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Lisa Bassenge

© Promo

Pop-Musik: Der Asphalt dampft, die Liebe seufzt

Happy Ends kann man weglassen: Lisa Bassenge veredelt mit ihrer Band Nylon das deutsche Chanson. Auf dem Album „10 Lieder über Liebe“ stoßen fünf Eigenkompositionen und fünf Coverversionen bruchlos aneinander.

Wenn sie sich etwas wünschen dürfte, käme sie in Verlegenheit. Ruhm, Ehre, Geld? „Sicherheit wäre gut“, sagt Lisa Bassenge. „Die Sicherheit, mit dem, was ich mache, immer einigermaßen über die Runden zu kommen.“ Natürlich gibt es das nicht, so eine Rundum-sorglos-Garantie, nicht für eine Jazzmusikerin. „Eigentlich ist es auch okay so, wie es gerade ist.“ Bassenge hat sich den Ruf erarbeitet, eine der besten deutschen Jazz-Sängerinnen zu sein, und kann es sich inzwischen leisten, nur noch im Ausnahmefall einen der ungeliebten „Kommerzjobs“ anzunehmen, Auftritte bei Galas oder Betriebsfeiern, wo sie dann „Happy Birthday“ als Swingversion zum Besten gibt. Und der Ruhm, so viel ist sicher, wird noch wachsen. Ihr neues Album, das Bassenge gerade mit ihrem Pop-Projekt Nylon veröffentlicht hat, ist die vielleicht entspannteste, bestimmt aber bittersüßeste, herzergreifend schönste Sommerplatte des Jahres.

Sie heißt „10 Lieder über Liebe“, aber es geht weniger um das Lodern der Leidenschaften als um das, was zurückbleibt, wenn die Glut abgekühlt ist, und was man Beziehung nennt. „Ich dreh mich um und lass dich gehen/ Wo ich dich traf, wird bald ein andrer steh’n“, singt Bassenge in „Ausgedacht“, einer hirngespinstigen Ballade vom Traummann zu monotonen Bassläufen und Synthesizer-Girlanden. „Lass mich nicht geh’n“, die hinreißende Coverversion eines Manfred-Krug-Schlagers, ist ein einziger Seufzer: „Sag mir adieu, sieh mir in die Augen / Sag mir, es war hin und wieder schön.“ Und „So weit, so weit“, deutsche Adaption einer Folkrocknummer von Carole King, beschwört das Gefühlskarussell einer Liebe auf Distanz: „Mein Leben verläuft immer nur auf Gleisen/ So viel lieber würde ich bei dir sein.“

Das deutsche Chanson mit den Mitteln der elektronischen Popmusik wiederzubeleben, daran arbeiten Nylon seit vier Jahren. Das erste Stück, das Bassenge und ihre Mitstreiter aufnahmen, hieß „Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt“, ein Großstadt-Couplet aus den zwanziger Jahren, das sie auf einer Platte von Hildegard Knef entdeckt hatten. Die Plattenfirma Universal war von dem Demo so begeistert, dass sie die Band gleich unter Vertrag nahm. Das Debüt „Die Liebe kommt“ erschien 2004, 2005 folgte das Album „Eine kleine Sehnsucht“. Mit „10 Lieder über Liebe“ hat sich die Gruppe, zu der neben Bassenge der Bassist Paul Kleber, Gitarrist Hagen Demmin und Keyboarder Arnold Kasar gehören, endgültig freigeschwommen. Die fünf Eigenkompositionen und fünf Coverversionen stoßen bruchlos aneinander, und die elektronischen Beats, die früher in ihrer Glätte mitunter etwas neunzigerjahrehaft klangen, fransen nun aus und holpern auch einmal, Folge der Stolpersteine, mit denen der Hip-Hop-erfahrene Produzent Samon Kawamura im Studio umzugehen weiß.

Songs von Manfred Krug, Hildegard Knef und Marlene Dietrich

„Eine schöne Melodie und schöne Harmonien“ müsse ein Song haben, den sie zum Singen aussuche, sagt Bassenge, vor allem aber: „einen Text, der mich berührt“. Gleich drei der „10 Lieder über Liebe“ stammen von Manfred Krug, den sie für den „besten deutschen Jazzsänger“ hält, „keiner phrasiert besser“. Hildegard Knef ist diesmal mit dem Bossa-Nova-Schlager „Der Mond hatte frei“ vertreten, ein übermütiges Partygeplauder über einen Flirt, der im Original in „eins, zwei, drei, vier liebe Kinder“ mündet. Das Happy End hat Bassenge weggelassen, „die Zeile hatte ein paar Takte zu viel, das hat musikalisch nicht gepasst“. Noch radikaler sprangen Nylon mit Marlene Dietrichs Antikriegsklassiker „In den Kasernen“ um, den sie auf wenige monotone Loops reduzierten.

Bassenge bewundert Diven, „die nur um ihr Superego kreisen“, hat aber selber nichts Kapriziöses an sich. Zum Interview bittet die zweifache Mutter in die Küche ihrer Kreuzberger Wohnung, die gerade renoviert wird. Sie sitzt barfuß mit übereinandergeschlagenen Beinen am Tisch, manchmal wackelt sie beim Nachdenken mit dem Zeh ihres linkes Fußes.

Bassenge liest gerne Autobiografien, derzeit die von Brigitte Bardot, „eine Frau von unfassbarer Blödheit“. Wenn sie ihre eigene Autobiografie schreiben müsste, dann „würde ich sicher einige lustige Anekdoten einflechten können“, allerdings wohl „in einer Sprache, die kein Außenstehender versteht“.

Beim wochenlangen Proben und Touren mit ihren Musikern hat die Sängerin, „um dem Lagerkoller“ zu entgehen, einen eigenen Spezialjargon entwickelt. Da firmiert das spätabendliche Beisammensein als „Bandhängung“, kulinarische Spezialitäten werden als „Fleischflöte“, äußerst attraktive Personen als „Endhasen“ bezeichnet, und eine „Mannheimer Rakete“ ist die „moderne Form des Crescendo“. Singen, keine Frage, ist nicht Bassanges einziges Talent, das beweist sie auch in einem eigenen Blog auf der Website des Magazins „Jazzthing“, wo sie, Ende letzten Jahres von ihrem zweiten Kind entbunden, gleich die Frage aufwirft: „Ist Babygeschrei eigentlich auch Jazz?“

„Wir haben alle eher härtere Zeiten durchgemacht“

Antwort: ja natürlich. Bassenge ist eine entschiedene Anhängerin des erweiterten Jazz-Begriffs. Sie selber hat sich als Sängerin auch erweitert, sozusagen verdreifacht. Mit ihrer Jazz-Formation, früher ein Trio, heute ein Quintett, interpretiert sie zu akustischer Begleitung Evergreens von „My Heart Belongs to Daddy“ bis „My Guy“, ihr Club- und Dance-Projekt heißt Micatone, mit Nylon pflegt sie das deutschsprachige Liedgut. Mit jeder Band geht sie zwei Wochen lang auf Tournee, ihre Diskographie umfasst mittlerweile neun Alben, mit dem Trio schaffte sie es – „das war das Allergrößte“ – bis in die Harald Schmidt Show.

Angefangen hat diese erstaunliche Karriere im Übungskeller des Zehlendorfer Hauses der Jugend, wo Bassenge, 1974 als Tochter eines Architekten und einer aus dem Iran stammenden Mutter geboren, eine Schüler-Popband gründete. Das Jugendzentrum an der Argentinischen Allee hat man sich als eine Keimzelle der (West-)Berliner Musikszene vorzustellen, auch die Lemonbabies, die Rainbirds und die späteren Seeed-Mitglieder probten dort. Bassenge sympathisierte mit dem Punk, färbte sich die Haare, zog früh von zu Hause aus, „fand aber eigentlich nur die Punk-Idee gut, nicht die Musik“. In der Sammlung ihrer Mutter stieß sie auf Platten von Nat King Cole und Billie Holiday, nach dem Abitur begann sie ein Gesangsstudium an der Berliner Hanns-Eisler-Musikhochschule.

„10 Lieder über Liebe“ ist ein entrückt-langsames, tendenziell melancholisches Album geworden. „Wir haben alle eher härtere Zeiten durchgemacht“, sagt Lisa Bassenge. Aber jedes Ende kann ein Anfang sein, an jedem neuen Morgen. „Nach dem Regen dampft der Asphalt/ Und die Morgensonne scheint/ Du läufst durch den Häuserwald/ Hier willst du immer bleiben/ Und der Tag wird ein Tag, den du magst.“ Bassenges Stimme klingt entschlossen, in ihr schwingt Euphorie.

„10 Lieder über Liebe“ ist bei Boutique/Universal erschienen. Am 24. August stellen Nylon das Album im Admiralspalast vor (Friedrichstraße 101, Mitte).

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