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Whitney Houston: Ein angekündigter Tod

Sie hat eine kulturelle Schranke überwunden und dafür einen hohen Preis bezahlt. Nach Whitney Houston mussten Popstars nicht mehr weiß sein und Soulmusiker nicht schwarz. Am Samstag ist die Sängerin gestorben.

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Es gibt nur wenige Sängerinnen auf der Welt, die in einem weißen Ballkleid die geschwungene Show-Treppe einer Galabühne hinabschreiten und allein einem Millionenpublikum gegenübertreten können. Whitney Houston war lange Zeit die einzige. Und ihr wichtigstes Wort war „Ich“ – Ich werde dich immer lieben.

„I Will Always Love You“, so hieß ihr größter Hit, und wie er anfängt, sagt beinahe schon alles über die Bedeutung Whitney Houstons. Die ersten 45 Sekunden bestreitet sie allein, jeder Ton ein technisches Wagnis und zugleich das persönliche Bekenntnis einer verlassenen Seele. Erst danach setzt die Band ein und fängt die Sängerin auf, die in ihrer besten Zeit das Drama des Wunderkinds mit ihrer triumphalen Unmittelbarkeit überstrahlen und vergessen lassen konnte, dass sie mehr Hilfe nötig hatte, als eine Band, als Musik und Ruhm ihr geben konnten.

Als der Musikmanager Clive Davis sie Anfang der 80er Jahre in einem Club in Manhattan entdeckte, war er von ihrem Feuer sofort begeistert. Sie sei „19, elegant, sensibel und unschuldig“ pries Davis ihre Vorzüge in der Merv-Griffin-Show, „aber sie besitzt auch Mut und viel Herz“. Trotzdem bedurfte es einer rigiden Kontrolle, bei der Davis über Jahre sämtliche Aufnahmen, Arrangements und Managemententscheidungen überwachte, um aus dem Talent den Superstar zu machen, der Houston 1985 wurde.

In der vergangenen Woche konnte man Davis in einem Gartenhaus des Beverly Hilton antreffen, wie stets, wenn er in Los Angeles zu tun hat, diesmal vertieft in die Einladungslisten seiner jährlichen Party, die er am Vorabend der Grammy- Verleihungen auszurichten pflegt, um „seine“ Stars zu versammeln. Die Listen waren lang. Der 79-jährige Pop-Tycoon ist ein väterlicher Freund für so viele, die ihm ihre Karriere verdanken. Auch die berühmteste von Davis’ Entdeckungen, Whitney Houston, wurde erwartet. Und der „Los Angeles Times“ erzählte Davis auf einem überladenen Sofa sitzend, dass die Party einfach ein schöner Moment für jeden sei, „um die Schwerter zu senken“.

Was er meinte, sind die Schwerter des Ehrgeizes, des narzisstischen Furors, der Musiker erst zu Weltstars macht. Während die Grammy-Zeremonie am Sonntag aus ihnen wieder erbitterte Konkurrenten um die Krone machen sollte, hätte der Samstag in Davis’ Kreis der Freundschaft gewidmet sein sollen. Doch dann der Schock. Im Hilton-Foyer werden letzte Vorbereitungen für den Abend getroffen, als nachmittags im vierten Stock der leblose Körper Houstons gefunden wird. Zwanzig Minuten versuchen Sanitäter, die 48-Jährige in ihrem Hotelzimmer wiederzubeleben. Um 15.55 Uhr wird sie für tot erklärt.

Am Vorabend hatte sie in einem Club der Stadt für einen kurzen Moment auf der Bühne gestanden. Es existiert ein Amateurfilm davon. Verwackelte Bilder einer Handykamera zeigen die Sängerin im Zustand der Auflösung. Als sie den Club später verließ, rann Blut an ihrem Bein herunter, und Augenzeugen berichteten, dass sie geschrieen und wild gestikuliert habe. Die letzten Bilder von ihr, aufgenommen vor der Tür des Tru Hollywood Night Clubs, zeigen eine Frau, die die Kontrolle über sich verloren hat.

Der Absturz war quasi vorprogrammiert.

Es war ein angekündigter Niedergang. Keine Kraft der Welt schien ihn aufhalten zu können. Drogen bestimmten seit den 90er Jahren das Leben des Stars, erst Marihuana und Kokain, danach wer weiß was alles. Sie ließ sich in Entzugskliniken einliefern. Doch der „National Enquirer“ berichtete, dass sie sich auch da noch hatte Koks zukommen lassen wollen.

Ihre 1992 geschlossene Ehe mit dem R’n’B-Star Bobby Brown lieferte von Beginn an Schlagzeilen. Sie hielt dennoch etlichen Trennungen auf Zeit zum Trotz fast 15 Jahre. Im Frühjahr 2007 ließ sich das Paar scheiden. Einen traurigen Höhepunkt erreichte die öffentliche Selbstdemontage 2005 in der Reality-Soap „Being Bobby Brown“. Das unfreiwillig komische Sittenbild einer zerrüttete Jetset-Ehe wurde vom Branchenfachblatt „Hollywood Reporter“ als abscheulichste TV-Serie aller Zeiten gebrandmarkt.

Das war vielleicht der Preis dafür, dass Whitney Houston eine kulturelle Schranke überwunden hatte und wie Michael Jackson Ausgangspunkt einer musikalischen Supernova wurde. Nach ihr musste man nicht mehr weiß sein, um Popmusik zu machen, nicht mehr schwarz für Soul. Sie selbst verwischte ihre afroamerikanischen Wurzeln mit einer barocken Emphase, die für alle da sein sollte. Der Preis dafür war hoch. Sie bezahlte ihn mit dem Verlust einer Heimat, einer Identität. Mag sein, dass sie sich die in der Liebe zu einem gewalttätigen Mann, der sich gern als schwarzer Underdog inszenierte und mehrfach wegen Schlägereien und Drogenbesitzes im Gefängnis gesessen hatte, umso energischer zurückholen wollte.

Die märchenhafte Karriere von Whitney Houston war kein Zufall, aber auch nicht das Ergebnis eines eines unerbittlichen Drills von Kindesbeinen an, wie ihn der zeitlebens unglückliche Michael Jackson über sich ergehen lassen musste. Geboren 1963 in Newark, New Jersey, wuchs Whitney in einem musikalischen Umfeld auf. Ihre Mutter Cissy Houston war Teil der Vokalgruppe Sweet Inspirations und sang für Elvis Presley, für ihre nur sieben Jahre jüngere Nichte Dionne Warwick und für Whitneys Patentante Aretha Franklin, ehe sie in den späten 70ern mit mehreren Soul- und Gospel-Soloalben bescheidene Erfolge hatte.

Whitney selbst sammelte im Teenageralter erste Erfahrungen als Backgroundsängerin, unter anderem für Chaka Khan und Michael Jacksons älteren Bruder Jermaine. Ihre erste Aufnahme als Solosängerin wirkt in der Rückschau irritierend, obwohl sie der „Village Voice“-Popkritiker Robert Christgau als eine der großartigsten Balladen aller Zeiten bezeichnete. Allerdings auch eine, die nicht viele Menschen je gehört haben dürften. Denn ausgerechnet der New Yorker Noiserock- Apologet Bill Laswell engagierte 1982 die noch unbekannte Künstlerin für eine Aufnahme seines Avantgardekollektivs Material. Die Neuinterpretation von „Memories“, einem vergessenen Song aus den 60er Jahren, ist in der Tat magisch, vor allem wegen der Art, wie das Saxofon der Jazzlegende Archie Shepp auf die schon erstaunlich reife, aber noch ganz unbekümmerte Stimme Whitney Houstons trifft.

Dann kam Clive Davis, Präsident der Plattenfirma Arista, und gab ihrem Weg eine Richtung. Er, der schon immer einen Sinn für schöne Frauen bewiesen hatte, nahm das Gelegenheitsmodel unter Vertrag. Für die Aufnahmen des Debütalbums „Whitney Houston“ ließ er sich mehr als ein Jahr Zeit. Heerscharen von Studiomusikern und teure, angesagte Produzenten wie Kashif, Jermaine Jackson und Narada Michael Walden halfen dabei, die Songs auf Hochglanz zu polieren.

Die erste Single „You Give Good Love“ zielte eigentlich auf den schwarzen R’n’B-Markt, wurde aber auch schon ein Top-3-Hit in den Popcharts. Mit dem Nachfolger „Saving All My Love For You“ gelang ihr der erste von sieben aufeinanderfolgenden US-Nummer-Eins-Hits. Das Album kletterte Anfang 1986, fast ein Jahr nach seinem Erscheinen, auf die Spitzenposition der US-Charts und hielt sich dort 14 Wochen lang.

Viele Kritiker standen ratlos vor dem sensationellen Erfolg der Newcomerin. Zwar wurden überall die technischen Aspekte ihrer Stimme gepriesen, die Perfektion ihrer Intonation, die Klarheit und Präzision, die enorme Kraft. Doch missfiel den Traditionalisten, die meinten, eine schwarze Sängerin müsse auch schwarz klingen, der metallische Ton ihres Organs. Dabei war es diese Indifferenz, die ihr erlauben sollte, die Vitalität des Soul mit modernen Discobeats wie „How I Will Know“ zu verbinden und einen neuen Typus des Pop zu verkörpern.

Durch Künstler wie Houston eroberte die "schwarze Musik" den weißen Markt.

Anders als die großen Souldiven der vergangenen Jahrzehnte löste Whitney Houston den künstlerischen Ausdruck von ihrer Hautfarbe. Was Michael Jackson mit „Thriller“ ein paar Jahre früher vorbereitet hatte, nämlich ein sehr viel jüngeres weißes Publikum anzusprechen, vollendete Whitney Houston und übertrug es auf den Erwachsenen-Pop. Welche Konsequenzen das für sie selbst haben würde, war damals nicht absehbar.

In Houstons bereinigten musikalischen Kosmos gab es nun nichts mehr von der weiblichen Renitenz früherer Soulsängerinnen zu finden. Auch nichts von dem Stolz einer Frau, die meint, ein Mann müsse sich ihre Liebe verdienen. In Hits wie „Saving All My Love“ bediente Houston vielmehr das Geschlechterstereotyp der fügsamen Partnerin, die auf den Mann wartet.

Houstons zweites Album „Whitney“ variierte das Erfolgsrezept mit einer wohlkalkulierten Mischung aus Balladen und flotten Dancefloor-Stücken wie „I Wanna Dance With Somebody“, das in über einem Dutzend Ländern die Spitzenposition erreichte.

Es sind im Grunde nur diese beiden Alben, auf denen sich ihre Karriere stützt. Ein Film sollte 1992 noch dazukommen. An der Seite von Kevin Costner, des damals populärsten Hollywood-Schauspielers, machte sie sich quasi selbst zur Rolle und verkörperte eine fragile Popdiva, die von einem herzensguten und furchtlosen Leibwächter vor den Nachstellungen eines Psychopathen bewahrt wird. „The Bodyguard“ spielte weltweit über 400 Millionen Dollar ein, von der Filmmusik wurden 45 Millionen CDs verkauft.

Man konnte „I Will Always Love You“ nicht entgehen. Kein Radiosender, auf dem das Stück im Frühjahr 1993 nicht lief, keine Boutique, kein Supermarkt, kein Kaufhaus, wo es nicht zur Hintergrundbeschallung eingesetzt wurde, keine Studentenparty und keine Betriebsfeier, bei der es nicht Engtanzorgien ausgelöst hätte. Dabei war er auch eine Zumutung. Eine bombastische Zuckerbäckertorte mit einem 45-sekündigen A-capella-Vorspiel. Fast 20 Jahre bevor Whitney Houston sich des Stückes annahm, war „I Will Always Love You“ mal eine sentimentale Schmonzette der Countrysängerin Dolly Parton gewesen. Houston machte mit ihrer Drei-Oktaven-Stimme daraus die Mutter aller Powerballaden.

Auf dem Gipfel ihres Könnens und ihrer Popularität war Whitney Houston die größte ihrer Art, eine Unberührbare. Und keine ihrer Konkurrentinnen und Nachfolgerinnen, keine Janet Jackson, keine Celine Dion, keine Mariah Carey, keine Alicia Keys, keine Adele sollte sie darin übertreffen. Aber auch keine von ihnen war mehr so stark auf den Einfluss von Alphatieren wie Clive Davis oder Bobby Brown angewiesen.

Als die Drogen ihre Stimme anzugreifen begannen und sie die Hochleistungen, die ihre Songs ihr abverlangten, nicht mehr erfüllen konnte, stand sie vor ihrer größten Herausforderung. Doch Schwäche darzustellen und eine musikalische Sprache für desaströse Lebensumstände zu finden, hatte ihr nie gelegen. So hatte sie zwar auch Mitleid stets von sich fern gehalten. Jetzt jedoch, kannte sie nur den Triumph der Schwächeren. „It’s not right but it’s okay“, sang sie 1998 und warf ihren Mann einmal zumindest symbolisch aus dem Haus.

Vielleicht sollte ihr Comeback 2009, hinter dem abermals Clive Davis stand, für sie nach überstandenem Trennungsdrama so etwas wie eine Therapie sein. Ein Versuch, sie wieder aufzurichten mit machtvoller Hilfe ihrer Songs, die ihr das Beste an ihr hätten demonstrieren können. Doch das misslang. Die Tour war ein Desaster. Konzerte mussten abgesagt werden. Die Fans tobten. Sie hatte die Stimme nicht mehr. Damit hatte sie alles verloren.

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