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Robbie Williams: Die Krone der Schröpfung

Der letzte Pop-Superstar seiner Generation: Robbie Williams gibt sich auf seinem neunten Soloalbum „Take the Crown“ kämpferisch - und geht auf Nummer sicher.

Von Jörg Wunder

Wie viele Große der Popmusik schleppt Robbie Williams schwer an seiner eigenen Geschichte. Sie verschattet die Gegenwart: Die Branche schrumpft immer weiter, von einem Bestselleralbum werden heute viel weniger Exemplare verkauft als vor zehn oder 15 Jahren. Und kaum jemand dürfte ernsthaft glauben, dass von Robbies neuntem, an diesem Freitag erscheinendem Soloalbum „Take the Crown“ fünf Millionen Stück abgesetzt werden – eine Marke, die er mit sechs seiner Platten überspringen konnte. Gegen den drohenden Bedeutungsverlust gibt es verschiedene Strategien. Madonna hat durch Willenskraft und Disziplin bisher jede Karrieredelle kompensieren können, aber ihr jüngster Flop „MDNA“ lässt düster in die Zukunft blicken. Prince hat sich in die Nische des Muckertums zurückgezogen, Michael Jackson ist an der Anstrengung, einstige Größe wiederzubeleben, zugrunde gegangen.

Und Robbie Williams? Wahrscheinlich ist er in seiner Generation der letzte seiner Art: männlicher Popsuperstar. Mit einer Einschränkung: Seine 80 Millionen Platten hat er zum größten Teil außerhalb des weltgrößten Musikmarkts verkauft. In den USA konnte der Sänger nie richtig Fuß fassen. Das bewahrte ihm allerdings eine relative Anonymität, die er in England längst eingebüßt hat. Befand er sich in London durch die Nachstellungen der Yellow Press im permanenten Ausnahmezustand, lebt er nun seit gut zehn Jahren als einer unter vielen Stars in der Promienklave Beverly Hills.

Durch seinen partiellen Rückzug ins Private scheint der 38-Jährige zudem die Deutungshoheit über sein Leben zurückzugewinnen. Beinahe unbemerkt heiratete Williams die Schauspielerin Ayda Field. Und als er unlängst erstmals Vater wurde, ging er damit ungekünstelt und souverän um: Die Fotos, die er von seiner Tochter und sich auf Twitter gepostet hat, sind das Gegenteil der Hochglanzbildstrecken, mit denen Prominente sonst ihre Elternschaft inszenieren.

Das alles zeigt einen Reifeprozess, den man kaum für möglich gehalten hätte. Schließlich lebte Williams stellvertretend für viele einen Jungstraum, dessen Verwirklichung man mit einer Mischung aus Neid, Grusel und Erleichterung verfolgen konnte. Denn mal ehrlich, wer wollte mit ihm tauschen? Mit 16 gerät er unter die Knute eines knallharten Managers, der generalstabsmäßig die erfolgreichste Boygroup der Neunziger aufbaut. Robbie wird, obwohl als Letzter zu Take That gekommen, mit seinem Charme zum Objekt der Begierde für Millionen Teenager.

Den ganzen Wahnsinn erleidet er durch eine Schutzwand aus Drogen und Alkohol. Er verkracht sich mit den anderen, verlässt die Band 1995 – und wird solo zum noch größeren Star. Jetzt lebt er wie im Delirium: schläft mit den schönsten Frauen, fährt die teuersten Autos, wohnt in den größten Villen, konsumiert das teuerste Koks. Er verliert sich in einer Glitzerscheinwelt, die mit seiner Herkunft aus der Malocherstadt Stoke-on-Trent nichts zu tun hat. Williams kämpft gegen Depressionen, leidet unter den Gerüchten und Bosheiten, die über ihn kursieren. Er bleibt ein Getriebener, der es der Welt da draußen immer wieder beweisen muss.

Dabei trifft er nicht immer glückliche Entscheidungen. Die Trennung von seinem Songschreiber Guy Chambers mag unausweichlich gewesen sein, aber sie markiert einen Bruch in Williams’ Karriere. Vieles, was nach der letzten gemeinsamen Platte „Escapology“ (2002) kommt, ist musikalisch zwar spannender als der weiche Robbie-Sound davor. Aber es fehlt dieser spezielle Schmelz, die alles umarmende Geste, die Stücke wie „Angels“, „Feel“, „Supreme“ oder „Millennium“ zu unwiderstehlichen Hits machte.

Seine Stimme setzt sich gegen das rockige Brimborium zur Wehr

„Take the Crown“ ist Robbies erstes Solowerk nach der spektakulären Take- That-Reunion, die über den relativen Misserfolg seines letzten Albums „Reality killed the Video Star“ (2009) hinwegtäuschte. Seine Äußerungen zur Platte sind mindestens so kämpferisch wie der Titel, aber es könnte auch das Pfeifen im Walde von jemandem sein, der sich seiner Popularität keineswegs mehr so sicher ist, wie er uns vorgaukelt.

Die Single „Candy“, ein ausgelassener, von energischen Bläserstößen befeuerter und mehr nach Ibiza als nach dem Aufnahmeort L. A. klingender Stampfer mit albernem Refrain, sorgt jedenfalls für Verwirrung: Unbeschwertheit gehörte bislang nicht zu den Kernkompetenzen von Robbies Musik. Selbst Dancefloorhits wie „Rock DJ“ oder „Rudebox“ hatten eine melancholische Unterströmung. Die ist – abgesehen vom zweiten Ausreißer, dem in Richtung R’n’B orientierten „Hey Wow Yeah Yeah“ – bei den restlichen Songs gewährleistet, weil schon in der Stimme angelegt. Robbies zweifelndes Naturell war seinem Gesang stets anzuhören, was selbst ein trotziges Stück wie der Opener „Be a Boy“ reflektiert: „They say the magic was leaving me / I don’t think so“.

Der entscheidende Mann im Hintergrund ist Produzent Jacknife Lee. Wahrscheinlich werden Fans von U2 oder Snow Patrol jubeln, aber es ist die Frage, ob sich Williams mit dieser Wahl einen Gefallen getan hat. Lee verpasst all seinen Kunden einen unverkennbaren, im stadionkompatiblen Gitarrenrock verwurzelten Sound: Stücke wie „Hunting for You“ und „Into the Silence“ oder die Powerballade „Losers“ klingen wie U2 mit falschem Sänger. Oder eben wie Robbie Williams mit falscher Begleitband. Denn es ist seine Stimme, die am meisten unter den unsubtilen Arrangements leidet: Wenn der Brite gegen das instrumentale Brimborium plus Backgroundvokalisten ankämpft, verfällt er oft in angestrengten Pressgesang.

Dabei geht es auch anders. Bei den beschwingten Songs „Shit on the Radio“ und „All that I want“ vermutet man Robbies schelmisches Augenzwinkern in jeder Zeile, während Lee mit Achtziger-Zitaten (etwa einem Synthiemotiv aus Van Halens „Jump“) jongliert. Beim nur auf der „Deluxe Edition“ enthaltenen „Eight Letters“, Neueinspielung eines Titels der letzten Take-That-CD, singt Robbie zu kammermusikalischer Begleitung – ohne kehliges Pathos, aber mit ergreifender Intensität. Hier wie auch auf der schönen zweiten Single „Different“ bilden die von Owen Pallett delikat angeordneten Streicher ein wohltuendes Gegengewicht zu den häufig dominierenden Gitarre-Bass-Schlagzeug-Strukturen.

„Take the Crown“ ist solide, aber auch enttäuschend risikoscheu für einen begnadeten Entertainer, dessen Karriere einen künstlerischen Befreiungsschlag vertragen würde. Zumal es fraglich ist, ob das anvisierte Massenpublikum noch da draußen auf ihn wartet. Robbie Williams als croonender Songwriter oder als futuristischer Discoimperator mit Beats von Kanye West oder Danger Mouse, das wäre mal was gewesen. So aber wird der gegenüber seinem Biografen Chris Heath geäußerte Wunsch wohl unerfüllt bleiben: „Ich bin häufig bei Leuten mit fantastischen Plattensammlungen gewesen, und meine Platten waren nie dabei. Das hat mich geärgert. Ich wäre gern dabei.“

„Take the Crown“ erscheint bei Island/Universal.

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