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Wir sind Helden

© Promo

Pop: Die wollen nur spielen

Protest & Spaß: "Wir sind Helden" starten in Berlin ihre Herbsttournee.

Es ist kalt in der Wuhlheide an diesem Samstagabend. Es geht um Leben und Sterben, um die Befreiung Tibets und die Verlogenheit der gängigen Moral. Mal offen, mal versteckt fordert diese Rockband beinahe pausenlos das Gegenteil von Rock ’n’ Roll: zivilgesellschaftliches Engagement. Und am Ende wird einem auch die Zeit lang geworden sein, wenn auch nur kurz, beim „schwarzen Block“, wie der Gitarrist und Keyboarder JeanMichel Tourette diese Strecke mittendrin nennt, die sich aus melancholischen Songs zusammensetzt. Ansonsten kann man in diesen zwei Stunden gut die Kälte vergessen und zu den gutgelaunten Protestsongs wippen. „Generell alles, was Spaß macht: keine Arbeit“, singen Wir sind Helden in ihrer „(Ode) An die Arbeit“. Also gut, alles klar: keine Arbeit.

Aus dem Off erklingt eine discohaft aufgedonnerte Remixversion dieser dadadialektischen Verdrehung des Arbeitsbegriffs vom aktuellen, dritten Album „Soundso“. So beginnt das letzte Helden-Konzert unter freiem Himmel in diesem Jahr, eine ausgiebige Tour wird folgen. Judith Holofernes und ihre drei Mitstreiter betreten die Bühne, und „Endlich ein Grund zur Panik“, die Single des Sommers, hebt umstandslos und zackig an. Wir sind Helden haben drei Bläser mitgebracht, die das Stakkato der Gitarren in einen hymnischen Refrain überführen. Das Lied, das gegen schäublehaftes Überdie-Stränge-schlagen albert, bäumt sich auf, der paranoide Hetzgesang Holofernes’ unterliegt dem tuckigen Männerchor der Band: „Paniiiiik, los, Paaanik!“

Skabläser, Männerchöre! Solche spielerischen Anmaßungen tun den Helden gut. Besonders live. Schon auf dem Album „Soundso“ hört sich der Popzitatenzierrat großartig an für eine Band, die das Wort „Pose“ nur in der Kombination mit „billig“ benutzt. Für eine Band, die 2003 mit einem Konsumkritiksong bekannt wurde, den sie höflich „Guten Tag“ nannte, anstatt mit einem punkigen „Fuck you“ vorstellig zu werden. Für eine Band schließlich, die auf ihr Normal- und Soundso-Sein beharrt und seit Jahren Arenen wie die Wuhlheide füllt.

Erfreulich also, wenn Bassist Mark Tavassol übertriebene Funkgesten einfriert für ein paar Sekunden, um dann zur nächsten zu wechseln. Wenn die Bläser zum Doo Wop von „Aurélie“ Sängerin Holofernes umkreisen und ungelenke Anbaggergesten vollführen. Oder wenn Tourette für einige an sich schon dick aufgetragene Gitarrensoli metalhammerartig in die Grätsche geht. Wenn ihr das nicht liebt, was dann?

Solche Inszenierlust versöhnt mit der calvinistischen Bühnenausstattung, die eigentlich nur aus leuchtenden, je nach Stimmung die Farbe wechselnden Säulen besteht: blau zum maritimen „Echolot“, rot bei einem der vielen Trostlieder. Judith Holofernes steht die Rolle der besten Freundin, die ermutigt und Ratschläge gibt, weiterhin hervorragend. Auch wenn sie und ihr Ehemann, der Drummer Pola Roy, gerade Eltern geworden sind – ins Muttihafte kippen Durchhaltesongs wie die Außenseiterhymne „The Geek (shall inherit)“ nie. Lieber dreht Holofernes sich kokett um die eigene Achse, markiert ein wenig Ballett und schreit auch schon mal.

Trotz aller Nettigkeit wird der Sängerin die gigantische Bühne nicht zu groß. Immer wieder ein Wunder: wie die Band heldenhaft Alltäglichkeit in Chartsdimensionen hinüberrettet, ohne dass es aufgeblasen wirkt. Was in Deutschland sonst vielleicht nur noch Grönemeyer gelingt. Die Schmissigkeit der Hits und ihre Gültigkeit über den Tag hinaus tragen dazu bei. In einigen Gazetten wird nun das Ende der Deutschrockwelle prophezeit. Die Helden haben sie gestartet, Bands wie Juli und Silbermond folgten. Doch „Guten Tag“ funkelt an diesem Abend in eben jener Stadt, in der ein paar Tage zuvor preisbewusste Kunden das neue Kaufhaus Alexa erstürmt haben. Und klingt so jugendlich frisch wie damals, als die unbekannte Band plötzlich überall zu hören war.

Daniel Völzke

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