. Zum anderen hat dieses Vergessen insbesondere damit zu tun, dass Eminem wie kein Zweiter Authentizität und Künstlichkeit miteinander verschränkt hat, er sein Leben solcherart in seine Musik miteinbringt, dass sich Trennlinien nur schwer ausmachen lassen, nicht zuletzt von Eminem selbst.

Außergewöhnlich war seinerzeit natürlich, dass nach Elvis, den Stones oder den Bee Gees wieder ein Weißer in eine schwarze Popdomäne einbrach. Eminem tat das nicht in Form einer bürgerlichen Aneignung, sondern mithilfe seiner ordentlich kaputten Biografie. Als Sohn einer 17-jährigen drogenabhängigen Mutter lernte er seinen Vater nie kennen, wuchs in den miesesten Gegenden von Detroit auf und musste miterleben, wie sein nur wenige Monate älterer Ziehonkel Ron, der in ihm die Leidenschaft für HipHop weckte, sich bei einem Einbruch versehentlich umbrachte.

Eine White-Trash-Biografie in Reinkultur also. Und diese diente Eminem dann als inhaltliche Grundlage fast aller seiner Tracks – durchsetzt von Gewaltfantasien, angereichert mit genretypischen Hasstiraden auf Schwule, Frauen im allgemeinen und seine Mutter im Besonderen. In die Spur gebracht aber mit den avanciertesten Formen bildungsbürgerlicher Textproduktion, vom multiperspektivischen Erzählen über den Bewusstseinsstrom bis zur Rollenprosa. „Eminem“ ist nur eines von mehreren Eminems-Ichs, Marshall Mathers, wie er bürgerlich heißt, ein anderes, Slim Shady ein drittes. Ausgestattet mit einer Vielzahl künstlerischer Identitäten konnte Eminem seinem Hass freien Lauf lassen, Konkurrentinnen in der Großpopliga wie Britney Spears als „Shitney Queers“ beschimpfen oder, wie in dem Song „Kim“, seine Ehefrau ermorden.

Als „Therapie“ hat Eminem seine Alben mitunter bezeichnet, nur geholfen hat diese nicht. Denn los wird man seine Traumata nicht, wenn die eigene Biografie einen künstlerisch überall hinbegleitet, wenn sie der einzige Stoff ist, den es zu gestalten gilt. Und so landete Eminem dort, wo seinesgleichen, sei es die arme Sau aus der Trailerparksiedlung, sei es der Popstar aus dem Villenvorort, fast zwangsläufig landet: bei den Drogen, auf psychiatrischen Suchtstationen. Oder in noblen Privatkliniken. Geld hat Eminem mit seinen weltweit über 70 Millionen Mal verkauften Alben ja zuhauf verdient.

„Relapse“ schlägt nun das nächste Kapitel in Eminems Leben auf. Das Album erzählt von seinen Erfahrungen mit Alkohol und Drogen, mit Ärzten, körperlichen Zusammenbrüchen, Entzugserscheinungen. Eine Erklärung dafür, warum alles kommen musste, wie es kam, hat Eminem auch: „My mom loves valium and lots of drugs, that’s why I am like I am cause I’m like her.“ Alles beginnt aber mit einem Dialog zwischen Marshall und einem Arzt, der Marschalls stationäre Entlassung vorbeireitet. Anstatt letzte Hilfestellungen zu geben, entpuppt sich der Arzt als Monster, der seinen Patienten und dessen Ängste nicht ernst nimmt. Es folgen die Beschreibung nächtlicher Höllenqualen („3am“), besagtes „My Mom“, Tracks über das Leben mit Alkohol und Tabletten („Insane“, „Medicine Ball“), Reflexionen über die Sucht: „I need these pills to be able to sleep so I take three naps, just to be able to function throughout the day.“ Und ein Zwischenspiel („Mr. Mathers“), das von einem Kollaps mit anschließender Wiederbelbeungsmaßnahme handelt.

Zwischendrin klopft sich Eminem häufig selbst auf die Schulter und feiert das Wunder der Veröffentlichung dieses Albums nach geschlagenen fünf Jahren. Was ja nicht vorgesehen war: „Encore“, sein letztes Album von 2004, inszenierten er und seine Plattenfirma als Abschiedsalbum, und nach seiner Filmbiografie „8 Mile“ mit ihm in der Hauptrolle, nach zwei Best-Of-Alben, nach zahlreichen Eminem-Biografien und nicht zuletzt der Autobiografie „The Way I Am“ hatte Eminem schließlich das Ende der medialen Verwertungskette erreicht.

Doch was macht ein Musiker mit Mitte dreißig, der alles erreicht und mutmaßlich gar die Drogensucht überwunden hat? Von bürgerlicher Selbstverwirklichung hat Eminem noch nie etwas gehört. Er eignet sich auch nicht dafür, Kids mit ähnlichem biografischen Hintergrund mittels diverser Charity-Projekte von der Straße zu holen, wie es viele seiner schwarzen Kollegen tun.  

Also muss er wie gehabt weitermachen, muss er seine Herkunft, sein Leben weiterhin künstlerisch aufbereiten – der Albumtitel „Relapse“ (Rückfall) spricht Bände. Immerhin knüpft „Relapse“ an alte Großtaten an: Eminems nasale Reime fließen schön elegant dahin, in Stücken wie „Deja Vu“ und „Beautiful“ erreicht er gar die weise Melancholie eines Nas oder Jay-Z, und mit Dr. Dre als Produzenten hat das Album sowieso kaum Ausfälle. „Here comes the rain and thunder now/Nowhere to run, to run to now/I’ve disappeared, don’t wonder how/Looking for me/I’m underground“ rappt Eminem zum Schluss. Das dürfte Wunschdenken sein. Eminem ist wieder oben, muss Rollen spielen, böse sein, schlimme Worte sagen. Läuterung sieht dieser Lebensplan nicht vor.

Eminem: Relapse (Aftermath/Interscope/Universal), erscheint am Freitag

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