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Judith Holofernes, Frontfrau von Wir sind Helden, bei einem Konzert in Leipzig.

© ddp

Neues Album: Wir sind Helden: Dein Weltbild hängt schief

Neues Album, gute Laune – ein Treffen mit Wir sind Helden in Berlin: Judith Holofernes ist noch immer die Pippilotta des deutschen Pops - und die neue Platte ist richtig gut geworden.

Die Nachricht verbreitete sich rasend. Nach langer Pause, nach drei Monaten im Studio, nach Abmischung aller Stücke und dem Kampf ums richtige Artwork, nach den ersten Interviews, in denen Judith Holofernes viele kluge Sätze gesagt hatte, entfuhr ihr einer von solcher Sprengkraft, dass Agenturen ihn sofort verbreiteten, Zeitungen voneinander abschrieben, Blogs kommentierten. Die Nachricht lautete: Holofernes will mit ihrem Sohn Friedrich demnächst Zoos besuchen.

Zoos also. Mit Friedrich. Man könnte vermuten, dass einen Musiker solche Meldungen frustrieren, demütigen sogar, weil sie das eigene Schaffen missachten oder gleich einen ganzen Berufsstand. Aber Judith Holofernes ist Sängerin der Band Wir sind Helden. Sie musste schon ganz anderes über sich lesen. Nein, frustriert sieht sie nicht aus, einige Tage später an einem Mittwochnachmittag in Kreuzberg, im Innenhof des Clubs Lido.

Es ist eben besser für die Seele, wenn man manche Dinge nicht zu nah an sich ranlässt, sagt sie. Und wenn man sich von dem Wunsch verabschiede, verstanden zu werden, jedenfalls in diesem einen Bereich seines Lebens. „Zugegeben, ein kleiner Verrat ist es immer. Man empfindet so intensiv beim Einspielen der Musik, kein Gespräch kann dem gerecht werden.“ Gerade hatte sie noch ein Fernsehinterview, der ARD-Mann hat sich mittendrin entschuldigt und gemeint, dass er das neue Album noch gar nicht hören konnte, dass er aber ein altes zu Hause im Schrank stehen hat und dass er die Band mag. Holofernes hat höflich gegrinst, und jetzt tut sie es wieder, in ihrem schwarzen Ledersessel, sie schlägt die Beine übereinander und man kann gar nicht anders als dort unten hinzugucken, auf ihre gelben Gummistiefel.

Das neue Album also. Es heißt „Bring mich nach Hause“ und ist die erste Veröffentlichung seit drei Jahren. Damit markiert es das Ende der einzigen Regenerationsphase, die sich diese Band bislang geleistet hat. Manche dachten: Die kommen gar nicht zurück. Andere dachten: Wenn doch, wird’s eher lahm.

Es ist ein richtig gutes Popalbum geworden. Mit Ohrwürmern, gegen die man sich schwer wehren kann, es aber auch gar nicht möchte. Mit einer ungewohnten rhythmischen Bandbreite und bisher ungehörten Instrumenten, einem Banjo, Glockenspiel, Akkordeon, dafür deutlich weniger Keyboards. Mit überraschenden Tempowechseln und mit Schmachtliedern, zu denen Oberstufenschüler Sex haben werden. Zwei vorab veröffentlichte Songs haben eine falsche Fährte gelegt, gleich wurde spekuliert, ob „Bring mich nach Hause“ ein schwermütiges, womöglich deprimierendes Album sei. Tatsächlich ist es über weite Strecken sehr tanzbar, ja intuitiv körperlich erfahrbar. Judith Holofernes spricht von „Groove-Kloppern, wie wir sie noch nicht hatten“.

Das mittlerweile vierte Werk wird kein Impulsgeber sein wie das 2003er-Debüt „Die Reklamation“. Aber es wird den Beweis liefern, dass deutschsprachiger Pop noch gewitzt und beseelt klingen kann. Was auch am Wortwitz der Sängerin liegt. Holofernes reimt und fabuliert, erschafft neue Verben („Du bravwandelst, Du herdentierst, Du schafwandelst“), feiert Bilder von Reptilienchören und aufgescheuchten Rentnern. Nirgends klingt ihre verbale Verspieltheit so zwingend wie im Song „Dramatiker“, wenn Holofernes neckt: „Deine Weste ist zu weiß / warte, ich frag einen Batiker … Dein Weltbild hängt schief / warte, ich frag einen Statiker.“ Dieser Band liegt das Kreieren auch im elften Jahr ihres Bestehens näher als das Kopieren, und Judith Holofernes ist immer noch die Pippilotta des deutschen Pop. Frech. Fantasievoll. Jugendlich mitreißend. Geht auch mit 33.

Im Lido, wo die Helden das neue Album kürzlich bei einem gar nicht so geheimen Geheimkonzert schon einmal live vorgestellt haben (Tagesspiegel vom 6.8.), sagt sie, dass diese Frische in Gefahr war. Dass es zu wenig Freiraum gab zum Musikmachen. Neben ihr sitzt Jens-Michael Eckhoff, der Keyboarder, und so analytisch, wie er spricht, wirkt es denkbar unpassend, dass ausgerechnet er sich den Künstlernamen Jean-Michel Tourette gegeben hat. Weil Wir sind Helden und ihre Konzerte schlagartig groß wurden, sagt Eckhoff, bedrängte ihn das falsche Gefühl, dass diese Band große Gesten brauche. Unterhaltsame Live-Shows. LED-Wände! Das war kein Segen. Bei ihrem letzten Konzert vor der Pause, im Spätsommer 2008 in der Duisburger Innenstadt, sangen Tausende gegen Ende ihren Über-Hit „Denkmal“ mit. Und Judith Holofernes musste anschließend zugeben: „Ich bin ein bisschen platt.“

Als sie sich zurückzogen, steckten sie in mehr Schubladen, als einer Band guttun kann. Sie galten als Sprachrohr eines jungen, linksliberalen Milieus, einer ganzen Generation gar, als Schnittmenge zwischen Attac-Aktivisten, Flohmarktgängern und Neon-Lesern. Vor allem aber als Phänomen und Vorreiter. Frau singt deutschen Pop, Männer musizieren drumrum – niemand wollte einsehen, dass dies kein Konzept war. Schließlich gab es auch Silbermond, Juli, Klee, Christina Stürmer, Mia und Annett Louisan, in Interviews distanzierte man sich voneinander und verneinte jeden Bezug, verwies höchstens darauf, dass man selbst übrigens zuerst dagewesen war. Exakt so war es ein Jahrzehnt vorher schon den Diskursrockern der vermeintlichen „Hamburger Schule“ ergangen: Keiner wollte dazugehören, keiner wollte es gewesen sein.

Die Helden hatten es satt. Auch deshalb fiel ihre Wahl auf Ian Davenport als Produzenten des neuen Albums. Ein Brite, der zuvor Badly Drawn Boy und die Garagenrocker Band of Skulls abgemischt und keinen Schimmer hatte, wer diese vier Mittdreißiger waren und was sie in Deutschland bedeuten. Die Texte verstand er natürlich auch nicht. Dank Davenport entdeckten die Musiker bald eine deutsche Eigenart an sich: die Fixierung auf das Metronom. Also, weg mit dem tickenden Taktgeber. Holofernes legte auch die Gitarre ab, konzentrierte sich auf ihre Stimme, dafür half Jörg Holdinghausen von der befreundeten Berliner Band Tele aus. Aufgenommen wurde das Album in den Tritonus-Studios in der Schlesischen Straße, nebenan Jan Plewkas Selig, verglichen mit denen waren die Helden nie fort.

Politische Statements fehlen. Die einzigen drei engagierten Stücke wurden kurz vor der Fertigstellung vom Album verbannt, das bedeute aber keine Abkehr vom Politischen, sagt Tourette, keinen Rückzug, sondern sei einzig dem Gefühl geschuldet, bereits alles gesagt zu haben, auch zu der Krise, nur eben sieben Jahre zuvor mit Konsum- und Kapitalismuskritik à la „Müssen nur wollen“. Die haben Gültigkeit. Parolen findet man trotzdem genug. „Ein Kuss ist ein Kuss ist ein Kuss ist ein Kuss ist ein Kuss“, singt Holofernes euphorisch in „Was uns beiden gehört“. Aber sind die Helden dann noch relevant? Sicher nein im Sinne von Spex’scher Verortungslehre. Sicher ja in der Kategorie: Bands, die einen dieses Jahr glücklich machen können. Man wird das Gefühl nicht los, dass sie beides so wollten.

„Bring mich nach Hause“ erscheint am Freitag bei Columbia Berlin

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