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Einen anderen Ton finden. Das war das Ziel von Ivana Sajko, 41, während ihrer Zeit als Gast des Berliner DAAD-Programms.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Porträt der Autorin Ivana Sajko: Wenn das Meer nach Trauer klingt

Die kroatische Autorin Ivana Sajko gehört zu den Erneuerinnen des südosteuropäischen Theaters. Seit einem Jahr lebt sie in Berlin. Eine Begegnung.

Feine schwarze Linien bilden ein spiralförmiges Muster. Auf den ersten Blick könnte man es für ein Labyrinth halten. Doch für die Frau, die dieses Motiv auf ihrem linken Handrücken trägt, ist es vor allem eine Form, die sich nie schließt. „Sie sieht kompliziert aus, aber es gibt einen Ausweg. Das war mir wichtig“, sagt Ivana Sajko, die sich das selbst gezeichnete Motiv tätowieren ließ, um stets vor Augen zu haben, dass ihre Mission das Schreiben ist.

Da sie es sich mit dieser Mission nicht leicht macht, ist die Skizze mit dem Weg zum Ausgang eine kluge Selbsthilfemaßnahme. Ivana Sajko schreibt Theatertexte und Romane, wobei sie selten auf die Konventionen dieser Formate zurückgreift. Die Suche nach der jeweils ausdrucksstärksten Sprache und Struktur für ein Thema, eine Figur, einen Gedanken, prägen ihre Werk, wobei dieses Ringen mit der Form oft mitreflektiert wird.

Etwa wenn sie in dem postdramatischen Stück „Bombenfrau“ versucht, sich die letzten 12 Minuten und 36 Sekunden einer Selbstmordattentäterin vorzustellen: „Die erste Version, die ich mir ausgedacht habe, landet im Papierkorb: unglaubwürdige Sätze, nicht-existenten Menschen in den Mund gelegt. Ich sage: ,Sajko, das geht in die falsche Richtung.’“ Schließlich kompiliert sie aus den Zuschriften von Freundinnen und Freunden, Forschungsberichten und einem fiktiven Monolog der Attentäterin nebst Bombenticken eine verstörende Collage. Schon 2004 entstanden, hätte sie auch ohne den aktuellen IS-Terror nichts von ihrer Dringlichkeit eingebüßt.

Sie ist Gast des DAAD-Künstlerprogrammes

Weibliche Perspektiven und politische Themen sind zentral bei Ivana Sajko, die das Zagreber Performance-Kollektiv BadCompany mitgegründet hat und zu den Erneuerinnen der südosteuropäischen Theaters zählt. „Sich mit leichten Themen zu beschäftigen, fände ich angesichts der gegenwärtigen Lage unanständig und unpassend“, sagt sie beim Gespräch in der Charlottenburger Altbauwohnung, in der sie als Stipendiatin des Berliner DAAD-Künstlerprogrammes während der letzten zwölf Monaten gewohnt hat. Sie sitzt auf der Kante des Ledersofas, beugt sich manchmal weit vor und spricht in ruhigen, überlegten Sätzen von ihrer Arbeit. Sie habe begonnen ein Stück über Geflüchtete zu schreiben. „Doch ich habe damit aufgehört, weil ich merkte, dass ich nichts anderes ausdrücken konnte als das, was wir alle ohnehin empfinden“, sagt die 41-Jährige.

Immerhin eine Annäherung, ein Schritt nach vorn auf dem Weg „die Situation zum Ausdruck zu bringen“, ist ihr mit der Performance „On the Condition of the Sea“ gelungen, die sie im Januar bei der Eröffnung der neuen DAAD-Galerieräume in Kreuzberg zusammen mit dem Musiker und Komponisten Alen Sinkauz aufgeführt hat. Patchworkartig kombinierten sie darin Aufnahmen von Meeresrauschen, Bass-Sounds, ein an die Wand projiziertes Ikarus-Gemälde von Peter Breughel und einen assoziativen englischen Text über das „Meer, das nicht mehr wie das Meer klingt sondern wie ein Gewaltakt“.

Das Meer als Metapher für den Tod der Solidarität

Ivana Sajko, die in Zagreb Dramaturgie und Philosophie studiert hat und sich zum Schreiben gern ins istrische Küstenstädtchen Pula zurückzieht, fühlt sich dem Meer eng verbunden. Es schmerzt sie, dass es „plötzlich seine symbolische Aufladung komplett verändert hat. Von einer Quelle des Lebens, der Freude und der Verbindung zwischen den Menschen wurde es zu einem Ort des Leidens, der Trennung, der Trauer und des Todes.“

Eine Tragödie, von der wir alle wissen, sei im Gange. Doch wir schauten weg, was uns zu Komplizen mache. Sajko bezeichnet das Meer in ihrer Performance als „die politische Metapher für den Tod der Solidarität“. Dass dieser Begriff, der während ihrer Kindheit im sozialistischen Jugoslawien ein so bedeutsamer war, seine Bindekraft verloren hat, liegt in den Augen der Autorin daran, dass es in Europa derzeit keine Linke gibt, die ihn vertreten und stärken kann. Andere Werte seien an seine Stelle getreten: „Individualisierung, Kapitalismus, Konsumerismus“.

Bonnie und Clyde im Einkaufszentrum

Mit deren Schattenseiten befasst sich sich Ivana Sajko immer wieder, etwa in ihrem fulminanten Stück „Das sind nicht wir, das ist nur Glas“ von 2012, das einerseits von einer apathischen Elterngeneration erzählt, die hofft, dass der „Lungenkrebs vor der Zwangsversteigerung zuschlagen wird“ und anderseits von einer Jugend, die bereits erkannt hat, dass sie keine Chance hat, aber trotzdem leben will: „Wir brüllen wie am Spieß, beißen in die Teller, kratzen mit Gabeln an der Wand und stopfen unsere Löcher im Magen mit Mörtel“. Zwei dieser jungen Leute schickt Sajko dann als Bonnie und Clyde in ein Einkaufszentrum, wo sie auf einen Raubzug gehen und dabei ihre Spiegelbilder im Schaufensterglas erschießen.

Die aggressive Energie ihrer Figuren ist auffällig. Kanalisiert sie darin auch ihren eigenen Zorn? „Wenn ich schreibe, fühle ich eigentlich keine Wut“, sagt Ivana Sajko und fügt an: „Ich entwerfe meist Charaktere, die nicht sonderlich talentiert, clever oder mutig sind und zeige sie in ihrem Kampf mit der Welt.“ Dieser Zusammenstoß erzeuge wohl den Eindruck von Gewalt und Wut.

Ein prekäres Künstlerpaar kämpft ums Überleben

Gut beobachten lässt sich dieser Effekt auch in Sajkos „Liebesroman“, der im Oktober bei Voland & Quist erscheint, und aus dem am Mittwoch in der DAAD-Galerie Isabel Schosnig und Henning Vogt lesen werden. Im Mittelpunkt des kurzen Bandes steht ein namenloses Paar – sie Schauspielerin, er Autor –, das in prekären Verhältnissen lebt und ein kleines Kind hat. Sie übernimmt gelegentlich Werbejobs, er versinkt immer tiefer auf dem Sofa und im Suff. Von Schulden, neuen Rechnungen und missgünstigen Nachbarn bedrängt, erodiert ihre fragile Bindung zusehends. Die allwissende Erzählstimme zoomt mal in ihren, mal in seinen und gelegentlich auch in den Bewusstseinsstrom des Babys, was zu temporeichen, mitreißenden Passagen führt, die mitunter eine Seite lang ohne einen Punkt auskommen. Der Mann weiß um die politische Dimension ihrer Lage, die Frau sucht die Schuld mehr bei sich und ihm – beide vereinzeln, werden psychisch deformiert.

Alte Muster über Bord werfen, einen neuen Ton finden

Das Paar teile das Schicksal der Mittelmäßigkeit, sagt Ivana Sajko. Das sei heutzutage besonders tragisch, „weil wir in einer Gesellschaft leben, in der man es sich nicht erlauben kann, mittelmäßig zu sein – sonst wird man gefressen. Denn es geht nur noch um Wettbewerb.“ Sie selbst kennt den Druck des Marktes gut, vor allem seit sie ihre Stelle an der Akademie der Dramatischen Künste in Zagreb aufgegeben hat und freischaffend tätig ist.

Das einjährige DAAD-Stipendium habe ihr eine große Freiheit beschert. „Ich bin hergekommen, um jemand Neues zu werden“, sagt sie. Das Ziel: alte Schreibmuster über Bord werfen, einen neuen Ton finden. Was zu klappen scheint. „Derzeit erkenne ich mich in meinen Texten nicht wieder. Das ist ein gutes Gefühl“, betont Ivana Sajko, die gerade an einem Prosatext mit dem Titel „Berlin. Schwarzes Notizbuch“ arbeitet und ein Theaterstück zu Knut Hamsuns „Hunger“ vorbereitet. Ihre Residenz geht nun zu Ende, doch sie wird in Charlottenburg bleiben. Im Moment steckt sie im Umzug, bald kann sie weiterschreiben. Eine schöne Aussicht – auch für Berlin und seine Bühnen.

Lesung und Gespräch: DAAD-Galerie Studio, Oranienstraße 161, 31.5., 20 Uhr.

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