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Oper: Laut und Luisi

Von Paulick zu Semper: Die Dresdner Oper feiert mit "Rigoletto" ein Sängerfest. Diana Damraus Gilda ist das Ereignis des Abends.

So spitz die Flöten, so sämig die Celli, so gewaltig das Blech. Wer in diesen Tagen die Dresdner Semperoper besucht und den Berliner Staatsopern-Streit frisch im Ohr hat, dem möchten die Sinne vergehen. Hätte die Lindenoper einen derart präsenten Klang, derart vorzügliche Sicht- und Sitzverhältnisse wie das seit seiner Eröffnung 1841 gleich zweifach wieder aufgebaute Dresdner Haus (nach dem Brand von 1869 und nach dem Krieg noch einmal 1977-1985), könnte man sich die Debatte um Restaurierung oder Modernisierung sparen. Solch brillante Akustik gehört unbedingt für alle Zeiten bewahrt.

Aber Berlin ist nicht Dresden, Friedrich der Große nicht August der Starke und Richard Paulick nicht Gottfried Semper. Selbst aus Sicht der Dresdner, dieser Weltkulturerben und Meister des Wiederaufbaus, ist Rekonstruktion nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss. Das bestätigt auch Intendant Gerd Uecker, wenn er im kurzen Gespräch vor der „Rigoletto“-Premiere darauf verweist, dass es sich bei der Semperoper um die Wiedererrichtung des Originals nach Originalplänen handelt, dass der ursprüngliche Bau anders als die Lindenoper kaum technische Probleme aufwies und Architektur immer auch Ausdruck ihrer Gegenwart sein sollte, der Identität einer Gesellschaft. Da in Berlin keiner davon spricht, das Knobelsdorffsche Original wiederhaben zu wollen, könne man doch das eine tun und das andere nicht lassen: die historische Außenhülle erhalten und ein kongeniales neues Innenleben kreieren. Daniel Barenboim hatte am Samstag in der „Süddeutschen“ ähnlich argumentiert.

Fabio Luisi, der neue Dresdner GMD, macht denn auch gleich in den ersten Takten klar, wo hier der Hammer hängt; mit den Schicksalsschlägen des „Rigoletto- Vorspiels“ sorgt die Sächsische Staatskapelle für regelrechte Erschütterungen. Ein wuchtiger Abend, der ganz auf dem Fluchmotiv basiert, mit insistierender Rhythmik, eindringlichen Crescendi und dem festlich glänzenden Belcanto einer Spitzensänger-Riege um Diana Damrau, Juan Diego Flórez und Zeljko Lucic.

Luisi kehrt den Fatalismus-Verdi hervor, das Apokalyptische einer schockerstarrten, in sich selbst gefangenen Musik, als wolle er den Berlinern bedeuten: Hört, hört, so con brio und phonstark kann ein altes Haus mit Säulen, Muschelnischen und Kronleuchter klingen. Der Herzklopfen-Verdi, der die Tragödie um den Hofnarr, dessen Tochter und den Herzog von Mantua mit mengenweise Dreiviertel-Takt und Triolenfiguren auf heikel pochenden Grund stellt, ist nicht seine Sache. „La donna è mobile“? Alles Trügerische weicht dem Unmissverständlichen.

Überdeutlich inszeniert auch Nikolaus Lehnhoff. Zum Vorspiel klettert Rigoletto aus dem Souffleurkasten, verkleidet sich als Narr, schminkt sein Gesicht, ach ja. Alle tragen Masken und falsche Identitäten, ziehen sich ständig um und an und aus. Der Palast des Herzogs: ein Nobelgefängnis mit schwarz glänzenden Mauern (Bühne: Raimund Bauer) und einer entschleunigten Hofgesellschaft voller Max Ernstscher Vogelmenschen (Kostüme: Bettina Walter). In der Mord- und Gewitterszene des dritten Akts wetterleuchten zu den Blitzen der Flöte Luca Signorellis grandiose Weltenende-Fresken aus dem Dom von Orvieto – als ob die Musik selbst das Fürchten nicht kennt. Und Gildas Kammer, ein himmelblaues Mädchenzimmer mit Sternentapete, schwebt im Nirwana zwischen Himmelsmacht und Unterwelt.

Die jüngeren „Rigoletto“-Inszenierungen, sei es von Doris Dörrie in München oder Michael Thalheimer in Basel, legten mehrheitlich ihr Augenmerk auf Gilda, die Tochter, die sich für den geliebten Herzog opfert, der sie missbrauchte, das einzige humane Wesen in dieser Actionoper voller Potentaten, Patriarchen und Intriganten. Lehnhoff psychologisiert dagegen in herkömmlicher Manier den Titelhelden, den Zeljko Lucic mit voluminöser Autorität verkörpert. Einer, der Worte schleudert wie Felsbrocken und ebenso lautstark „La ra, la ra“ zu stammeln beginnt, kaum ist Gilda entführt. Gleichwohl ist Diana Damraus Gilda das Ereignis des Abends.

Sie stellt die übrigen Sänger-Stars in den Schatten: den metallischen Heldentenor von Juan Diego Flórez, der den Herzog mit viel Brillantine in der Stimme eher als Latin Lover anlegt denn als Macho, genauso wie Georg Zeppenfelds sonoren Sparafucile, Christa Mayers vollblutweibliche Maddalena und die Unverblümtheit der Staatskapelle. Sie betont nicht, sie betört. Sie beseelt ihre Figur, ist ganz Mensch, auch wenn sie im weißen Unschuldsengelsgewand herumlaufen muss, ist Girlie und Liebende, anmutig und wagemutig, eine aufrecht Sterbende. Und da, nicht im Quartett des dritten Akts, sondern in der Gilda-Arie des zweiten, ist er dann doch: der vor Angst und Lust zitternde, erotische Verdi, die Bangigkeit, die Zwischentöne.

Mit Anna Netrebko kann Diana Damrau es locker aufnehmen. Ihr flinkes Vibrato kann flirren und flattern und unmerklich in den Triller hinüber changieren, ihre makellosen Spitzentöne sind hoch kultiviert und Naturlaut zugleich, sie markieren den Augenblick, in dem das Begehren die Stimme verschlägt. Ein Nonensprung ins Pianissimo, ein alles entblößender Seufzer, ein verlöschender Atemzug: Damrau verrät, dass es in der Oper am Ende nicht um Architektur und Akustik geht, sondern einzig um das Glück der Nähe zu einem Menschen, der sich auf unerhörte Weise mitzuteilen vermag.

nächste Vorstellungen: Di 24.6., Fr 27.6., Mo 30.6., 19 Uhr

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