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© dpa

Popstars: "Tiefschläge bereichern uns"

Die "No Angels" sprechen im Interview über bittere Tiefschläge, peinliche Klamotten eine mögliche Tour und die schwierige Zeit nach Nadja Benaissas Verhaftung.

Gerade läuft die neue Popstars-Staffel. Guckt ihr das noch manchmal?

Jessica

:

Ich würde das sehr gerne gucken. Aber wir sind derzeit ständig unterwegs und kommen deshalb nicht dazu.

Lucy:

Die letzten Wochen haben wir täglich von morgens bis abends gearbeitet, zum Teil mehr als zwölf Stunden. Da bleibt einfach keine Zeit für so was.

Denkt ihr gelegentlich noch an die Anfänge zurück?

Nadja:

Klar. Es gab viele witzige Situationen, auch ohne Kameras. Wir waren jung, hatten alle relativ wenig Erfahrung. Niemand konnte uns sagen, was da mit uns passiert. Wir waren Versuchskaninchen. Aus heutiger Sicht bemerkt man natürlich die Fehler, die einem unterlaufen sind. Aber damals war alles sehr unverstellt, natürlich und authentisch. Es war nichts Einstudiertes, nichts, worauf man sich monatelang vorbereitet hat.

Jessica:

Manche Auftritte und Outfits sind einem heute peinlich. Trotzdem haben wir die Zeit im Popstars-Haus sehr genossen. Wir konnten uns richtig gut kennenlernen und zusammen wachsen.

Lucy:

Wir unterhalten uns heute noch oft über Erlebnisse, an die man zwischendurch gar nicht mehr denkt. Die ersten Begegnungen waren sehr spontan und naiv. Heute fragt man sich natürlich: Wie konnte man sowas machen?

Welche Fehler meint ihr?

Lucy:

Naja, vielleicht kann man das nicht unbedingt Fehler nennen. Wir haben eine Entwicklung durchgemacht. Das ist wie bei anderen Jobs auch, da ist man auch nicht gleich von Anfang an der Beste. Man lernt dazu. Verbessert sich. Fehler machen wir heute immer noch. Das muss auch so sein. Nur so kann man Dinge besser machen. Wenn wir uns heute alte Aufnahmen anschauen, sehen wir einfach viel Unerfahrenheit.

Ihr wart von Anfang an Erfolg gewöhnt, euer Debütalbum hat sich hunderttausendfach verkauft. Welches Gefühl habt ihr jetzt bei eurer neuen Platte?

Nadja:

Ein gutes. Wir haben sehr lange und hart daran gearbeitet, uns sehr gut vorbereitet. Je besser man vorbereitet ist, desto sicherer fühlt man sich. Aber vergleichen kann man das mit früher sowieso nicht. Dass wir ein Album millionenfach verkaufen, ist heute fast schon ausgeschlossen. Die Zeiten haben sich sehr geändert. Trotzdem hoffen wir natürlich, dass unsere neue Platte sehr erfolgreich wird.

Ihr seid für die Aufnahmen extra nach Los Angeles gereist. Warum?

Sandy:

Das war die Idee unseres neuen Managers Khalid Schröder. Nach dem Grand Prix im vergangenen Jahr waren wir an einem Punkt, an dem wir uns gefragt haben, wie es weiter gehen soll. Da trafen wir Khalid. Er war einer der wenigen, die zu dem Zeitpunkt noch an uns geglaubt haben. Um rauszukommen aus dem ganzen Trott, fuhr er mit uns in die USA. Er verfügt dort über viele Kontakte, weil er seit Jahren der Manager von Kool & The Gang ist. Für uns war die Reise eine tolle Erfahrung. Wir haben Gefühle und Dinge verarbeitet, die uns widerfahren sind. Das Schreiben war für uns ein Ventil, das hat sehr gut funktioniert.

Fühlt man sich in den USA als deutscher Popstar nicht sehr unbedeutend?

Jessica:

Nein, gar nicht. Es war eine sehr tolle Atmosphäre, wir konnten dort sehr entspannt arbeiten.

Lucy:

Im Gegenteil – wir haben uns dort sehr groß gefühlt. Wir sind durch die Straßen von L.A. gefahren und haben vor Freude geschrien. Für uns war das ein magischer Ort, eine magische Zeit. Wir befanden uns Mitten im Zentrum der internationalen Unterhaltungsindustrie – das war für uns ein sehr beglückendes Gefühl. Zu merken, dass amerikanische Produzenten Zeit und Energie investieren, um mit uns das neue Album zu erarbeiten, hat uns sehr viel Kraft gegeben. Das hat unseren Glauben an das, was wir machen, bewahrt.

Nach dem Grand Prix im vergangenen Jahr, als ihr den drittletzten Platz belegt habt, war das doch bestimmt anders.

Sandy:

Nein. Solche Tiefschläge sind natürlich bitter und man braucht Zeit, um sie zu verarbeiten. Aber letztlich bereichern sie einen. Wir haben viel über uns und unsere Fehler nachgedacht. Viele Erlebnisse aus dieser Zeit sind in unser neues Album eingeflossen.

Was konkret lief denn schief beim Grand Prix?

Nadja:

Vor unserem Auftritt waren wir super nervös. Der Grand Prix ist eine unvorstellbare Show. Innerhalb von 20 Sekunden muss man auf die Bühne gehen und das in Highheels. Man muss sofort funktionieren. Wir haben uns selbst sehr unter Druck gesetzt, weil das ein sehr wichtiger Moment für uns war. Die Proben sind gut gelaufen, aber als es dann darauf ankam, war die Nervosität einfach zu groß. Ein schiefer Ton hier. Ein Schrittfehler da. Der Sound stimmte nicht. So eine Bühnenshow wie beim Grand Prix würden wir wahrscheinlich nicht mehr machen.

Sandy:

Unser Auftritt an sich war aber nicht der einzige Grund, obwohl er nicht der beste war. Deutschland hat in den letzten Jahren ja generell schlecht abgeschnitten.

Wie macht man sich von solchen negativen Erlebnissen frei?

Sandy:

Indem man sich in die Arbeit stürzt.

Jessica:

Jedes Mal, wenn man hinfällt und wieder aufsteht, ist man ein Stückchen stärker. Man darf halt nur nicht liegen bleiben.

Lucy:

Drei Wochen später sind wir auf einem Festival aufgetreten. Als wir dann wieder auf der Bühne standen, vor knapp 10.000 jubelnden Leuten, da war alles vergessen.

Die turbulenten Zeiten waren damit für euch aber noch nicht vorbei. Im April geriet Nadja in die Schlagzeilen, weil sie angeblich ungeschützten Sex gehabt haben soll, ohne ihren Partner über ihre HIV-Infektion zu informieren.

Lucy:

Unser Manager rief uns an, um uns über Nadjas Verhaftung zu informieren. Er wollte uns vor einem Schock bewahren. Doch das war nicht möglich, denn am nächsten Tag stand es in allen Zeitungen. Was dann folgte, übersteigt jedes Vorstellungsvermögen. Wir sind regelrecht geflüchtet und untergetaucht. Es gab kein Entkommen.

Sandy

: Wir hatten gerade unser Album fertig und wollten wieder loslegen – da kam diese Bombenmeldung. Das hat uns unglaublich gebremst. Ständig haben wir uns gefragt: Wie konnte so was nur passieren? Unabhängig davon, ob die Anschuldigungen stimmen oder nicht, gleicht das, was Nadja widerfahren ist, regelrecht einer Hexenverfolgung.

Nadja:

Es war eine sehr bedrohliche Situation für uns alle. Wir hatten ein ganzes Jahr Arbeit investiert. Zeit, Geld, Liebe. Wir wollten wieder richtig durchstarten. Natürlich haben wir uns in dieser Situation die Frage gestellt, ob das alles noch so gehen kann, wie wir uns das vorgestellt haben. Ist das nach so einem Skandal und solchen Schlagzeilen überhaupt noch möglich? Unser Medienanwalt Christian Schertz hat uns immer zu beruhigen versucht. In drei, vier Monaten sähe vieles schon ganz anders aus. Ich habe das nie für möglich gehalten. Aber mittlerweile hat sich die Aufregung etwas gelegt. Zum Glück.

Ein Stück auf eurer neuen Platte trägt den Titel „Shut your mouth“. Klingt, als sei es in Reaktion auf die Schlagzeilen entstanden.

Nadja:

Nein, wir hatten alle Stücke bereits fertig produziert. In diesem Lied geht es darum, dass man es nicht mehr erträgt, dass andere Menschen Lügen über einen erzählen und Gerüchte verbreiten. Jeder kann seine eigene Geschichte in den Song hineininterpretieren. Seit Jahren wurde schlecht über mich geredet, im Internet wurden Gerüchte gestreut, ich wurde erpresst. Für mich ist das Lied ganz klar auf diese Erfahrungen bezogen. Auf diese Leute, die sich aus Hass und Neid treiben lassen.

Fühlst du dich erleichtert, dass deine HIV-Infektion nun bekannt ist und du dich nicht mehr verstecken musst?

Nadja:

Naja, erleichtert kann man jetzt nicht unbedingt sagen. Ich hätte gerne selbst darüber entschieden, ob und wen ich darüber informiere. Aber wenigstens ist jetzt der Druck raus. Es gibt nichts mehr, was ich verheimlichen muss. Ich muss jetzt gucken, wie ich aus der Situation das Beste mache, denn ich will nicht mein Leben lang unglücklich sein. Aber wie das Ganze gelaufen ist, war auf jeden Fall nicht in Ordnung.

Wie geht es jetzt mit euch weiter?

Jessica:

Wir sind nicht abgeneigt, auf Tour zu gehen. Wir müssen einfach schauen, wie das zu realisieren ist.

Lucy:

Wir proben seit einiger Zeit mit unserer neuen Band. In Vorbereitung auf eine anstehende Tour. Ich stelle mir dafür einen netten, kleinen Rahmen vor. Clubs, in denen wir nahe an den Fans dran sind. Das hat uns schon immer viel mehr Spaß gemacht als die große Bühne.

Vergangenen Sonntag war Bundestagswahl. Seid ihr wählen gegangen?

Lucy:

Ich durfte nicht. Leider. Denn ich besitze immer noch die bulgarische Staatsangehörigkeit, obwohl ich schon seit 15 Jahren in Deutschland lebe. Aber in Gedanken war ich mit wählen.

Jessica:

Klar, das ist doch das mindeste, was man tun kann. Es wäre doch schade, wenn man sich über Dinge ärgert, die nicht so sind, wie man sie gerne hätte. Dafür muss man schon etwas tun.

Interview von Nana Heymann

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