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Pop: Operndämmerung

Berlins Musiktheater: Alle reden über Stiftung, Strukturen und Sanierung. Aber wo bleibt die Vision?

Ich habe einen Traum, und der spielt in B., was insofern verwunderlich ist, als er unterm barocken Licht des Südens doch eigentlich in M. spielen müsste. In M. nämlich war’s, da schlurfte August Everding, den sie alle „Cleverding“ nannten oder „August den Starken“, gern in schwarzen Samthausschuhen durchs Prinzregententheater. Er hatte der Stadt ein Theater zurückgegeben, ihr drittes Opernhaus, Klein-Bayreuth, poliertes Holzgestühl, Logen, eine (abnehmbare) Muschel für den Graben – jetzt war er der Herr und König und trank von morgens bis abends Champagner. Ein Lustmensch, einer, dessen Augen wie Katzengold funkeln konnten, wenn dahinter gerade eine neue Idee zündete.

Mein Traum aber spielt in B., wo sich Ideen, Visionen, rasende Leidenschaften traditionell schwerer tun. Hier fehlt sozusagen das Katholische, die Sehnsucht nach dem Üppigen, die Fähigkeit, sich Denkmäler zu setzen, ohne vor Scham zu erröten. Einen Everding hat es in B. nie gegeben. Aber es ist ja schließlich erlaubt, zu träumen, zu fantasieren, zu imaginieren. Jene Kraft, die den gordischen Knoten zerschlägt. Die sich leicht wie eine Elfe aus den rostigen Fußangeln der Struktur- und Finanzprobleme befreit. Die nicht immer nur Opernstiftung sagt, sondern auch wieder Oper. Die förmlich sprüht vor Ideen, welche Künstler, welche Dirigenten und Intendanten hier in Zukunft wo das Richtige bewirken könnten, sollten oder müssten. Das Richtige: Das, was eine Stadt wie B. zur Metropole des Musiktheaters macht. Neugierde. Passion. Forschergeist. Eigensinn. Die Freude am Feindlichen und Verqueren. Die unverbrüchliche Liebe zur Tradition, ja, die auch. Und der Glaube ans Unmögliche, Utopische.

Wir dagegen sind einfallslos und verzagt. Ja, was soll uns die Oper denn noch, das behäbige Schlachtross; und wer ist nach den nicht enden wollenden Hängepartien und Peinlichkeiten überhaupt noch an den Haaren nach Berlin zu zerren? Wenn Angela Merkel und Klaus Wowereit demnächst an die Öffentlichkeit treten, um zu verkünden, was längst kein Geheimnis mehr ist, dass der Bund das marode Staatsoperngebäude zwar umfänglich renovieren helfen wird, die Institution aber mitnichten in seine Obhut zu nehmen gedenkt, dann mag das die Situation durchaus klären. Eine entscheidende Illusion weniger, nein, wohl die entscheidende Illusion. Wowereit wird es darüber hinaus schon verstehen, die Bundesforderung nach einer Erhöhung der Subventionen um jährlich 10 Millionen Euro für das Schmuckkästlein Unter den Linden so umzusetzen, dass es zumindest so aussieht, als würde mit diesen Geldern das Opernstiftungsdefizit gestopft – und nicht etwa eine zweite Morgengabe für Daniel Barenboim installiert.

Damit freilich ist es nicht getan. Denn jetzt, wo der (nach wie vor kärgliche) Rahmen steht und Merkel sich – umsichtig, wie sie ist – für den hauptstädtischen Opernfrieden und gegen eine deutsche National- respektive Bundesoper entscheidet, fängt die Arbeit erst an. Hier schlüge die Stunde August des Starken, jetzt wäre er in seinem Element. Eine Lüftung der Gehirne, Tabula rasa, vergeben und vergessen, was das kollektive Operngähnen in Berlin ausmacht und das eigene Lustzentrum lähmt: das geschleckte Design, das sich an der Staatsoper als zeitgenössische Ästhetik ausgibt, die vergeigten Jägerchöre, die einem jegliches Restvertrauen in die Deutsche Oper rauben, das Gesetz der Serie, nach dem an der Komischen Oper die leichte Muse regelmäßig in den Sand gesetzt wird.

Warum also die Merkel-Zäsur nicht als Chance begreifen, als Aufforderung zu Besinnung und Umkehr? Klaus Wowereit scheint sich in den Verhandlungen mit dem Bund nur mäßig mit Ruhm bekleckert zu haben. Ihm als Regierendem Kultursenator stünde eine so überzeugende wie überraschende personelle Neujustierung der Landschaft gut zu Gesicht. Dringend ist sie allemal.

Nicht dass es von den einzelnen Häusern nicht auch Löbliches oder gar Großartiges zu berichten gäbe. Manchen Starsänger-Sängerstar hört man an der Bismarckstraße gern; die Komische Oper darf sich, was ihre Beharrlichkeit in der musikalischen wie in der Regietheaterarbeit betrifft, zu Recht „Opernhaus des Jahres“ nennen; und was Daniel Barenboim mit seiner Staatskapelle leistet, hat unbestritten internationales Niveau. Darauf und auf die Programmatik an der Behrenstraße ließe sich aufbauen. Ob das einerseits mit oder ohne Peter Mussbach geschieht, und ob Carl St. Clair andererseits die Petrenko-Nachfolge tatsächlich auszufüllen vermag, sollte aufmerksam beobachtet und radikal offen beurteilt werden. Die letzte wirklich schlagende Mussbach-Regie jedenfalls liegt lange zurück, und die bevorstehende Kooperation mit der Mailänder Scala lässt eher, nun ja, EU-Standards befürchten.

Wann etwa werden Andrea Breth, Dietrich Hilsdorf und Stefan Herheim sich hier vorstellen? Und überhaupt: Was ist mit der Pfadfinder-Arbeit, wo riskiert ein Haus Entdeckungen, stellt die grandiosen Unbekannten vor?

Bleibt die Deutsche Oper als ewige Achillesferse. Nicht einmal Krokodilstränen wusste die Politik über den künstlerischen Niedergang des größten, technisch arriviertesten und architektonisch klarsten Berliner Opernhauses zu vergießen. Man hat zugesehen, als Kirsten Harms ihr Amt um des Amtes willen antrat; man hat mit den Achseln gezuckt, als Christian Thielemann entnervt die Flucht ergriff und Renato Palumbo der schlechter werdenden Moral des Orchesters nichts entgegenzusetzen wusste. Jetzt nicken sich die Kulturpolitiker auf Premierenfeiern nurmehr mitleidig zu und sehen sich bestätigt: Die Deutsche Oper stirbt.

Allein, die Zwangsläufigkeit ihres freien Falls hätte neue Everdings verdient. Einen starken Mann, eine starke Frau mit Lust an der pragmatischen Widerrede, am Einspruch. Die oder der im richtigen Leben erfahren hat, wie wenig zukunftsträchtig und fruchtbar und gerecht es ist, immer nur die Starken zu stärken. Weder Wowereit noch sein Staatssekretär André Schmitz indes wollten sich diesen Schuh bislang anziehen. Aus Desinteresse, aus Hasenherzigkeit, aus Saftlosigkeit. Und Kirsten Harms macht es ihnen auf unverantwortliche Weise leicht.

All dies hat nicht zuletzt mit dem äußerst lückenhaften Gedächtnis der Stadt B. zu tun, und insofern ist es ein bemerkenswertes Signal, wenn die Lindenoper während ihrer Renovierungsphase ausgerechnet im Schillertheater Unterschlupf finden sollte. Willkommen im wilden Westen ab 2010. Auf holde Nachbarschaft und viele verrückte Träume. Dann können es beim Antrittsbesuch auch die Samthausschuhe sein.

Christine Lemke-Matwey

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