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Oper

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Oper: Der hohe Ton der Freiheit

"Fidelio“ in Reggio Emilia: Claudio Abbado verführt den Filmemacher Chris Kraus zur Oper.

In Geldfragen war Claudio Abbado noch nie ein Maestro. Wenn es um die Kunst geht, kennt er keine Budgetgrenzen. Will er mit 600 Kindern Berlioz’ „Te Deum“ in einer 5000-Plätze-Halle in Bologna aufführen, um ein Zeichen zu setzen für die seit Verdis Zeiten geforderte Einführung des Musikunterrichts in italienischen Grundschulen, dann leiht ihm sogar sein vermeintlicher Erzfeind Riccardo Muti das Cherubini-Jugendorchester. Und wenn er den Trompeter Reinhold Friedrich für die offstage-Signale im „Fidelio“-Finale haben will, dann wird der Solist eingeflogen, selbst wenn der Maestro seinen Wunsch erst 24 Stunden vor der Premiere äußert.

Claudio Abbado ist 74 Jahre alt, seit der Magenkrebsoperation im Jahr 2000 muss er mit seinen Kräften haushalten. Den Winter verbringt er auf Kuba, wo er mit trotziger Naivität den Traum vom Kommunismus weiter träumt, den Rest des Jahres mutet er sich 25 Auftritte zu. Beethovens „Fidelio“ ist Abbados Herzstück dieser Saison, fünf Partner stemmen das vier Millionen Euro teure Projekt: Den Anfang macht das mittelitalienische Städtchen Reggio Emilia, in der Abbados Sohn Daniele Intendant ist, Aufführungen in Madrid, Baden-Baden, Modena und Ferrara schließen sich an.

Ausgerechnet aus Ferrara, einem Fixpunkt auf Abbados musikalischer Landkarte, drangen im „Fidelio“-Vorfeld allerdings Misstöne an die Öffentlichkeit: Dass die beiden Aufführungen im November 800 000 Euro kosten werden, löste im Stadtparlament eine heftige Debatte aus und führte dazu, dass Ferrara aus dem Produzentenpool für einen 2009 geplanten „Othello“ ausstieg.

Der Aufwand für Abbados mega produzioni ist in der Tat enorm: Nicht nur die Kulissen, auch rund 200 Künstler müssen von Stadt zu Stadt verschickt werden – denn der Maestro reist mit seinen Lieblingsensembles: Mit dem Mahler Chamber Orchestra, das er vor zehn Jahren mitbegründete, und dem Schönberg-Chor aus Wien, der mit Sängern aus Madrid verstärkt wird. Kein Wunder, dass die sonntägliche Premiere in Reggio Emilia das Topereignis der italienischen Kulturszene ist, ja sogar die Scala-Eröffnung mit Daniel Barenboims „Tristan“ überflügelt. Anders als der Staatsopern-Chef bewegt sich Abbado nicht auf bekanntem, erfolgssicherem Terrain, sondern wagt sich als Debütant an den „Fidelio“.

Zudem hat er auch keinen Altmeister wie Patrice Chéreau an seiner Seite, sondern einen Quereinsteiger, den Filmemacher Chris Kraus, dessen Gefängnis-Drama „Vier Minuten“ den Cineasten Abbado so faszinierte, dass er dem 44-jährigen Göttinger gleich den „Fidelio“ antrug. Der glaubte zunächst an einen schlechten Scherz, war dann aber „beeindruckt von der Neugier dieses Mannes und seinem Mut zum Risiko, einem wie mir, der noch nie ein Opernhaus von innen gesehen hat, solch eine riesige Produktion anzuvertrauen“.

Gewagt, gewonnen: Chris Kraus erweist sich als Musiktheater-Naturbegabung. Wie Rocco, Marzelline und Fidelio routiniert die Guillotine präparieren, während sie Heiratspläne schmieden, wie der Kerkermeister buckeln muss vor dem Gouverneur, der seine Behinderung durch Härte zu überspielen versucht, wie am Ende doch nur einer gerettet wird, Florestan eben, während Soldaten in Uniformen der französischen Revolution das Volk zurück in die Kerker drängen und neue Guillotinen gestellt werden, das zeugt von einer großen Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Text, von einem tiefen Respekt auch vor der Musik, die hier immer Auslöser der handwerklich souverän gearbeiteten Bilder ist.

Abbados Beethoven war nie der Titan auf dem Marmorsockel, sondern stets ein Humanist. Also sieht er auch den „Fidelio“ nicht als Vorbote wagnerscher Musikdramen, sondern versteht die Partitur als konsequente Weiterentwicklung der „Zauberflöte“: So hätte Mozart komponiert, wäre ihm ein längeres Leben vergönnt gewesen. Im Mahler Chamber Orchestra hat Abbado den idealen Partner für diese Lesart, geschult in historischer Aufführungspraxis, vor allem aber grundneugierig, immer entflammbar für einen frischen Blick auf altvertraute Musik. Und so klingt diese Aufführung mit ihren schnellen Tempi, ihrer niemals ins Hektische kippenden Erregtheit auch so frisch, so von Entdeckerenergie durchpulst, als stünde ein Dreißigjähriger vor den Musikern.

Leichte, lyrische Stimmen hat Abbado passend zu seinem Klangkonzept ausgewählt. Anja Kampe gestaltet klug, kann aber manche dramatischen Ausbrüche der Leonore nur andeuten, Giorgio Surjans Rocco ist der mit einem honiggoldenen Timbre gesegneten Julia Kleiter als Marzelline ein schmalschultriger Vater, während Albert Dohmen den brutalen Pizarro mehr bellt als singt – doch was soll Krittelei, wenn alle Beteiligten ihre Rollen wirklich leben und sich einer der raren Abende ereignet, an dem Musik und Theater zur Einheit verschmelzen.

Claudio Abbado hat den Kopf voller Ideen. Gerade hat er mit seinem Orchestra Mozart in Bologna einen auf vier Jahre angelegten Pergolesi-Zyklus begonnen, im Oktober führt er mal wieder „Peter und der Wolf“ mit seinem Freund Roberto Benigni auf, 2010 will er „Fidelio“ nach Aix-en-Provence und Luzern bringen, außerdem träumt er von einem Opernprojekt mit Florian Henckel von Donnersmarck. Ende Mai steht der jährliche Berlin-Besuch an. Für die drei bereits restlos ausverkauften Abende mit den Berliner Philharmonikern, bei denen auch Berlioz’ „Te Deum“ erklingen wird, hat er sich 600 Chorkinder gewünscht. Stößt Abbado am Ende doch an die Grenzen des Machbaren?

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