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Paul Kuhn: "Ich schlief im Gepäcknetz"

Das mit dem Bier und Hawaii ist Paul Kuhn ein bisschen peinlich. Er hat es nur für Geld getan – heute spielt er wieder die Musik, die er liebt.

Paul Kuhn, 80, ist Jazzpianist, Schlagersänger, Film- und Fernsehstar; er kommt aus Wiesbaden. Von 1968 bis 1980 leitete er die Big-Band des SFB. Jetzt ist er wieder auf Tour: Am 26. und 27. März spielt Kuhn zusammen mit dem Babelsberger Filmorchester im Großen Sendesaal des RBB – Motto:„As time goes by“.

Herr Kuhn, Sie sind jetzt 80. Haben Sie sich früher mal Gedanken darüber gemacht, wie es sein könnte, alt zu sein?

Nein. Wenn man 30 oder 40 ist, denkt man ja nicht an so was. Es ist einfach immer weitergegangen. Gut, da war mal eine Operation, dieses und jenes. Aber ich denke immer: Das schaffe ich. Das geht schon alles vorbei.

2004 hat man Ihnen drei Bypässe gelegt, dann hieß es zuletzt, Sie leiden unter Gürtelrose.

Ich will nicht jammern. Ich habe mich gut erholt. Immer, wenn es mir schlecht geht, setze ich mich ans Klavier und spiele ein bisschen. Ping, ping, pang. Tonleitern, Akkorde, Dur und Moll. Alte Stücke. Dann vergesse ich die Schmerzen.

Geben Sie Ihr Wissen weiter? Haben Sie schon einmal Klavierunterricht gegeben?

Ich hab’ die Geduld nicht dafür. Einmal war ein Junge bei mir, aber nach kurzer Zeit habe ich gesagt: „Hier, nimm dein Geld, bring’ es deiner Mama mit.“ Ich hab’ ihm was vorgespielt.

Werden Männer mit zunehmendem Alter wirklich gelassener, oder ist das ein Gerücht?

Nee, das stimmt. Ich rege mich nicht mehr über jeden Dreck auf, muss den Zug nicht mehr unbedingt kriegen. Nehme ich halt den nächsten. Oder von mir aus das Flugzeug, oder ich bleibe zu Hause. Ich muss mich Gott sei Dank nicht mehr stressen.

Wird man sentimental?

Vielleicht reflektiert man mehr, nimmt ganz langsam Abschied. Das könnte sein.

Ziehen Sie so etwas wie eine Bilanz?

Nicht so richtig ernsthaft. Gut, ich denke natürlich wie jeder andere auch über mein Leben nach. Ich muss ehrlich sagen, ich bin ganz zufrieden mit dem, was ich gemacht habe. Ich war eigentlich nie faul, manche sagen sogar fleißig. Aber ich wurde öfters viel zu schlecht bezahlt.

Ihre erste Gage hat 50 Reichsmark betragen.

Ja, es waren exakt 50 Reichsmark. Das war im August 1936, in Berlin waren Olympische Spiele. Am Rande gab’s die Funkausstellung mit einem Wettbewerb, bei dem der beste Akkordeonspieler des Reichs gekürt werden sollte. Ich war erst acht Jahre alt, habe Hessen als „Gausieger“ vertreten – in den ersten langen Hosen meines Lebens. Wir sind mit dem Zug nach Berlin gefahren, ich lag die ganze Nacht im Gepäcknetz und habe vor lauter Aufregung kein Auge zugemacht. Das Geld habe ich meinen Eltern gegeben. Danach kannte mich in meiner Heimatstadt Wiesbaden jeder. Man engagierte mich für kleinere Feiern.

Sie waren ein musikalisches Wunderkind.

Ja, mein erstes Akkordeon habe ich als kleiner Junge von meinen Eltern bekommen. Wir waren arm, lebten in einer Kellerwohnung. Heute würde man „Unterschicht“ dazu sagen. Mein Vater hatte keinen Beruf erlernt und schlug sich als Friseur und als Croupier durch.

Was funktioniert bei Ihnen besser: das Langzeit- oder das Kurzzeitgedächtnis?

Nun, ich glaube, das Langzeitgedächtnis. Fragen Sie mich bitte nicht, was ich am vergangenen Dienstag um 20 Uhr gegessen habe. Das ist mir leider entfallen. Was mir auch manchmal passiert, ist, dass mir Liedtexte im entscheidenden Moment nicht mehr einfallen. Da habe ich aber schon immer mit zu tun gehabt, auch in jungen Jahren.

Schreiben Sie sich Spickzettel?

Nein, ich kann nicht mehr gut lesen. Meine Augen sind zu schlecht. Es gab mal einen berühmten englischen Schauspieler, der hat sich seine Texte auf die Manschetten gekritzelt…Moment, gleich hab’ ich’s. Das war James Mason, der als Erwin Rommel in „Rommel, der Wüstenfuchs“ bekannt wurde.

Was machen Sie, wenn Sie den Text vergessen?

Ich singe auf Lalala weiter. Oder ich erfinde einen neuen Text, improvisiere am Klavier. Das merkt zum Glück kaum jemand.

Am Anfang Ihrer Filmkarriere hat Ihnen der Regisseur Harald Vock ein Hollywood-Gebiss verpassen wollen.

Ich war zuerst dagegen, ließ mich dann aber trotzdem auf so ein kleines Plättchen ein, das ich mir zwischen die Zähne schieben sollte. Bei der nächsten Aufzeichnung tat ich, wie mir geheißen. Da nahm mich Vock zur Seite: „Sag mal, hast du was getrunken?“ Ich lispelte mit dem Plättchen im Mund, wie ein Betrunkener. Ich hab’s dann weggeworfen.

Ihre Zähne haben Ihre Karriere befördert, sie wurden Ihr Markenzeichen.

Also, irgendetwas muss man schon auch können. Nur solche Zähne zu haben, das reicht nicht. Manche haben zusätzlich noch eine Glatze.

Wann haben Sie eigentlich aufgehört, über Ihre Zahnlücke nachzudenken?

Das ist keine Zahnlücke. Da fehlt kein Zahn, die stehen nur so weit auseinander.

Sie lachen. Wer war der komischste Mensch, den Sie erlebt haben?

Jerry Lewis vielleicht? Den habe ich beim Abschlusskonzert der Goldenen Rose von Montreux kennengelernt. Auf der Bühne war er wirklich umwerfend, todkomisch, aber hinter der Bühne war der teilweise ganz blöd.Wahrscheinlich, weil jeder ständig von ihm verlangt hat, dass er komisch ist, da hatte er nach Feierabend verständlicherweise genug davon. Dann hat er sich einmal mit dem Regisseur gezofft, da flogen die Fetzen. Der Regisseur wollte mal etwas Neues ausprobieren, aber Jerry Lewis sagte nur, mit drohendem Unterton: „Mach’ jetzt bitte keine Kunst. Ich weiß wie das hier geht, also hör’ auf mich. Am Anfang zeigt mich Kamera 1 in der Totale, dann kommt Kamera 2 mit einer Großaufnahme meines Gesichts, dann wieder Totale.“

Was ist mit Loriot?

Toller Mann, den bewundere ich. Als wir mit den Swinglegenden – also ich mit Hugo Strasser und Max Greger – im Friedrichstadtpalast waren, klopfte er an meiner Garderobentür. „Hallo, darf ich reinkommen, wir kennen uns von früher.“ Große Freude! Es gab mehrere Anläufe, aber es hat leider nie geklappt, dass Loriot und ich etwas zusammen gemacht haben.

Hape Kerkeling?

Hochbegabt. Ich habe ihm damals schon prophezeit, dass er es ganz weit bringen wird.

Dieter Bohlen?

Hm. Der ist geschäftstüchtig, aber ansonsten brauche ich das gar nicht. Hat der nicht gerade diese Fernsehshow?

„Deutschland sucht den Superstar“, eine Casting-Show. Sie haben Anfang der 80er Jahre mit der „Gong-Show“ etwas ganz Ähnliches gemacht.

Das war aber eine harmlosere Variante. Da konnten sich Leute melden, die im Fernsehen vorsingen wollten. Waren die schlecht, wurden sie von der Jury nach 45 Sekunden ausgegongt. Die besseren haben einen Auftritt gewonnen. Mir ist nicht bekannt, dass Karl Dall, Elisabeth Volkmann, Carlo von Tiedemann und ich da wirklich ein großes Talent entdeckt haben. Die Show ist mir heutzutage ein bisschen peinlich. Es wurden auch nur vier Folgen gesendet.

Was denken Sie: Wo kommt Talent her?

Vom lieben Gott, dem Schicksal, den Genen.

Sie sagen das so. Glauben Sie an den lieben Gott?

Vielleicht mehr an die Schöpfung.

Hatten Sie manchmal das Gefühl, Ihr Talent zu vergeuden? Richtig berühmt wurden Sie ja nicht als Jazzer, der Sie jetzt wieder sind, sondern als Schlagersänger, als „Mann am Klavier“.

Ja. Geb’n se dem Mann am Klavier noch ’n Bier. Ich wollte das nicht singen, habe mich dagegen gesträubt. Der Produzent Nils Nobach hat mich dazu überredet: „Überleg’ doch mal, wie viel Geld du als Schlagersänger verdienen kannst, wenn das Ding ankommt.“ Ja, es stimmt. Ich hab’ die Platte für Geld aufgenommen. Daran kann ich nichts Verwerfliches erkennen. Von irgendetwas muss der Mensch leben. Bedenken Sie: Andere Künstler fuhren schon Cadillac, ich immer noch Straßenbahn.

Mit Verlaub: Sie sangen das Lied ziemlich leiernd.

Ich war eben nicht sehr begeistert.

Wie erklären Sie sich dann, dass die Platte im Jahr 1954 gut 250000 mal verkauft wurde?

Könnte sein, dass ausgerechnet mein leiernder Gesang etwas mit dem Erfolg zu tun hatte.

Dann folgte „Bier ist die Seele des Klavier“, schließlich „Es gibt kein Bier auf Hawaii“. Herr Kuhn, wie sind Sie bloß auf diese Idee gekommen?

Das war ich nicht. Das mit Hawaii war Wolfgang Neukirchner, ein guter Freund, der eigentlich Verwaltungsrichter in Essen war und unter Pseudonym textete. Der Gedanke dahinter war, dass man früher viel gereist ist, und am Ende kam man nach Hause und hat gesagt: Alles wunderbar, aber vernünftiges Bier gibt’s da nicht. He, he. Wenn Sie übrigens glauben, ich sei Tantiemenmillionär … das stimmt nicht.

1994 hatten Sie großen Ärger mit dem Finanzamt und wurden von einem Gericht wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Sie haben Ihren Wohnsitz nach Lenzerheide in die Schweiz verlegt.

Dazu sage ich nichts.

Gab es Brauereien, die Sie für Werbeverträge gewinnen wollten?

Ha! Keine einzige. Erstaunlich, oder? Ein Bier spendiert hat immer nur das Publikum.

Herr Kuhn, wie dürfen wir uns das vorstellen: Sie haben ein Konzert gespielt, danach sitzen Sie in irgendeiner Kleinstadt an der Hotelbar …

Das ist alles gar nicht so, wie Sie sich das womöglich denken. Es war ganz anders, als der Harald Juhnke erzählt hat. Aber wenn man drei Stunden lang auf der Bühne gestanden hat, kann man danach nicht sofort ins Bett gehen und schlafen. Dazu ist man zu aufgedreht. Ein, zwei Gläser Rotwein reichen vollkommen zum Runterkommen.

Würden Sie heute noch mal Schlager spielen oder in einer Schlager-Sendung auftreten?

Niemals! Trotzdem verstehe ich, dass die Leute die alten Lieder hören wollen. Aber wenn du mitten im Konzert bist, und jemand schreit: „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ – das empfinde ich als störend.

Sie waren auch Talent-Scout, haben Howard Carpendale und Ralf Bendix produziert. Der Schlager von heute …

… den verwechseln viele mit dieser volkstümlichen Musik. Hansi Hinterseer und Florian Silbereisen, nun ja. Diese alpinen Produktionen sind mir wirklich ein Grauen.

Lange Jahre waren Sie nur „Paulchen“. Wie lebte es sich als wandelnde Verkleinerungsform?

Immer wieder Bier, immer wieder Paulchen am Klavier, das war auf die Dauer anstrengend. Aber als ich dann 1968 die SFB-Big-Band übernommen habe, gab es im Vorfeld Bedenken, ob ich das schaffen würde. Ich bin wieder zu Paul geworden, weil ich dieses Orchester in den Griff bekommen habe.

Bevor Sie als Schlagersänger aufgetreten sind, haben Sie nur Jazz gespielt. Können Sie sich daranerinnern, wie es war, diese Musik zum ersten Mal zu hören?

Klar. Mein Langzeitgedächtnis! Also, das war im Krieg, 1943, in Wiesbaden. Nachdem der Bombenkrieg begonnen hatte, wurden an unserer Schule nachts Brandwachen aufgestellt. Ich meldete mich so oft wie möglich zum Dienst. Nur so konnte ich in Ruhe mit Freunden Radio Calais oder BBC hören – heimlich auf dem Dachboden. Es spielte die sensationelle Glenn-Miller-Band. Der Sound fuhr mir in die Glieder, ich war wie elektrisiert. Jazz und Swing war die heißeste Musik, die es gab. Aber sie war ja von den Nazis verboten worden.

Das Kriegsende muss für Sie auch musikalisch ein Befreiungsschlag gewesen sein.

Wiesbaden war als Garnisonsstadt voller junger Amerikaner. Mein Gott, ich bin so froh, dass es ausgerechnet die Amerikaner waren! Und sie suchten natürlich gute Musiker für ihre Clubs. Das war eine große Chance für mich.

So wurden Sie entdeckt. Sie waren schließlich einer der wenigen Deutschen, die eine Festanstellung beim AFN, dem amerikanischen Soldatensender, bekamen.

Kurz vor der Währungsreform spielte ich mit meiner Band jede Woche in einer Livesendung. Man kann sagen, die Zeit bei AFN war so etwas wie mein zweiter Bildungsweg. Ich habe viel gelernt.

Geben Sie uns bitte ein Beispiel.

Na, bei AFN hatten sie immer die allerneueste Musik aus den Staaten. Da waren die „V-Disk-Platten“, die von amerikanischen Künstlern fast ohne Honorar bespielt wurden. Die bekamen wir als Erste zu hören. Ich habe allein schon durchs Anhören kapiert, worum es ging.

Können Sie den Swing erklären? Wann swingt etwas, und wann nicht?

Ach, nein. Oh bitte nicht. Weiß ich nicht. Ich kann es nur vormachen. (singt, schnippt dazu mit den Fingern) It don’t mean a thing if it ain’t got that swing … So in etwa. Swing federt, man lächelt, Sie bekommen gute Laune, einen freieren Rhythmus. Sehen Sie, es wirkt schon.

Tanzen Sie?

Nein, gar nicht.

Was denken Sie über die neue Generation von deutschen Swing-Musikern, Roger Cicero etwa oder Till Brönner?

Gute talentierte Burschen. Till Brönner ist damals in meiner Band eingesprungen, als ein Trompeter fehlte. Den Roger kenne ich länger, Himmel, ich kannte ja schon seinen Vater, der bei mir Klavier gespielt hat. Roger hat ihn manchmal von den Proben abgeholt.

Die beiden Musiker sind jung. Welche Erklärung haben Sie für das Swing-Revival der letzten Jahre?

Daran könnte Robbie Williams mit seiner Platte „Swing when you’re winning“ beteiligt sein. Der ist zwar musikalisch ok, aber an Frank Sinatra reicht er nicht heran. Schon allein wegen der formvollendeten Umgangsformen, die man braucht! Williams hat auf der Bühne einmal seinen nackten Hintern gezeigt, das macht ein Gentleman nicht.

Glauben Sie, dass es eine Perspektive für den Big-Band-Sound in Deutschland gibt?

Sie meinen, ob es weitergeht? Jazz und Swing sind einfach die Grundlage für das, was heute sonst so musikalisch passiert, das darf man nicht vergessen. Der Big-Band-Sound hat allerdings seine natürlichen Grenzen: 16 Mann, und das war’s. Da ist nicht viel Spielraum für Neues.

Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie in Amerika geboren worden wären?

Ich wäre auch dort meinen Weg gegangen. Als ich mal Urlaub in New York gemacht habe, wollte mich dort ein Agent verpflichten. Ich habe abgesagt, weil meine Platten in Deutschland gut liefen. Ob das ein Fehler war? Man weiß nicht, was draus geworden wäre.

Interview: Christian Schröder, Esther Kogelboom

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