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Popikone: Die Unvollendete

Yoko Ono wird heute 80 Jahre alt – einst gehasst, heute gefeiert, ehrt sie Frankfurt am Main mit Ausstellung und Performance.

Liebe ist ein Geschütz. Und Yoko Ono vergisst nie, es in Stellung zu bringen. „I love you“, schreit eine Frau aus dem Publikum. „I love you“, kontert Ono von der Bühne. Dann kann es losgehen.

Es ist Mittwochabend vergangener Woche im Dominikanerkloster in Frankfurt am Main. Yoko Ono hat zu einer Performance geladen. Am darauffolgenden Donnerstag wird in der Frankfurter Schirn ihre große Retrospektive eröffnet. Am Sonntag hat sie reingefeiert mit einem Konzert in der Berliner Volksbühne. Und heute ist es genau 80 Jahre her, dass Yoko Ono ihren ersten Schrei ausstieß.

Sie fand offenbar Gefallen daran. Als Performancekünstlerin hat sie disharmonisches Schreien zu ihrem Markenzeichen gemacht und ihre Stimme als Musikerin eingesetzt wie ein Instrument von erstaunlicher Bandbreite. Die Stimme Yoko Onos hat in den letzten 80 Jahren in die ganze Welt getragen. Als Feministin und Friedensaktivistin hat man sie gehört. Aber als am Mittwochmorgen die Tür aufgeht zum Gespräch mit ihr, da ist sie doch sehr klein und leise.

„Kunst ist meine Religion“, sagt Ono freundlich lächelnd und blickt zugleich unter ihrer Hutkrempe und über ihrem Brillenrand hervor. Und wie in Religionen üblich, möchte sie nicht weniger, als die ganze Welt verändern.

In zwölf Städten hatten Lennon und Ono 1969 riesige Werbeflächen gemietet und beschriften lassen: „War is over. If you want it.“ Es war die radikale Konsequenz aus der Aufforderung: Imagine! Wer heute auf Yoko Onos Webseite will, muss imaginepeace.com eintippen. Ihr Projekt #smilesfilm möchte ein lächelndes Bild von jedem Erdenbewohner versammeln. Woher kommt es, dass Yoko Ono mit 80 Jahren international plötzlich als eigenständige Künstlerin wiederentdeckt wird? Wie hat sich ihr Bild gewandelt in den letzten Jahren?

„Wandel bedeutet ja nicht, dass etwas völlig Neues entsteht“, sagt Ono. In jedem Wandel sei alles, was davor war, auch immer enthalten.

Alles also. Einen Versuch, dieses „Alles“ zu verstehen, liefert die Retrospektive mit Onos Kunstwerken aus über 50 Jahren in der Schirn. An einer Stelle liegen zwei Bildschirme versetzt im Blickfeld. Auf dem linken läuft Onos berühmtes „Cut Piece“ von 1964. Die 31-Jährige sitzt in ihrem besten Kleid auf der Bühne und lässt es sich vom Publikum vom Leib schneiden. Auf dem rechten Bildschirm läuft „Film No. 5“ (Smile) von 1968: ein Zeitlupenfilm von einem leuchtenden Lächeln John Lennons.

Je länger man hier steht, desto eher sieht es aus, als würden sich die Aktionen aufeinander beziehen. Lennon strahlt, während ein Mann Ono den BH-Träger aufschneidet. Lennons Lächeln verlöscht und kehrt wieder. Er scheint das alles gutzuheißen, sie zu ermuntern, wie er es tatsächlich immer getan hat. Und das kann man auch hören, denn ein Teil der Ausstellung ist eine Musik-Ecke. Da sind Onos Alben zu hören und auch die „Unfinished Dialogues“ mit Lennon. Unmittelbar und frisch, wie da zwei, die sich verstehen, mit- und übereinander reden.

So „unfinished“, wie bei ihr vieles immer geblieben ist. Das Unvollendete ist ihr Programm. Zumindest vollendet sie es nicht selbst. „Das Werk wird nur dann Realität, wenn andere es realisieren“, schreibt sie zu ihren „Instruction Paintings“. Die Anweisungen selbst sind das Bild: „Smoke Painting. Entzünde die Leinwand oder irgendein fertiges Bild mit einer Zigarette zu einem beliebigen Zeitpunkt für eine beliebige Dauer. Beobachte die Bewegung des Rauchs. Das Gemälde ist beendet, wenn die ganze Leinwand verschwunden ist.“

So besteht sie auf die Mitarbeit des Publikums. Und die Erforschung ihrer Kunst wird so oft zu einer Selbsterforschung. Deshalb ist jetzt Zeit, die Anweisungen zu „Moving Mountains“, dem aktuellsten Kunstwerk, das Ono für die Retrospektive entworfen hat, zu befolgen. Schwarze Säcke liegen auf dem Boden, Rohnessel aus deutscher Produktion. Die Anweisung an der Wand lautet: „Get lost in your dreams.“ Die bewegten Säcke sollen bei variierendem Licht die Schatten einer Bergkette darstellen, hieß es.

Ono war vor 50 Jahren auf der Bühne immer wieder mit einem Partner in einen schwarzen Sack gestiegen, hatte sich darin aus- und wieder angezogen und alles andere der Vorstellung der Zuschauer überlassen. „Bagism“ hieß das, es war ein tolles Spiel mit Erwartungen und führte zu der absurden Situation, dass Journalisten den mit zwei Künstlern gefüllten Sack interviewen wollten.

Aber nun sitzt man im Februar 2013 in einer renommierten deutschen Ausstellungshalle selbst in einem schwarzen Sack bei dem Versuch, daraus zu berichten. Warum nur wirkt es jetzt so banal?

Nicola Bardola, der im letzten Jahr eine erhellende Biografie über Yoko Ono veröffentlicht hat, hat ihre künstlerischen Anweisungen ihren „poetischen Imperativ“ genannt.  „Zünde ein Streichholz an und sieh zu, bis es ausgeht“, Herbst 1955. „Laufe durch die ganze Stadt mit einer leeren Babytrage“, Winter 1961. Zu dem komplett weißen Schachspiel von 1966: „Spiele, solange du weißt, welche Figuren deine sind.“

Imagine - Lennon war fasziniert

„Stell dir vor“, sagt Yoko Ono zu John Lennon. „Imagine“, singt der der Welt.

Lennon war fasziniert von dem auffordernden, positiven Charakter ihrer Kunst. „Imagine“ hat er zuerst in „Grapefruit“ gefunden, ihrem Buch von 1964. Da hatte Ono längst mit ihrem reichen Elternhaus in Tokio gebrochen, um lieber mittellos in New York die Fluxus-Bewegung voranzutreiben.

Aber die Anweisung als Form, denkt man, in diesem Sack sitzend, ist ja längst aus der Sphäre der Kunst in den Bereich der praktischen Lebenshilfe gewechselt. Man erwartet von ihr keine existenzielle Erschütterung mehr mit radikalen Konsequenzen für das richtige Leben. Sie ist nur noch ein Mittel, um festgefahrene Gewohnheiten zu ändern, oder ein unterhaltsamer Zeitvertreib. Manager werden in teuren Seminaren mit überraschenden Anweisungen verstört, um aus ihren geisttötenden Routinen auszubrechen. Frauenzeitschriften raten, einmal „ganz verrückte“ Dinge zu tun, als Kreativ-Hausmittelchen, um es mit sich und der Welt besser auszuhalten. Die Folge ist eine Wahrnehmungsverschiebung, eine Synkope im Hirn, ein Witz. Aber der Erfolg dieser Technik hat sie banalisiert.

Und als man mit elektrisch aufgeladenen Haaren aus dem Sack tritt, steht da ein Mann vom Sicherheitspersonal. „Joooooah“, sagt der gedehnt. Wenn er sich anstrenge, könne er in den Schatten auch sich bewegende Berge erkennen. „Moving Mountains“ halt. „Ich bin ja ein Beatles-Fan“, sagt er dann und lässt das jetzt seinerseits eine Weile sacken. „Ich muss gestehen, ich hatte auch eine ganz kleine Abneigung gegen sie.“ Da steht die Verkörperung des untilgbaren Vorurteils, dass mit Yoko Ono die Beatles auseinanderbrachen, in Gestalt eines Wachmanns. Und man hat das sichere Gefühl, dass diese Retrospektive ohne ihn unvollständig geblieben wäre. Die Verkörperung ist heute sehr höflich und dafür zuständig, dass Onos Werk keinen Schaden nimmt. „Wer weiß“, sagt der Mann. „Vielleicht hätten wir ohne sie ein Beatles-Album mehr.“

Journalisten hätten sie schon gefragt, wie sie begraben werden möchte, hatte sie erzählt. Denen hat sie gesagt, es sei noch zu früh, darüber nachzudenken. Sie hatte ja ungeheuren Neid erregt, und Missgunst und ihr immenser ererbter Reichtum hatten dazu geführt, dass man ihre Kunst lange wie ein Hobby betrachtete.

Yoko Ono war nach der Ermordung Lennons 1980 die meistgehasste Witwe der Welt. Und in dieser Situation hat sie sich auf die Liebe verlassen. Wie auf einen Bann, eine Beschwörung, um das Schlechte auf Abstand zu halten. „I love you“ ist das Amen ihrer ganz persönlichen Kirche. „I love you“ ist ihre persönliche Grußformel geworden, die sie unter die Nachrichten auf ihrer Webseite schreibt und einsetzt wie einen guten Zauber. Sie hat eine Taschenlampen-Aktion veranstaltet, in der die Teilnehmer mit einem Lichtcode „I love you“ morsen sollen. Sie verlangt das Bekenntnis auch von ihrem Publikum. Als könnte „ Liebe“, ausgesprochen und deshalb in der Welt, sie schützen wie eine Tarnkappe, unter der sie vor Angriffen verschwinden kann.

Ist, wo Kunst draufsteht, vielleicht nur Lebenshilfe drin?

Es ist dies die Logik aller Religionen, aller Rosenkränze, Gebetsketten, Zen-Übungen, Mantras, aber auch der Kern aller heidnischen Beschwörungen, der Wünsche an das Universum und sogar noch der ermutigenden Sprüche, die sich Agnostiker vor dem Spiegel vorsagen und Sportler vor einem Spiel: die Schaffung von Realität durch die Wiederholung eines Begriffs. Als ließe sich damit alles Gegenteilige verdrängen.

Wiederholung ist so keine Redundanz, sondern ein Akt der Kreation. Durch Wiederholung werden Wünsche wahr. Wenn alle im Bett sind, zieht keiner in den Krieg. „War is over. If you want it.“ Liebe ist der Zweck und das Mittel zugleich.

Am Mittwochabend, hatte es geheißen, wiederhole Yoko Ono eine Performance von 1965: „Sky Piece to Jesus Christ“. Aber das stimmt so nicht ganz. Damals hatte sie selbst spielende Musiker eines Orchesters auf der Bühne mit Mullbinden umwickelt.

Heute sitzt sie als Ehrengast bei sich selbst in der ersten Reihe, so viel Abstand hat sie inzwischen gewonnen. Acht schwarz gekleidete „Wicklerinnen“ umwickeln an ihrer statt die Dvorak spielenden Musiker, bis sie aussehen wie ein Orchester von Brandopfern. Ihr und John Lennons Sohn Sean filmt für die Nachwelt. Und als die Musiker, irgendwann ganz gefesselt, ihren Instrumenten nichts mehr entlocken können, applaudiert ihnen Ono wie alle anderen von der Seite der Besucher aus.

Sie hat sich ihr Leben lang als Außenseiterin gesehen. Aber heute ist sie eine Außenseiterin mit 3 424 735 Followern auf Twitter. Unter der Kruste der negativen Zuschreibungen ist die Künstlerin über Jahrzehnte lebendig geblieben. Nun scheint die Wunde geheilt und die Kruste langsam abzufallen. Dass das persönlich an ein Wunder grenzt, hat inzwischen auch die Öffentlichkeit begriffen.

„Womit schützen Sie sich?“, fragt eine Frau aus dem Publikum. „Mit allen meinen Handlungen. Es sah für die Welt vielleicht wie ein Tanz aus, aber in Wahrheit war ich die ganze Zeit damit beschäftigt, zu überleben“, antwortet Yoko Ono. Vielleicht ist das ihr allergrößtes Kunststück.

Es ist ein Abend in Frankfurt, den man auch als eine soziale Plastik sehen kann. Im Publikum sitzt Petra Roth, die ehemalige langjährige Oberbürgermeisterin der Stadt. Der Saal ist schon lange ausverkauft und ausgestellt wird jetzt die zeitgenössische Beziehung zwischen Yoko Ono und ihrem Publikum. Elf Fragen an sie sind zugelassen. Viele Fragesteller erstarren vor dem Mikrofon in Ehrfurcht. Offenbaren ihre Bewunderung. Treten vor sie hin wie vor ein Orakel. Und das Orakel antwortet in Gleichnissen. Vielen erscheint erstaunlicherweise so etwas wie ein Knicks vor der Künstlerin die angemessene Geste, auch wenn ihre Antwort wenig mit der Frage zu tun hat. Ein Mann möchte berührt werden und sein Wunsch wird erfüllt.

Zuletzt gibt Yoko Ono noch das „Promise Piece“: Sie zeigt einen riesigen blauen Frankfurter Keramikbembel, der zu hunderten Scherben zerschlagen in einem schwarzen Tuch steckt. In zehn Jahren, sagt sie, könne er wieder ganz werden. Und zwar indem sie alle, die jetzt hier versammelt sind, ein Stück mit nach Hause nehmen und in zehn Jahren an dieser Stelle wieder zusammenkommen.

Dann nutzt Yoko Ono die Gier der Leute, die sich nun auf ihre Scherben stürzen, um zu verschwinden.

Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main; bis 12.5., Katalog 39,95 €.

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