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Die Eisheilige. Nach sechs Jahren hat die britische Sängerin Kate Bush wieder neue Songs aufgenommen. Foto: promo/EMI

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Popkritik: Kalte Platte

Sex mit einem Schneemann, Duett mit Elton John und Hausmusik mit der Familie: Auf ihrem neuen Album zelebriert Kate Bush „50 Words for Snow“

Die Inuit, so geht die Sage, kennen unendlich viele Wörter für jenen gefrorenen Niederschlag, der flockig oder verdichtet ihren unwirtlichen Lebensraum auskleidet. Ihre Verwurzelung in der Natur und ihre Aufmerksamkeit gegenüber den physikalischen Phänomenen zwischen Himmel und Erde erschaffen einen Sprachreichtum, der dem Wintervokabelvorrat witterungsanfälliger Städter bei weitem überlegen ist. Hunderte Worte sollen es sein, die das weiße Universum der Inuit zwischen Schneeregen, Harsch und Sulz in Nuancen benennen können.

Ein romantisches, ein widerlegtes Märchen. Doch dass Linguisten die Welt entzaubern können, will eine Verwandlungskünstlerin wie Kate Bush nicht gelten lassen. Auf ihrem neuen Album „50 Words for Snow“, das Freitag bei EMI erscheint, durchstreift sie eisige Gefilde und erfindet ausgelassen neue Bezeichnungen für das weiße Winterkleid, wie ein junger Hund in den Pulverschnee beißt, blitzende Eiskristalle im Pelz: Phlegm de neige, Mountainsob, Anklebreaker, Erase-o-dust, Terrablizza.

Während wärmende Weihnachtsalben die CD-Regale dominieren, bricht Kate Bush in ein verwunschenes, nur sanft mit eisigen Banden zusammengehaltenes Universum auf. Auf dem Cover ist ein Schneebild zu sehen, auf dem eine nicht jahreszeitgerecht gekleidete Frau einen Schneemann küsst. Ihre heißen Lippen drückt sie gegen Wülste aus Eis – und nichts wird so bleiben, wie es ist. Bringt ihre Wärme ihn zum Schmelzen, rinnt das geliebte Wesen unaufhaltsam dahin. Fährt seine Kälte in ihren Körper, flieht das Leben die Geliebte. Mit „Misty“ setzt sie diesem Dilemma der Winterliebe ein beinahe vierzehn Minuten währendes Denkmal, vom Erschaffungsprozess des handgerollten Liebhabers bis zu seinem Verschwinden und den zurückbleibenden nassen Laken. Rauchig und auch etwas heiser klingt dieses Herz im Winter, das sich aufreizend viel Zeit lässt für einen Traum kalter Erotik.

Doch Sorgen muss man sich nicht machen um Kate Bush. Sie hat bequem Platz genommen hinter dem schützenden Klavier, weiß ihren Partner Dan McIntosh an der Gitarre und besingt zusammen mit ihrem 13-jährigen Sohn Albert die Geburt und den Flug einer Schneeflocke hinunter auf die laute Welt. Die hört man nicht, spürt nur ihren zarten Widerhall in der Stille, die Kate Bush mit endlosen Akkordrepetitionen schafft. „Snowflake“, das Entree des Albums, währt zehn Minuten lang, inklusive Knabensopran und huschenden Streichern. Hier schimmert sie kurz auf, die Rollen und Zeiten durchwehende Poesie Kate Bushs, ihre literarische Klasse. In den folgenden Stücken muss man sich mit weniger Assoziationsraum zufriedengeben. Sieben Titel umfasst „50 Words for Snow“, bei einer Laufzeit von 65 Minuten, deren Verstreichen lang und länger wird, wie die Nächte kurz vor Weihnachten.

Als einziger Beitrag mit knackiger Songstruktur darf die Single-Auskopplung „Wild Man“ gelten, einer zu Chinoiserien auf der elektrischen Gitarre hingehauchten Sympathienote für den Dämon des Kangchenjunga-Gebirges, auch als Yeti bekannt. Es klingt wunderbar, wie Kate Bush all die nepalesischen Orte betont ausspricht, an denen der Wilde Mann gesichtet worden sein soll. Ganz Britin, den Finger auf eine kostbare Expeditionskarte legend, die Teekanne unter der Wärmehaube verwahrend. Ihre Reise zu einer viktorianischen Dame, die in einem eisigen See ertrank und seither als winterliche Wiedergängerin um den „Lake Tahoe“ schleicht, sekundieren zwei Chorknaben, dazu werden Streicherchords aus dem Filmmusiksetzkasten und ein verschämter Anklang an die taumelnd machende Sirene, die Kate Bush auch sein kann, gereicht. Laufzeit hier gemächliche elf Minuten und 26 Sekunden.

Kate Bush hat es nicht eilig gehabt in den zurückliegenden Jahren. Ihrem Rang als Pop-Ikone konnte das nichts anhaben. Als 2005 ihr Doppelalbum „Aerial“ erschien, waren zwölf Jahre ohne neue Songs der heute 53-jährigen Britin vergangen, danach dauerte es noch einmal sechs Jahre, bis ein Doppelschlag folgte. In diesem Frühjahr veröffentliche sie überarbeitete Songs ihrer beiden Alben „The Sensual World“ und „The Red Shoes“ als „Director's Cut“. Dabei entrümpelte sie das Klangbild gründlich und wollte das Studio danach nicht mehr verlassen, ohne auch neues Material eingespielt zu haben. „50 Words for Snow“ entstand in einem für die Perfektionistin Kate Bush flotten Tempo und kommt, wie Grünkohl, jetzt mit dem ersten Frost auf den Markt.

Hätte sie es gewollt, Kate Bush wäre nebenbei der offizielle Hit für alle neuen Kaminofenbesitzer gelungen. „Snowed in at Wheeler Street“ schrieb sie für sich und Elton John, den sie von Kindheit an bewundert. Ein Duett für zwei Seelen, die sich über die Jahrhunderte immer wieder in anderen Körpern begegnen und sich immer wieder trennen müssen, bis zum nächsten Durchgang. Rom, Paris, New York, das hinterlässt bei der stärksten Seele Schwielen. „We've been in love forever“, singt ein ungewohnt tief timbrierter Sir Elton, um zu einem herzerschütternden „I don't want to lose you again“ durchzubrechen. Wäre die Länge des Songs so schlicht wie der Text ausgefallen, Klassik-Radio hätte das Duett zusammen mit den schönsten Filmmelodien auf Endlosschleife programmiert.

Doch so billig will Kate Bush, die als Produzentin ihrer selbst früh dafür gesorgt hat, allein ihren Vorstellungen zu folgen, keinen Erfolg erringen. Sie braucht ihn ohnehin nicht mehr. Daher mag auch die freundliche Kühle von „50 Words for Snow“ resultieren. Kate Bush hält Abstand zur bitteren Kälte, zur Schneeblindheit, zum Wahnsinn und pflegt ästhetisch einen klavierbasierten Kammerton. Herausgekommen ist ein Album, das den Zusatz „nur für den Hausgebrauch“ tragen könnte.

Da sie als 19-Jährige so unwiderstehlich mit „Wuthering Heights“ in Millionen Herzen schneite, wird auch eine wenig innovative Kate Bush Einlass finden. Den Märchenonkel bringt sie auch gleich mit. Stephen Fry rezitiert Kate Bushs Schneewörter mit zart schmelzenden Ironieflocken: Meringuerpeaks, Blown from polar fur, Bad for trains, Psychohail, Swans-a-melting. Der kommende Winter soll hart werden, hört man.

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