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Herbert Blomstedt

© dpa

Porträt: Nordlichter

Dem Dirigenten Herbert Blomstedt zum 80.

Herbert Blomstedt ist ein geistiger Langstreckenläufer. Wie er den gewaltigen Kopfsatz von Anton Bruckners „romantischer“ Sinfonie unter einem einzigen großen Bogen zusammenspannt, wie er die Crescendi so ganz organisch anschwellen lässt, als Meister der Übergänge zwischen Disparatem vermittelt, Energiefelder schafft, das nötigt selbst demjenigen Respekt ab, der Bruckners monolithische Sinfonien eigentlich anders sieht, nicht als Parabeln vom ewigen Werden und Vergehen im Naturkreislauf, sondern eher als Psychogramme einer zerrissenen Künstlerseele im Angesicht zerberstender Gewissheiten, wie es beispielsweise Kent Nagano in jüngster Zeit immer wieder packend vorgeführt hat.

Herbert Blomstedt, der tiefgläubige Christ, der bekennende Adventist, weiß für sich ganz genau, was die Welt im Innersten zusammenhält. Seine musikalische Interpretationsarbeit vergleicht der Dirigent darum gerne mit der Auslegung von Bibeltexten : Hier wie dort gebe es keine letztgültigen Lösungen, der heilige Text aber sei definitiv.

Die Hörbarmachung von Partituren ist dem 1927 in den USA als Sohn schwedischer Eltern geborenen Künstler ein Dienst am Werk, den er mit puritanischer Gewissenhaftigkeit versieht. Kein Wunder, dass er sich stets zu den traditionsreichen ostdeutschen Orchestern hingezogen fühlte, die ebenfalls für ihren großen Ernsten im Umgang mit den Monumenten der Tonkunst gerühmt werden. Obwohl ihm das atheistische Regime der DDR doppelt zuwider gewesen sein muss, band sich Blomstedt ab 1975 für zehn Jahre an die Dresdner Staatskapelle, spielte mit dem Orchester über 130 Werke auf Schallplatte ein, fast durchweg „autonome Musik“ selbstverständlich, also sinfonische Werke, die für ihre Botschaft keiner verbalen Vermittlung bedürfen, ja, die, wie die Sinfonien seiner Favoriten Bruckner, Carl Nielsen und Jean Sibelius sich ganz aus ihrer Struktur, ihrem inneren Bauplan erklären.

Seit seinem Debüt 1954 in Stockholm ist Blomstedt seine Engagements stets sehr bewusst eingegangen, nicht mit dem Ziel, schnell Karriere zu machen, sondern im Hinblick auf die besten Arbeitsbedingungen. So verließ er dann auch 1998 nach nur zwei Jahren das NDR-Sinfonieorchester, als ihm die musikalische Leitung des Gewandhausorchesters angetragen wurde. Dass der Chef in Leipzig nicht Generalmusikdirektor genannt wird, sondern schlicht Kapellmeister, deckte sich voll mit seinem Berufsethos. Gemeinsam kultivierte Blomstedt mit dem Orchester die „Leipziger Klassik“, Komponisten wie Mendelssohn, Schumann, Brahms und wiederum Bruckner, die fürs Musikleben der Stadt bedeutend wurden – und allesamt zu den Wahlverwandten Blomstedts zählen.

Seit 2005 arbeitet Blomstedt nur noch als Gastdirigent. Das aber sehr aktiv: Zwei Tourneen hat er im Spätsommer vor, die ihn beide auch nach Berlin führen: Am 20. August mit dem European Union Youth Orchestra im Rahmen von Young Euro Classic sowie mit dem Gewandhausorchester am 26. September. Dass Herbert Blomstedt heute tatsächlich seinen 80. Geburtstag feiert, wird man dann ebenso wenig glauben wollen wie bei seinem Gastauftritt im Juni mit dem Deutschen Symphonie Orchester in der Philharmonie: Wie er da federnden Schrittes das Podium erklomm, mit seinen sehr großen, sehr schlanken Händen unmissverständlich die Musik formte und beim Schlussjubel immer wieder aus dem Künstlereingang hervorsprang – das hatte wahrlich die Energie eines Langstreckenläufers.

Im Berliner B&S Verlag erscheint im September eine Blomstedt-Biografie von Martin U. K. Lenemann.

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