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Amy Winehouse

© Promo

Rehaugen-Soul: Duffy und Adele wollen "back to black"

Als die BBC im Januar nach dem Sound des kommenden Jahres fragte, belegten zwei Künstlerinnen, die noch keine Platte veröffentlicht hatten, die ersten Plätze. Duffy und Adele sind nur die Speerspitze eine ganzen Reihe britischer Sängerinnen mit tollen Stimmen.

Sie sind alle zwischen 16 und 23 Jahren alt und greifen hemmungslos zurück auf Jazz und Soul des vergangenen Jahrhunderts. Blue-eyed Soul sagte man früher, wenn Weiße sich an schwarzer Musik versuchen. Jetzt also neu: Rehaugen-Soul.

Norah Jones und Joss Stone waren 2003 die Ersten, die mit Klängen von gestern in die Charts einstiegen. Doch erst der Aufstieg von Amy Winehouse zum internationalen Superstar führte zu den erwartbaren Reflexen bei den Plattenfirmen: Jeder will jetzt eine Amy haben, die allein in England 2,5 Millionen Exemplare ihres „Back to Black“–Albums verkauft hat. Überraschend ist nicht, dass junge Retro-Röhren nun dringend gesucht sind. Überraschend ist vielmehr, dass man fündig wird. Denn Stimmen wie die von Adele oder Duffy sind das Ergebnis harter Arbeit. Und sie haben offenbar in frühem Alter begonnen.

Diese Musikerinnen stellen ihre Stimmen in den Vordergrund, als sei das Fernsehen noch nicht erfunden. Und doch repräsentieren sie die erste Generation, deren musikalische Jugend nicht mehr durch den Erwerb und das Sammeln von Tonträgern geprägt ist, sondern von Ipod, Myspace, Karaoke und Casting-Shows. Die Waliserin Duffy etwa hatte überhaupt keine Platten. Seit sich der ehemalige „Suede“-Gitarrist Bernard Butler um ihren musikalischen Werdegang kümmert, lässt sie sich von ihm den Ipod mit Klassikern füllen. „Musik ist heute der Hintergrund unseres Alltags“, sagte sie in einem Interview, „und nicht mehr etwas, über das man sich definiert.“ Wer seine Musiksammlung auf einem Speicherchip mit sich trägt und nicht mehr in Regale einsortiert, wer einzelne Songs mit Sternchen bewertet, statt ganze Alben zu kaufen, für den ist jedes Stück, jeder Stil, erst mal gleich naheliegend. Und wenn sich herausstellt, dass man das Zeug zur Gesangskarriere hat, dann wählt man, was passt. Ein altes Youtube-Video zeigt Duffy anlässlich ihrer Teilnahme an einer walisischen Talent- Show mit einer schauerlichen Popballade. Für ihr Album „Rockferry“ wurde sie von Suede-Gitarrist Butler und dem Rough-Trade-Label sorgfältig in strengem Sechziger-Retro-Cool gekleidet. Weil es zu ihr passt.

Eigentlich ist Soul die Musik, zu der man keine Wahl hat. Die Musiksprache jener, die etwas hinter sich haben und die davon berichten müssen. Duffy, Adele und Gabriella Cilmi mit ihrem Durchschnittsalter von 19 Jahren haben da wenig vorzuweisen. Ihre Stimmen klingen verbraucht. Doch was sie singen, erwächst nicht aus Notwendigkeit oder Nostalgie – es ist eine Frage des Geschmacks. Und der Weg zum Ziel führt über die Kunst der Imitation.

Am deutlichsten ist das der 16-jährigen Gabriela Cilmi anzumerken. „Nothin Sweet About Me“, bekannt aus der Deo- Werbung, ist ein hübsches Lied. Aber wie die gebürtige Australierin ihre Stimme mit maschineller Regelmäßigkeit in den Rachen drückt und es mit einstudierter Gesichtsakrobatik kommentiert: alles erlernt und artig ausgeführt. Wenn Dieter Bohlen Geschmack hätte, könnte Gabriella auch sein Schützling sein.

Adele hat sich solche Manierismen gar nicht erst angewöhnt. Ihr Image ist auch nicht so wohl modelliert wie jenes von Duffy. Doch ihr Gesang ist der wandlungsfähigste von allen, und die Naivität, mit der sie ihre Stimme einsetzt, ist entwaffnend. Adele wohnt bei ihrer Mutter in Südlondon und singt auf ihrem Album „19“ davon, wie es ist, neunzehn zu sein und nicht zu bekommen, was man will (XL Recordings). Sage keiner, dass sich der Schmerz darüber in diesem Alter nicht zu etwas Existenziellen auswachsen kann – zumal der junge Mann, um den es in „Daydreamer“ geht, Adele nicht für eine andere verließ, sondern für einen anderen. Sogar Beyonce und Kayne West loben die unschuldige Stimmgewalt dieses arglosen Teenie-Souls.

Ein Stiltrend ist die Häufung an Pop-Prinzessinnen allerdings nicht. Die jungen Frauen eignen sich nicht nur Jazz und Soul an, sondern bedienen sich überall: Kate Nash („Made of Bricks“) und Lily Allen („Alright, Stil“) gehen weitgehend eklektisch vor; KT Tunstall („Drastic Fantastic“), Amy Macdonald („This is the Life“) und Laura Marling („Alas, I Cannot Swim“) machen Lieder mit Rock- und Folk-Einschlag. Gemeinsam ist ihnen lediglich das Muster: junge Singer-Songwriter, begabt, selbstbewusst, schmeichelhaft fürs Ohr. Auch die Karrierewege sind ähnlich: sehr früher Einstieg mit einer längeren Erprobungsphase. Viele besuchten die gebührenfreie „BRIT School for Performing Arts and Technology“ in London. Bekannt wurden sie dann über das Internet-Portal Myspace.

In Großbritannien, wo guter Musikgeschmack als hohe Tugend gilt, ist der Einfluss von Kennern und Kritikern in Radio, Fernsehen und Zeitungen infolge der Selbstvermarktung der Künstler im Internet nicht kleiner geworden – im Gegenteil. Was die Blogger im Internet aus der Flut talentierter Karriereaspiranten herausfiltern, schöpfen sie ab und sprechen Empfehlungen aus. Besonders einflussreich ist die „Later…“-Show auf BBC: Kaum ein Myspace-Starlet, das später erfolgreich wurde, war nicht wenigstens einmal Gast in der respektierten TV- Sendung. Diese Arbeitsteilung ist mittlerweile gut eingespielt, hat allerdings einen schwer wiegenden Mangel: Sie produziert Konsenskünstler. Die schwarze Sängerin Estelle beklagte sich angesichts des Erfolges von Adele und Duffy bitter darüber, dass sie erst nach New York übersiedeln musste, um ein Label zu finden, das bereit war, ihre von den Londoner Clubs inspirierte Musik an den Mainstream zu bringen. Jetzt schoss ihre neue Single „American Boy“ auf Platz eins der Charts. In Großbritannien.

Der Unterschied zu dem, was in den Staaten vor sich geht, könnte größer kaum sein: Dort haben lang gediente Diven wie Janet Jackson und Erykah Badu gerade explosive neue Alben veröffentlicht, und selbst Vertreterinnen des sogenannten Neo-Soul wie Jill Scott oder Angie Stone greifen nicht einfach zurück, sondern suchen einen eigenen, keineswegs nostalgischen Weg. Das Spiel mit dem eigenen Image ist hier schon lange emanzipatorischer Antrieb des weiblichen Souls.

Die neuen Diven von Europa dagegen sind keine Künstlerpersönlichkeiten, sondern singende Musikliebhaber. Authentizität ist hier wichtig, aber der Anspruch hat sich gewandelt: Man muss nicht gelebt haben, um als glaubwürdig zu gelten; die Kunst soll hart erarbeitet sein. Adele, Duffy, Gabriella Cilmi, Amy McDonald oder Laura Marling machen Musik aus Erlerntem statt aus Erlebtem, ersetzen Erfahrung durch Arbeit und Imitation. Sie haben es nicht schwer, aber sie machen es sich auch nicht leicht. Das ist nicht wenig. Aber auch nicht alles.

Wie es ist, reich, schön und doch unglücklich zu sein, das lassen wir uns weiterhin von Amy Winehouse erzählen.

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