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Babyshambles

© ddp

Neues Album: Er kann es doch

Mit "Shotter’s Nation“ sind die Babyshambles um Skandalrocker Pete Doherty endlich die Band, die sie immer sein wollten.

Statistisch gesehen hat Pete Doherty noch sieben Jahre Zeit. Der britische Rockstar und Frontmann der Babyshambles ist mit 28 zwar schon ein Jahr älter als die großen Toten des Rock’n’Roll – Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Kurt Cobain –, doch einer Erhebung einer britischen Zeitschrift für Epidemiologie und öffentliche Gesundheit zufolge sterben europäische Rockstars im Durchschnitt mit 35. Ihre amerikanischen Kollegen werden immerhin 42. Das mag makaber klingen. Dabei geht es in der Studie um die Frage, mit wie viel Sterberisiko der Sonderstatus der Prominenz behaftet ist. Wie hoch der Preis dafür, ständig im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen. Offenbar vergaßen die Wissenschaftler, dass ein erheblicher Teil des Ruhms vom Tod selbst herrührt. Nichts ist so förderlich für die eigene Karriere wie ein frühes Ableben.

Bis vor kurzem musste man fürchten, dass Pete Doherty den Schnitt noch einmal senken würde. Die Skandalnudel der britischen Pop-Aristokratie – seine Liaison mit Topmodel Kate Moss beschäftigte monatelang die Boulevardblätter – schien es darauf anzulegen, möglichst bald an irgendeiner Droge zu sterben. Wie lange sollte das noch gutgehen? Die Sucht hat den kugeläugigen Kindskopf schon Erfahrungen als Stricher machen lassen, als er 2003 zum ersten Mal vor Gericht kommt, wegen Einbruchs – er hatte sich neuen Stoff zu besorgen versucht. Da ist er mit den Libertines bereits zum Rockstar geworden, aber die Band zerbricht an der Unzuverlässigkeit des notorischen Fixers.

Die nachfolgenden Babyshambles sind eine Art Selbsthilfegruppe. Beschäftigungstherapie für einen Freak, von dem sich Neuigkeiten immer eintöniger lesen: Doherty verhaftet (Juni 2004); Doherty wegen Drogenbesitzes angeklagt (Januar 2006); Doherty wieder auf freiem Fuß (Februar 2006); Doherty mit Drogen erwischt (Februar 2006). Doherty injiziert einem Fan Heroin (April 2006). Doherty im Vollrausch von der Verkehrspolizei aufgegriffen (August 2006), ein Gerichtsverfahren wird abgewendet. Es ist ein Rätsel, wie seine Anwälte ihn immer wieder frei kriegen. Das Babyshambles-Debüt („Down in Albion“) gerät so stümperhaft, dass es beinahe unerträglich ist. Dem Jubel tut das keinen Abbruch. Doherty gilt als Genie.

In einer Zeit, da Rockmusik von Kunststudenten in Cashmere-Pullovern definiert wird, verkörpert er den Lebensstil des widerborstigen Penners. Er fügt sich nicht. Scheißegal. Das wirkt echter, auch wenn sein Dasein all die Rockklischees bedient, vor denen ihm selbst graut. Der Höhepunkt dieses beschämenden Lebenstaumels ist erreicht, als sich ein Freund des Musikers nach einem Streit von einem Hochhausdach stürzt und Doherty die Party verlässt, während der andere auf dem Pflaster verreckt (Dezember 2006).

Das Räudige des Rock'n'Roll

Nun – wer hätte das gedacht? – hat er zur Abwechslung mal wieder Musik gemacht. Mit „Shotter’s Nation“ erscheint am Freitag ein von der Plattenfirma eher zaghaft angekündigtes zweites Album des Untergehers – und es ist erschreckend gut. Es ist sogar so gut, dass sich die leidige Frage erübrigt, ob man einem Mann, der die alte Rock’n’Roll-Regel live fast, die young beherzigt, seine katastrophalen Momente nicht nachsehen sollte. Hier muss nichts übersehen, geleugnet, beschönigt werden. „Shotter’s Nation“ zeigt die Babyshambles als die Band, die sie immer sein wollten: energisch, aber nicht enervierend, locker, aber nicht nachlässig, mit tollen Melodien, Witz und Klarsicht, mitreißend einfache Gitarrenriffs, die einen wieder daran glauben lassen, dass es das Räudige des Rock’n’Roll doch gibt, jenseits der Selbstparodie.

Es geht um Heroin, Kokain, Kate Moss und wie einfach es ist, sie zu vergessen. Um Lügen, Ausreden und Schüttelfrost. Wieder um Kate Moss. Er trägt sie über die Schwelle, wissend, dass sie viel zu hübsch ist, um ihn zu bekochen. Es ist ein Blick zurück. Auf einen zerbrochenen Spiegel. Von dem sind die Kokslinien gewischt, der Staub der Verwüstung legt sich als bitterer Nachgeschmack auf die Zunge. „I’m fucked, forlorn, frozen beneath the summer/ Don’t sing along or you’ll get what I’ve got“, rät er jenen, die ihn zum Vorbild nehmen. Ja, Musik wie diese ist ansteckend.

„Writing songs is just a game“, singt Doherty in „You Talk“ über die Leichtfertigkeit, die ihn zum großen Verführer macht, „I’m getting good at cheating at.“ Er weiß, wie man den Leuten etwas vormacht. Sich selbst natürlich auch. Weshalb auch die Offenheit, mit der Doherty über sich selbst spricht, vielleicht nur eine Pose ist. In „There She Goes“, einem der schönsten Stücke seiner Laufbahn, lässt der Offizierssohn den Moment Revue passieren, als ihm Kate Moss begegnete: „Aus deiner Tasche hast du mehr Heroin gezogen, als ich je gesehen hatte. Wie hätte ich dich ziehen lassen können? Seit ich deine weißen Turnschuhe sah, tanzend und sich drehend zu Northern Soul.“

Die Kraft solcher Zeilen, die den schamlos von The Cure abgekupferten „Lovecats“-Beat umspielen, erschließt sich sofort. Man will sie nicht als autobiografische Bemerkung lesen. Hier treffen sich Liebende.

Doherty ist fertig mit sich

Dass es vermutlich aus guten Gründen nicht funktioniert hat mit Kate und Pete, dem Traumpaar des Britpop, deutet Doherty in „Baddie’s Boogie“ an: „It’s a lousy life for a washed up wife of a permanently plastered, pissed up bastard.“ Der gewalttätige Saufbold gehört zum Inventar der britischen Popkultur. Meist tritt er als der Vater auf, der die Rocksöhne verdrischt. Doherty weiß, wie sehr er selbst diesem Feindbild entspricht. Er, der sich mit dem Song „Fuck Forever“ zum großen Verweigerer aufschwang, ist fertig mit sich.

Von einer „Rehabilitierung des Pete Doherty“, spricht der Londoner „Guardian“. Die Wende kündigte sich bereits in diesem Sommer mit der Veröffentlichung von Dohertys Tagebüchern an („The Books of Albion“). Wer sein Leben zum Material macht, kann so fertig nicht sein. Vielleicht gab aber auch der endgültige Bruch mit Moss den Ausschlag – oder die richterliche Verfügung, sich in eine Klinik zu begeben. Vielleicht haben seine exzellenten Mitstreiter Mick Whitnall an der Gitarre, Bassist Drew McConnell und an den Drums Adam Ficek ja einfach nur zeigen wollen, was sie können, statt als Statisten eines peinlichen Rock’n’Roll-Dramas ihre Zeit zu verschwenden. Nichts sei absurder, sagen die Babyshambles: „You call yourself a killer, but the only thing you’re killing is your time.“

Tröstlich ist auch: Aus der Studie des „Journal of Epidemology and Community Health“ geht hervor, dass sich die Lebenserwartung der Stars 25 Jahre nach ihrem Karrieredurchbruch nicht mehr von der gewöhnlicher Menschen unterscheidet. Für Doherty beginnt die Uhr neu zu ticken.

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