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Cecilia Bartoli

© ddp

Oper: Höhenflug

Rauschhaft: In der Berliner Philharmonie erweckt Cecilia Bartoli das Erbe von Maria Malibran zu neuem Atem.

Mitten in der Nacht auf dem Parkplatz vor der Philharmonie: Mit hochgeschlagenen Kragen begehrt eine Menschenmenge Einlass in einen Sattelschlepper. Durch den feuchten Novemberschleier blinzeln die Lichter des Potsdamer Platzes herüber, der Laster glänzt wie ein Sarkophag. In ihm liegen auf schwarzem Samt Hinterlassenschaften von Maria Malibran, der ersten Diva der Operngeschichte. Berauschte Komponisten, gebrochene Herzen und ein tragisch früher Tod: Das Leben der Malibran ist ein romantisches Kunstwerk, unvollendet vollendet. Dass ihr kurz vor ihrem 200. Geburtstag nächtliche Pilgerscharen huldigen, verdankt sie Cecilia Bartoli.

Die römische Mezzosopranistin erweckt das Repertoire der Malibran zu neuem Atem. Hingabe, Taumel, Furor – darauf darf man hoffen, wenn die Bartoli nach Streifzügen durch staubige Archive alle zwei Jahre ein neues Programm präsentiert. Es gibt keine Sängerin, die ihren frühen Ruhm so intelligent investiert hat wie Cecilia Bartoli. Mit den Arien der Malibran kehrt sie nun zum Belcanto und an den Beginn ihrer Karriere zurück, gut 20 Jahre älter, mit ungebrochener Neugier.

Im leuchtend roten Kleid rauscht sie in die Philharmonie, Silbergarn und Strass funkeln, die Schleppe bebt. Gerade noch hatte sich ihr Begleitorchester „La Scintilla“, das Alte-Musik-Ensemble der Oper Zürich, im Gänsemarsch durch eine Ouvertüre des gestrengen Malibran-Vaters Manuel Garcia geschlängelt. Jetzt will die Bartoli Tyrannen morden – und droht den Musikern mit subtilen Schultersignalen. Was für ein herrlicher Schlagabtausch bei offenem Visier, würde ihr ein selbstbewusster Dirigent entgegentreten. Doch die Bartoli bleibt alleinige Chefin im Ring, und „La Scintalla“ unter seiner Konzertmeisterin Ada Pesch ein zwar klangschöner, aber zu defensiver Mitspieler. Alle Anspannung löst sich, wenn Bartolis mezza voce ihre Flügel ausbreitet und durch den Zuschauerraum segelt, wenn pure Lebenslust ihre Cenerentola zu aberwitzigen Kolloraturen hinwegreißt oder mit Hummels Triolerarie die Gipfel der gehobenen Sinnlosigkeit erstürmt werden. Ein letztes Mal wird der Rausch herausgezögert von Sonnambulas zarter Vision, dann gibt es kein Halten mehr. Die Trommel schlägt, die Gurgel rollt, Cenerentolas Pantoffeln stampfen den Flamencotakt. Ein Fest des Augenblicks, gefolgt von Stürmen der Dankbarkeit. Manch einer bedankt sich nach dem Konzert im Sattelschlepper bei Maria Malibrans herber Totenmaske für ihre heitere Wiedergängerin. Ulrich Amling

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