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Banhart

© promo

Pop: Blumen im Getriebe

Vor der Popkomm in Berlin: Wie das Hippie-Revival die betörendsten Songs der Saison hervorbringt.

Die Geschichte ist oft erzählt worden, wie Bob Dylan mit drei Songs die Popkultur veränderte, damals im Sommer 1965 in Newport. Auch Joe Boyd erzählt sie. Der 23-jährige Amerikaner arbeitet als Produktionsmanager für das Newport Folk Festival, als Dylan die versammelte Schar progressiver Folk-Jünger mit einer Band überrascht, die ihre Instrumente in Verstärker stöpselt und lauter ist als alles bis dahin Gehörte: „Now the wintertime is coming/ The windows are filled with frost.“

Nach dem letzten Ton verkrümeln sich die Protagonisten in ihre Garderoben, erinnert sich Boyd in seinem neuen Buch „White Bicycles“: „Hinter der Bühne war die Atmosphäre melancholisch und ruhig. Die alte Garde ließ geschlagen die Köpfe hängen, während die Jungen – weit davon entfernt, Triumphgefühle zu verspüren –, nachdenklich waren. Sie erkannten, dass ihr Sieg auch den Tod von etwas Wundervollem bedeutete.“

Auch Boyd war illuminiert von Dylans „elektrischer Wende“. Als Plattenproduzent ging er nach London, wo er den legendären UFO-Club gründete und zur Leitfigur des psychedelischen Underground wurde. Boyd zog die richtigen Schlüsse aus Dylans Affront. Pink Floyd, Soft Machine, die Incredible String Band, Fairport Convention und Nick Drake wurden von ihm entdeckt. Die Jugendkultur hatte sich von ihren idealistischen Wurzeln gelöst und schuf Helden des Hedonismus. Und am Ende dieser Geschichte stehen wir jetzt.

„Wir sind umstellt von zweidimensionalen Darstellungen unseres Erbes“, beklagt Boyd in seinem witzig-scharfsinnigen Buch den Schwund an musikalischer Komplexität. Heute, da auch eine Messe wie die Popkomm mehr Verwirrung stiftet als Klarheit schafft, da sich die aktuellen Retro-Moden noch weniger der ursprünglichen Erfahrung des Entdeckens verdanken, scheint sich Pop endgültig im Elend der Wiederholung einzurichten.

Oder etwa nicht? In das Getöse des Neo-Punk und New-New Wave mischen sich Klänge, die Blumen ins Getriebe streuen. Es ist vielleicht mehr als bloßer Zufall, dass gerade jetzt, da mit Rüdiger Safranskis „Romantik“-Studie eine Chronik des romantischen Aufruhrs erscheint, auch im Pop die Poesie des Innerlichen Konjunktur hat. Allenthalben wird die Rückkehr der Hippies verkündet. Sie gelten als Botschafter einer sanften Gegenkraft und emotionalen Abrüstung, eines schwärmerischen Traumwandelns, das die Musik von der Last der Gesten befreit.

Aus den zahlreichen Alben, die für diese Tendenz stehen, stechen dieser Tage, da die Popkomm-Messe die Branche in Berlin versammelt, drei besonders hervor. Von bärtigen Männern an abgelegenen Orten aufgenommen, scheinen sie den deutschen Dichter Novalis zu beherzigen, nach dem Romantisieren heißt, „dem Geheimen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn“ zu geben. Obwohl weder Devendra Banhart noch Patrick Watson oder Robert Wyatt von Novalis je gehört haben dürften. Vor allem der Posterboy des neuen Hippietums, Devendra Banhart, folgt mit seinem grandiosen vierten Album „Smokey Rolls Down Thunder Canyon“ einer eigentümlich irisierenden Topografie der Einbildungskraft. Seine Songs, in einer kalifornischen Schlucht nahe Topanga erdacht, sind akustische Hirngespinste. Wie unter Hypnose spuckt der in Texas und Venezuela aufgewachsene Vagabund seine Texte aus. „I’m high and I’m happy and I’m free“, besingt der Schrat das Glück des Entrücktseins hoch oben über dem Canyon.

Dabei ist Banharts Traumreich nicht erdabgewandt. Um spirituelle Jenseitserlebnisse geht es ihm nicht. Er hält sich nur nicht an das Alphabet des Songwritings. Pauken wummern, Mandolinen zirpen, Slide-Gitarren wimmern. Die Songs werden von einer Stille umklammert, aus der sie sich nur für die Dauer eines Refrains oder E-Gitarrenriffs erheben.

Nur der häufige Einsatz der Akustikgitarre erinnert daran, dass sich hier etwas aus der Folk-Musik entwickelt hat, aber zu wenig greifbar ist, um dem klassischen Bild des Gammlers und Herumtreibers zu entsprechen, der mit nichts als seinen Liedern durch die Welt zieht. Banhart steht den strengen Harmonie-Idealen von Brian Wilson näher als dem Delta-Blues. Er kopiert Elvis bis zur Parodie („Shabop Shalom“), eignet sich Jim Morrisons existenzielle Verachtung an („Well, I’m scared of ever been born again/ If it’s in this form again“) und jagt einen Song wie „Seahorse“ durch mehrere Klang-Aquarien, jedes mit eigener Fauna, Farbe und Temperatur.

Gibt es einen Weg zurück? Als Joe Boyd sich Anfang der sechziger Jahre zur Folk-Tradition hingezogen fühlte, gab es all die Orte noch, an denen man Delta-Blues-Gitarristen, irische Balladen-Sänger und Folklore in ihrer unverfälschten Art hören konnte. Aber schon der Kontakt mit jungen Hipstern, schreibt Boyd, hätte die Alten gedrängt, ihr Bescheidwissen auch über die neuen Trends zu zeigen. Sie wollten nicht in dem Zeitloch begraben sein, für das die Jungen sie verehrten.

So entspringt der Zauber einer CD wie „Close to Paradise“ von Patrick Watson auch weniger ihrer Ursprünglichkeit selbst als deren sehnsüchtig übersteigerter Imagination. Der ehemalige Chorknabe aus Montreal, der zum klassischen Pianisten ausgebildet wurde, aber in einer Ska-Band landete, hat ein Soloalbum von bezaubernder Schlichtheit und Größe geschaffen. Auch hier fließen Jazz, Blues, Folk und Popmelodien ohne jede Anstrengung ineinander. Dass die Platte mit einem Glockenspiel anhebt, von pochenden Computerbeats grundiert, von wehenden Streichern begleitet wird und schließlich einer flirrenden, melancholisch verschatteten Stimme Raum gibt, macht sie zu einem Kino des Inwendigen. Bilder ziehen vorüber, die man nicht fassen kann. Da wird das Gewicht der Welt besungen, das Heraufziehen eines Sturms, der den eigenen Anker herausreißen wird; es geht um „Daydreamer“, „Giver“ und „Drifter“, die sich von jedem Ufer, jedem Halt rettungslos davontreiben lassen.

Die Inspirationen reichen bis in die Sechziger zurück, wie Boyds „White Bicycles“ belegt. In Nick Drake findet auch Watson einen Vorläufer. Allerdings demonstriert Boyds Managerbeichte leider auch, warum eine Musik, die sich vom Überbietungsgestus der Popkultur abwendet und dem Bedürfnis nach Formatierung nicht nachkommt, immer beklagenswert erfolglos bleibt. Wenn sie sich nicht ebenso getrieben, impulsiv und unzufrieden geriert wie die in Abnabelungs- und Kulturkämpfe hineingerissene Jugend, hat sie für diese keinen Wert.

„I am gonna die of loneliness“, beklagt Devendra Banhart das Schicksal des Außenseiters. Selbst ein Schlafwandler wacht irgendwann auf. Ein Schock, den Robert Wyatt bereits hinter sich hat. Der ehemalige Drummer von Soft Machine ist ein Pate des gegenwärtig aufblühenden, um den digitalen Eklektizismus erweiterten Blumenkinder-Pop. Dabei schafft der 62-Jährige pro Jahr höchstens einen Song. Seit er 1973 betrunken aus einem Fenster stürzte, sich das Rückgrat brach und an den Rollstuhl gefesselt in seinem eremitischen Kosmos haust, stellt er die direkte Verbindung zur Ära des Überschwangs und Experiments her, zu den Sixties. In Boyds Chronik dieser Jahre wird er als „tiefgründiger Chansonnier“ bezeichnet, was Wyatts Faible für sphärische Kunstlieder zur Marotte degradiert. Doch Wyatt ist kein Mann des Rätsels.

Seine „Comicopera“, mit der er sich nach vier Jahren aus seinem Heimstudio im englischen Louth, Lincolnshire, zurückmeldet, ist ein empörtes Manifest. Es strotzt vor Zorn über eine Politik, die Gewalt als legitimes Mittel rechtfertigt („A Beautiful War“), Ängste schürt („Mob Rule“) und die Religionen gegeneinander aufhetzt – jedoch in einem unerhörten Ton: Weich, verspielt, erschüttert klingt das, als wäre Wyatt selbst von den Bomben getroffen worden, die in „Out of the blue“ ein Haus zerschmettern. „You planted everlasting hatred in my heart“, singt der weißhaarige Alte, um nur noch in Italienisch und Spanisch fortzufahren. Aus Protest. Seine Muttersprache wird ihm von quälend langen Orgel-Akkorden, dem Rauschen des Blasebalgs aus dem Mund gespült.

„Anachronist“ heißt ein Titel dieses dreiteiligen Songzyklus. Ist er das, ein Auslaufmodell? Wyatts Stimme erzeugt oft bloß Töne, die sich mit dem Pling-Pling-Pling eines Jazz-Schlagzeugs verbrüdern. Eine Trompete kommt hinzu, dann Saxofone, Posaunen. „Musik“, hat Wyatt einmal gesagt, sei kein „abstraktes Vergnügen, sie bedeutet Gesellschaft.“ So erhebend und einfach kann Pop sein.

Devendra Banhart, „Smokey Rolls Down Thunder Canyon“ erscheint am Freitag bei XL Recordings. „Close to Paradise” von Patrick Watson ist bei V2 erschienen. „Comicopera“ von Robert Wyatt kommt am 5.10. bei Domino heraus. Joe Boyd, „White Bicycles. Musik in den 60er Jahren“, Kunstmann Verlag, München. 350 Seiten, 24,90 €.

Popkomm: Mittwoch bis Freitag in Berlin. Infos: www.popkomm.com

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