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Tosca

© dpa

Open-Air-Kultur: Wasserratten, wollt ihr ewig leben?

Philipp Himmelmanns spektakuläre "Tosca" bei den Bregenzer Festspielen ist ein Triumph der Bühnentechnik. Rund 360.000 Menschen können die 50 Aufführungen in diesem und im kommenden Sommer sehen.

Wenn über Rom die Sonne aufgeht, sinken im Hintergrund 300 Tonnen lautlos zu Boden. An den Beginn des dritten Aktes seiner "Tosca" hat Giacomo Puccini eine Idylle gestellt: Ein herrlicher Frühlingstag kündigt sich an, die Ewige Stadt liegt noch im Schlummer, nur ein Hirtenknabe springt trällernd durchs Bild. Es ist eine trügerische Ruhe, denn gleich wird Mario Cavaradossi, der Maler, der dem flüchtigen Staatsfeind Angelotti Unterschlupf gewährte, hingerichtet. Bei Philipp Himmelmanns Inszenierung des Verismo-Knallers auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele wird das Finale zum Triumph der Bühnentechnik: Die 7000 Zuschauer hören zwar das Plätschern der Wellen – von dem hydraulischen Antrieb, der die 25 Meter hohe, 50 Meter breite Bühnenwand nach hinten klappen lässt, aber hören sie nichts.

Kunstnebel wabert, Scheinwerferbatterien durchstechen die Nacht, das auf 1000 Quadratmeter Stahlgestänge montierte Auge, das den Überwachungsstaat des römischen Polizeichefs Scarpia symbolisiert, teilt sich. Vorne bleibt die Iris stehen, der Rest, von den Wimpern bis zum Tränensack, neigt sich rückwärts und gibt den Blick frei auf ein Gefängnis, in dem Delinquenten gehalten werden wie Hühner in einer Legebatterie. Gleich wird das Schwarze des Augapfels sich wie von Geisterhand öffnen und den Blick freigeben auf den angeketteten Cavaradossi. Nach der Exekution entsorgt die gespenstisch unsichtbar arbeitende Technik den Leichnam des Malers dann – platsch – in den Bodensee.

Und Tosca, die alles in rund 15 Metern über der Wasseroberfläche mitverfolgt hat, vom oberen Rand der Iris aus, wird sich ihrem Geliebten hinterherstürzen – allerdings nur virtuell, als Animation, die plötzlich auf der Netzhaut-Leinwand erscheint, eine Frau im rosaroten Tüllkleid, die stürzt, stürzt, bis sie schließlich als winziger Punkt in schwarzer Tiefe verschwindet. Da ist in dem kleinen österreichischen Städtchen mit dem größten Freiluft-Opernfestival der Welt aber längst der Jubel losgebrochen, die nun wieder quicklebendigen Hauptdarsteller nehmen an der Seite von Regisseur Philipp Himmelmann, Bühnenbildner Johannes Leiacker und Dirigent Ulf Schirmer die Ovationen des Premierenpublikums entgegen.

Special-Effects-Show mit orchestraler Untermalung

Diese opéra à très grand spectacle, diese Special-Effects-Show mit orchestraler Untermalung wird garantiert ein Renner, rund 360.000 Menschen können die 50 Aufführungen in diesem und im kommenden Sommer sehen. Und die Bewohner des Dreiländerecks werden sich mit den Bodensee-Touristen um die Tickets (die billigsten Plätze kosten 26 Euro, VIP-Logen 255 Euro) balgen. Die en suite gespielten Freiluft-Opern tragen sich finanziell selber – und ermöglichen es den Bregenzer Festspielen, ihre Subventionen von jährlich 5,5 Millionen Euro für ein erstaunlich ambitioniertes Rahmenprogramm auszugeben. Yoshi Oidas Inszenierung von Benjamin Brittens "Tod in Venedig" im Festspielhaus ist der Auftakt für einen britischen Schwerpunkt, bei dem Shakespeares "Sommernachtstraum" (als Gastspiel des Hamburger Thalia-Theaters), Christopher Hamptons "Gefährliche Liebschaften" (Theater an der Wien) und Brittens Bühnenerstling "Paul Bunyan" gezeigt werden. Das Konzertprogramm spürt der Freundschaft des großen englischen Komponisten mit Dmitri Schostakowitsch nach.

Um zu zeigen, wie wichtig ihm der KAZ-Kontrapunkt ist, die "Kunst aus der Zeit" als Gegengewicht zum Seebühnen- Event, inszeniert Pountney auf der Werkstattbühne Benedict Masons 1994 komponierte Fußball-Oper "Playing away". Außerdem will er 2008 das Festspielgelände zur Fanmeile machen, wenn die EM in Österreich und der Schweiz ausgetragen wird: In der Grenzstadt Bregenz soll vor dem "Tosca"-Bühnenbild ein Public Viewing stattfinden. Dabei hat David Pountney persönlich nichts mit Fußball am Hut. "Schach, Bridge und Kricket gehören für mich zu den anspruchsvollsten und raffiniertesten Arten, seine Zeit auf Erden zu vergeuden", sagt er, "der Rest ist Kinderkram."

Nur bedingt jugendfrei dagegen geht es im zweiten Akt der neuen "Tosca" zu. Nicht unbedingt, weil die sehr körperbetont agierende Nadja Michael ihre "Vissi d’arte"-Arie auf dem Rücken liegend beginnt, während der vor Geilheit zitternde Scarpia (zu eindimensional: Gidon Saks) sich zwischen ihre Lenden zwängt, sondern weil die folgende Folterszene mittels Videoprojektionen den Zuschauern auf nie gesehene Art nahe kommt. Cavaradossi – den Zoran Todorovich mit grandios virilem Aplomb singt – wird wie üblich von Scarpias Häschern in ein Nebengelass geschleppt. Die Schreie des Gepeinigten aus dem Off, die laut Libretto Tosca dazu treiben, das Versteck Angelottis zu verraten, genügen Regisseur Himmelmann nicht. Das Auge des emotionalen Orkans wird bei ihm sehend, durch die Zwölf-Meter-Iris beobachten die Zuschauer, was Cavaradossi sieht: den Gehirnwäsche-Chirurgen, der sich über ihn beugt, bis der Blick schließlich vor Blut verschwimmt.

Genial-monumental, fast ironisch

Der Regisseur will bis in die hinterste Reihe wirken und überbelichtet dabei seine Bilder. Das Schlusstableau des Eröffnungsaktes wirkt genial-monumental, ja fast ironisch mit seinen aufmarschierenden Heerscharen im Ornat, oben die Mitraträger, unten schemenhaft Kinderchor und Kutten-Fußvolk. Zum "Te Deum" erhebt sich triefend ein 14 Meter hohes Metallkreuz aus den Fluten – und dann müssen plötzlich noch Killer mit schwarzen Sonnenbrillen her, die Verurteilte vor sich her peitschen, über Metalltreppen runter in den Bodensee, wo sie wie Wasserratten abgeknallt werden.

Zu dieser optischen Attacke kommt auch noch eine akustische: Zweifellos ist Bregenz weltweit Spitze, wenn es um die Beschallung von Freiluftarenen geht. Ulf Schirmer und die Wiener Symphoniker sitzen im benachbarten Festspielhaus und springen doch die Hörer geradezu an, so präsent ist dieser Sound, so luxuriös vielfarbig, wenn das volle Orchester aufrauscht, und nur in den Parlando-Passagen ein wenig schwachbrüstig, wenn beispielsweise bei Cavaradossis Verhör die Kontrabass-Pizzicati merkwürdig spannungslos bleiben. So wie aber das Kribbeln im Bauch an den szenischen Höhepunkten hier nicht aus dramatischer Dichte entsteht, sondern eher jener Atemlosigkeit entspricht, die einen bei Trapeznummern im Zirkus befällt, so führt auch das Staunen über die innovative Tonanlage, über die mit den Sängern wandernden Stimmen letztlich zu der Frage: Wenn man in Bregenz angesichts dieser technischen Möglichkeiten einfach eine "Tosca"-CD einwerfen und Statisten zum lippensynchronen Agieren auf die Bühne schicken würde – wäre das dann Betrug oder doch die Krone der Open-Air-Kultur?

Weitere Aufführungen bis 19. August, Infos unter www.bregenzerfestspiele.com

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